Streiten und debattieren gehört zur Politik dazu. Aber vor allem in einem Thema war sich die Koalition in den vergangenen Wochen uneins: dem Sondervermögen für die Bundeswehr. Und dabei war die junge Generation besonders laut.
"100.000.000.0000 – was für eine große Zahl, oder? Was man davon alles finanzieren könnte!" Das schreibt Bundessprecherin der Grünen Jugend Sarah-Lee Heinrich vergangene Woche auf Instagram. Es ist ihre Reaktion auf die Einigung von Ampel und Union für das Bundeswehr-Sondervermögen. Was sie lieber finanziert sehen würde: Schulen, Kommunen, das Gesundheitssystem, erneuerbare Energien.
Und sie legt auf Twitter noch mal nach, als das Sondervermögen tatsächlich beschlossen wurde. "Und weil mich viele fragen, wie ich es finde, dass die Grünen da zugestimmt haben: Schlecht und falsch finden wir das, ganz einfach", schreibt sie.
Auch Juso-Chefin Jessica Rosenthal lehnt das Sondervermögen in einem Gastbeitrag beim Nachrichtenmagazin "Spiegel" entschieden ab. Das Sondervermögen dürfe nicht nur die Bundeswehr umfassen. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hätte ihrer Partei eine Kurskorrektur und Selbstkritik abverlangt. Das forderte sie auch vom Koalitionspartner FDP. Bei der namentlichen Abstimmung im Bundestag hat sie gegen das Paket gestimmt.
FDP-Parteichef Christian Lindner hatte seine Partei Mitte Mai, nach der verlorenen NRW-Wahl, zur Koalitionsdisziplin aufgerufen. Die Ampel-Koalition sei zwar keine Wunschhochzeit gewesen, aber gut für das Land. Laut dem "Handelsblatt" forderte er deshalb ein "berechenbares Regierungshandeln" von seinen Parteifreunden.
Wie viel streiten ist in einer Koalition vertretbar und wann schadet es der einheitlichen Linie? Welche Rolle spielt dabei die Jugend und gibt es aktuell einen Generationenkonflikt in der Politik? Darüber hat watson mit Jugendforscher Simon Schnetzer und Politikwissenschaftler Stefan Marschall von der Universität Düsseldorf gesprochen.
Ein "berechenbares Regierungshandeln" und der Aufruf zur "Koalitionsdisziplin". Damit meint Christian Lindner, dass sich die Parteien innerhalb einer Regierungskoalition an die vereinbarten Absprachen halten sollen, erklärt Stefan Marschall bei watson. Die würden üblicherweise vor der Wahl der oder des Bundeskanzlers oder -kanzlerin in Koalitionsverträgen festgehalten. Zur Koalitionsdisziplin gehöre laut Marschall aber auch "ein gewisses Maß an Solidarität und Zusammenhalt zwischen den Regierungspartnern".
Die Kritik an der FDP, wie beispielsweise von Juso-Chefin Jessica Rosenthal, biete zunächst einmal eine Angriffsfläche für politische Gegner, sagt Marschall. So wie jede Kritik innerhalb von Koalitionen. Sie würden aber keinen großen Schaden anrichten – solange keine Mehrheiten in Gefahr seien. Ein Abweichen von der Koalitionslinie sei im Einzelfall daher unproblematisch, fasst der Politikwissenschaftler zusammen.
Außerdem seien junge Menschen im Bundestag "eine Chance, dass unsere Politik zukunftsfähiger wird", sagt Simon Schnetzer im Gespräch mit watson. Der neue Bundestag um Kanzler Olaf Scholz ist so jung wie noch nie.
Insbesondere bei der haushalterischen Verteilung von Geldern spielten nun auch unterschiedliche Generationenperspektiven eine Rolle, sagt der Jugendforscher. Er sieht gerade hier Interessenskonflikte und Streits als absoluten Gewinn für die Demokratie an.
Der Jugendforscher sieht aber auch einen Generationenkonflikt in der Politik, gerade dann "wenn es darum geht, die Interessen der jungen Generation und ihrer Zukunft zu vertreten." Ein Interessenskonflikt also. Zwischen der älteren und der jüngeren Generation.
