Ein Mann auf einer Cannabis-Legalisierungs-Demonstration in Berlin.Bild: www.imago-images.de / Westend61
Analyse
"Nur weil Alkohol gefährlich ist – unbestritten – ist Cannabis kein Brokkoli – okay?", das ist das wohl bekannteste Zitat der ehemaligen Drogenbeauftragten Daniela Ludwig (CSU). Ihr Nachfolger Burkhard Blienert (SPD) sieht das anders. "Ich schaue nach vorne, nicht zurück", erklärt er gegenüber watson mit Blick auf seine Vorgängerin. Blienert setzt sich für die Legalisierung von Cannabis ein. Er ist der Beauftragte der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen.
Ebenso wie auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), in dessen Ministerium Blienert ansässig ist. Und auch dieser meldete sich jetzt zu Wort und sprach davon, im kommenden Jahr durchstarten zu wollen. Die Legalisierung von Gras ist ein Punkt im Koalitionsvertrag, auf den sich die Ampel-Koalition leicht einigen konnte. Bereits Anfang Mai twitterte Finanzminister Christian Lindner, dass "Bubatz" bald legal sein würde.
Fünf Expertenanhörungen soll es dazu im Bundesgesundheitsministerium bis Ende Juni geben. Zu klären seien etwa Aspekte des Jugendschutzes, aber auch im Strafgesetzbuch, im Steuerrecht oder im Straßenverkehrsrecht, aber auch ökologische und ökonomische Fragen bei der Lizenzierung. Anschließend solle auf dieser Basis im Herbst ein Eckpunktepapier und Ende des Jahres ein Gesetzentwurf vorlegt werden.
Was er sich von den Anhörungen erhofft? Blienert sagt:
"Einen guten, konstruktiven Austausch und wertvollen Input für unseren weiteren Weg der kontrollierten Cannabisabgabe für Erwachsene."
Kinder und Jugendliche müssten besonders geschützt werden. Kiffen soll also ab 18 Jahren erlaubt werden, genauso wie Schnaps trinken oder rauchen. Verkauft werden soll das Gras deshalb nur in lizenzierten Geschäften. Welche genau das sein könnten, ist noch unklar.
Der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert.Bild: imago stock&people / Malte Ossowski
Bayern steht Legalisierungsbestrebungen skeptisch gegenüber
Blienert erhofft sich durch die Legalisierung die Entkriminalisierung von Cannabiskonsumierenden, die ihr Gras bisher auf dem Schwarzmarkt kaufen mussten. Die meisten Bundesländer verzichten zwar bereits auf eine Strafverfolgung bei dem Besitz geringer Mengen Cannabis, aber das ist eben nicht überall der Fall. Kiffende in Bayern und Baden-Württemberg können davon ein Lied singen.
Im Freistaat können die wenigsten Ersttäter und Ersttäterinnen, die beim Kiffen erwischt wurden, auf Milde hoffen. Eine Einstellung des Verfahrens: Unwahrscheinlich. Freimengen und Eigenbedarf hin oder her.
Und auch jetzt bremst die bayerische CSU die Kiffer-Euphorie. "Es muss verhindert werden, dass die Hemmschwelle sinkt und noch mehr Menschen als bisher Cannabis konsumieren", sagte der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) dem Nachrichtenportal "nordbayern.de".
Der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetscheck ist von der Legalisierung noch nicht überzeugt.Bild: imago images / Political-Moments
Das neue Gesetz braucht Zeit
Bis Jahresende will die Ampel einen Gesetzentwurf vorlegen. Dass an Silvester schon legal gekifft werden darf, ist aber nahezu unmöglich.
Blienert sagt dazu:
"Wir wollen ein gutes, ein rechtssicheres Gesetz und keinen Schnellschuss. Ich weiß, dass viele Menschen hohe Erwartungen haben. Aber mal ehrlich: Hinter uns liegt eine jahrzehntelange Drogenpolitik, die stark auf Repression ausgerichtet war. Diese aufzubrechen und neu zu gestalten, das geht nicht über Nacht."
Wichtig sei, dass die neuen Gesetze zukunftssicher gestaltet würden. Denn: Die Änderung des Strafgesetzes, die die Legalisierung mit sich brächte, ist nicht ganz einfach.
Wie der Rechtsprofessor Kai Amboss von der Uni Göttingen im Gespräch mit dem NDR klarstellte, müsse ein rechtssicheres Gesetz die Anforderungen der EU und des Völkerrechtes berücksichtigen.
Amboss präzisierte:
"Man muss darin [in dem Gesetz, Anm. d. Red.] betonen, dass es um Eigenkonsum geht, dass es um eine weiche Droge geht und dass es auch um eine Kontrolle geht."
Schließlich gehe es nicht um die völlige Freigabe von Gras, sondern um ein neues System der Kontrolle. Der Konsum trotz des aktuellen Verbotes zeigt, dass das Strafrecht keine ausreichende Kontrollinstanz ist. Der Rauschgiftreport für das Jahr 2020 hat gezeigt, dass Cannabis nach wie vor die beliebteste Droge ist. Durch das neue Gesetz würde die Kontrolle stärker gesundheitspolitisch ausgerichtet sein.
Justizminister Marco Buschmann (FDP).Bild: imago images
Karl Lauterbach will "im nächsten Jahr durchstarten"
Auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach äußerte sich jetzt zur Legalisierung. Bei der geplanten kontrollierten Freigabe von Cannabis in Deutschland soll der Schutz vor Gesundheitsrisiken eine zentrale Rolle spielen. Vorgegangen werde nach dem Prinzip "Safety first" (Sicherheit zuerst), sagte der SPD-Politiker am 30. Juni bei einer Expertenanhörung zur Vorbereitung eines geplanten Gesetzgebungsverfahrens in Berlin.
Es sei nicht gewollt, Cannabis jetzt zu verharmlosen. Die Risiken der derzeitigen Praxis seien aber größer als das, was mit einer legalisierten Abgabe erreicht werden könne. "Die derzeitige, vorrangig repressive Umgehensweise mit Cannabis ist gescheitert", sagte Lauterbach. Er verwies unter anderem auf einen steigenden Konsum, mehr Verunreinigungen und dass der Markt aggressiver geworden sei. Die Ampel-Koalition habe sich daher fest vorgenommen, diesen "Kurswechsel" jetzt vorzunehmen.
Lauterbach sagte, das Vorhaben der Legalisierung sei "alles andere als trivial". Er gehe davon aus, dass sie nach den Expertenanhörungen "mit dem Gesetzgebungsverfahren im nächsten Jahr durchstarten können".
Die Legalisierung von Gras reicht nicht aus
Auch andere Länder und mehrere US-Bundesstaaten haben Cannabis bereits legalisiert. Deutschland könnte sich also an den gesammelten Erfahrungen orientieren. "In Ländern, in denen es einen sehr liberalen Umgang mit dem Produkt Cannabis gibt, sind Recht und Ordnung nicht abhandengekommen", sagte der Justizminister Marco Buschmann in einem Gespräch mit der "Neuen Züricher Zeitung". Das Ziel sei, Sicherheit zu schaffen und relativ harmlose Drogen von den "wirklich gefährlichen Substanzen zu trennen".
Dem Safer-Nightlife-Bundesverband Sonics reicht die Legalisierung von Cannabis nicht aus. Wie der Verband auf watson-Anfrage ausführte, fehlte darüber hinaus nämlich "deutlich mehr Förderung für Projekte im Partybereich, die niedrigschwellige, akzeptierende und zieloffene Beratung und Krisenintervention anbieten." Der Verein setzt sich außerdem für ein deutschlandweites, niedrigschwelliges Drug-Checking ein.
Denn Sicherheit für Konsumierende schafft nicht nur die Entkriminalisierung. Auch Drogen wie Ecstasy, Speed oder Kokain werden quer durch alle sozialen Schichten konsumiert. Und bleiben auch nach der Legalisierung von Cannabis illegal. Bei Drogen vom Schwarzmarkt wissen Konsumierende nicht, wie genau sie zusammengesetzt sind. Ob der Stoff vielleicht sogar mit giftigen Substanzen gestreckt ist. Das gilt bei Cannabis – synthetischen Cannabinoiden – wie auch bei chemischen Drogen. Immer wieder sterben Menschen.
Ecstasy, also MDMA, wird oft in Tablettenform verkauft.Bild: www.imago-images.de / Saman Abesiriwardana
Auch Blienert setzt sich deshalb für das sogenannte Drug-Checking ein. Das ist die chemische Analyse von illegalisierten Substanzen. Der Sinn dahinter: Herauszufinden, welcher Stoff in welchen Mengen in einer Substanz oder einer Pille enthalten ist. Warum Blienert das als wichtig ansieht, erklärt er so:
"Weil Menschen über Risiken und potenzielle Verunreinigungen aufgeklärt werden, die normalerweise in keine Beratungsstelle gehen würden."
Es gebe gute Beispiele aus den Niederlanden oder der Schweiz, die zeigten, dass durch die Checkings das Gespräch zu Konsumierenden initiiert würde. Blienert sagt:
"Das Drug-Checking ist ein Schutzschirm und kein Freifahrtschein für maßlosen Drogenkonsum, das wird hierzulande leider noch häufig unterstellt."
Aktuell eskaliert die Lage in Nahost weiter. Israel hat die militärische Offensive gegen die libanesische Hisbollah-Miliz und die Hamas ausgeweitet. Israel marschiert in den Südlibanon ein.