Aber nur im beruflichen. Es sei wichtig, meint Schnetzer, wie ein Generationenkonflikt definiert werde. Denn es gehe nicht darum, ob sich Enkel im Privaten noch mit ihren Großeltern verstehen. Sondern darum, dass sich konkret die Jugendorganisationen einen anderen Einsatz des Geldes des Sondervermögens für die Bundeswehr gewünscht hätten – und dafür auch gekämpft haben.
Grundsätzlich sei dies auch kein Problem für den Zusammenhalt der Koalition, erklärt Politikwissenschaftler Marschall. "Der vor der Wahl des Bundeskanzlers unterzeichnete Koalitionsvertrag ist kein rechtsverbindlicher Vertrag." Es handele sich vielmehr um eine Vereinbarung, die unter Vorbehalten stehe. Kritik zwischen den Koalitionspartnern sei zwar der Arbeitsatmosphäre abträglich, Parteien müssten dennoch ihr Profil pflegen und unterscheidbar bleiben, sagt Marschall.
Dass die Bundeswehr in Sachen Ausrüstung und Waffen schlecht dasteht, wurde vor allem im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine sichtbar. Auch von außen. Gleichzeitig wurde auch die Jugend lauter in ihren Forderungen. Sie verlangen nach mehr Geld für das Klima, für die Bildung, für die Zukunft. Ihre Zukunft.
Jugendforscher Schnetzer sieht nicht den Krieg in der Ukraine als die Ursache für das entschiedene Handeln der jungen Generation an. Er sieht diese vielmehr in der Fridays for Future Bewegung. Sie habe jungen Menschen gezeigt: Das aktuelle Handeln der Politik mache die Grundlage für eine lebenswerte Zukunft kaputt. Das stellt Schnetzer auch in seiner aktuellen Trendstudie "Jugend in Deutschland" fest.
Mit der Corona-Pandemie sei dann ein spannender Aspekt aufgekommen: Nämlich die Möglichkeit, dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld freigesetzt wurde. Und damit verbunden die Hoffnung, dass ein Teil davon auch in Nachhaltigkeit und Zukunft investiert werden könnte. Diese Hoffnung wurde aber enttäuscht.
Schnetzer sagt:
Dass sich in Zukunft daran etwas ändern könnte, sieht Schnetzer aktuell nicht. Es sei ein langwieriger Prozess.
Er fordert:
Es sei laut Schnetzer wichtig, Dialogformate zu etablieren, in denen junge Menschen berichten können, was und warum ihnen etwas wichtig ist. "Eine Möglichkeit wäre ein verpflichtender Jugend- oder Zukunftscheck vor jeder Abstimmung." So dürften auch junge Menschen mitentscheiden – gerade, wenn eine Entscheidung auch ihre Zukunft betreffe.
Dieser Vorschlag ist nicht neu. Ein "Kompetenzzentrum Jugend-Check" gibt es bereits. Allerdings ist dieser Check aktuell in keiner Weise verpflichtend für den Bundestag oder für Abstimmungen über Gesetze.
In dem Kompetenzzentrum arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich geplante Gesetze genauer ansehen und auf die Auswirkungen für die junge Generation überprüfen. Vor allem für die Menschen zwischen 12 und 27 Jahren. So sollen die Auswirkungen für sie bereits bei der Entstehung von Gesetzen mitgedacht werden. Ihre Erkenntnisse geben die Mitarbeitenden dann zur Unterstützung an die Politik weiter.
Familienministerin Lisa Paus ist dem Jugendcheck zumindest nicht komplett abgeneigt. Auf eine watson-Nachfrage sagte Paus, die jugendliche Perspektive müsse mehr einbezogen werden. Mit Blick auf den Gendercheck fügte sie aber an, dass vermieden werden müsse, dass der Jugendcheck inhaltsleer sei. Aber: "Es ist ein wichtiges Anliegen und wir müssen in den Austausch gehen, wie wir das gestalten können, damit die Jugendlichen etwas davon haben."
Politikwissenschaftler Marschall stellt bei diesem Vorschlag vor allem die Praktikabilität infrage. Zudem könne es mit der gleichen Begründung auch andere Checks geben, wie zum Beispiel einen Seniorencheck.
Er sagt: