Stabilität mahnt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an. So lautet sein stetes Argument für die Große Koalition im Land. CDU, CSU und SPD aber finden nur mühsam zusammen. Erst am Sonntagabend konnte ein Bruch des Bündnisses im Streit über Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen vermieden werden. Von der Rückkehr zur Sacharbeit sprachen hinterher alle. Kanzlerin Angela Merkel. SPD-Chefin Andrea Nahles. Und CSU-Chef Horst Seehofer.
Die Rückkehr zur neuen Sachlichkeit aber dauerte nur wenig mehr als vierzig Stunden. Dann putschte die Unionsfraktion und wählte Merkels Vertrauten Volker Kauder als Fraktionsvorsitzenden ab.
Mit diesem Votum ist klar: "Alternativlos" – das Mantra von Merkels Kanzlerschaft – gilt nicht mehr.
Eine Analyse in 4 Schritten.
Irgendwie erinnert das alles an die Endphase von Rot-Grün und von Kanzler Gerhard Schröder. Der gab im Streit um die Arbeitsmarktreformen erst den Parteivorsitz ab, dann musste er Sachfragen mit dem Vertrauensvotum verbinden, nach der verlorenen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen rief er noch am Wahlabend Neuwahlen aus – und verlor 2005 gegen Angela Merkel dramatisch.
Jetzt hat Angela Merkel mit Volker Kauder ihren vielleicht wichtigsten Verbündeten in der CDU verloren. Imperien zerbröseln vom Rande her. Auch deshalb ist diese Wahl um die Fraktionsspitze so wichtig. Das zeigen auch die Reaktionen.
FDP-Chef Christian Lindner sagte dem Ereigniskanal "Phoenix":
Der Grünen-Fraktionschef Toni Hofreiter erklärte:
Der umtriebige Linken-Bundestagsabgeordnete Fabio de Masi, Unterstützer von Sahra Wagenknechts #aufstehen, twitterte:
Fazit: Die Überraschung ist groß. Und trotz aller Beteuerungen riecht es nach Kanzlerinnendämmerung.
CDU-Chefin Angela Merkel fasste sich kurz. Sie dankte Volker Kauder "für 13 Jahre außerordentlich guter Zusammenarbeit" und ergänzte, sie habe Ralph Brinkhaus "natürlich gratuliert". Merkel:
Bislang dachte man bei #Groko und Problembär eher an Horst Seehofer. Jetzt ist auch Angela Merkels Autorität beschädigt.
Nun wackelt der Sockel doch bedächtig.
Fazit: Wenig Stabilität. Noch weniger Aktion. Die Handlungsfähigkeit der Kanzlerin ist stark eingeschränkt.
Auch die Regierungspartner versprühen wenig Kraft.
Horst Seehofer hat sich zum Ziel gesetzt, Merkel (und ihre Flüchtlingspolitik) zu blockieren. Viele hoffen, die Tage des CSU-Chefs sind gezählt. Ein schwaches Ergebnis seiner Partei bei der Landtagswahl am 14. Oktober und Seehofer wird zum Entsorgungsfall. Doch Vorsicht: Der Mann wird wohl als CSU-Chef gehen, aber er könnte als Innenminister bleiben. Auch die CSU dürfte sich nach mäßigem Landtagswahlergebnis stärker profilieren wollen.
Fazit: Bayern bleibt eine "loose canon".
Andrea Nahles hat in der Affäre um Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen auch nicht gerade glücklich gehandelt. Selbst im zweiten Versuch – Versetzung ohne Gehaltserhöhung für Maaßen – bleiben Differenzen mit Horst Seehofer. Von den Umfragewerten der SPD ganz zu schweigen.
Fazit: Seehofer, Nahles, Merkel – die große Koalition ist ein Bündnis der Schwächelnden.
Es war auffällig, wie zurückhaltend sich FDP und Grüne äußerten. FDP-Chef Lindner kommt seinem Ziel, dem Aus für Angela Merkel, näher. Mit neuer Führung ließe sich dann auch nochmal über Jamaika reden. Erst vor wenigen Wochen legten FDP und Grüne gemeinsam Vorschläge zur Finanzierung der Bildungspolitik vor.
Wolfgang Schäuble ist schon 76. Aber der Bundestagspräsident ist der Mann für die ernsthaften Worte. Sei es im Interview, sei es bei der Eröffnung der Plenarrunden wie jüngst zu den Ausschreitungen in Chemnitz – Wolfgang Schäuble findet die passenden, staatstragenden Worte, nicht der blasse Bundespräsident Steinmeier. Schon in der Eurokrise war es Schäuble, der die zaudernde Unionsfraktion von den Geldern für Griechenland überzeugte. Zumindest in einer Übergangsphase könnte er leiten.
Letztes Szenario: Die Groko übersteht Bayern-Wahl (14. Oktober) und Hessen-Wahl (28. Oktober), bringt den Brexit auf dem EU-Sondergipfel auf den Weg (18. November) und geht dann in Neuwahlen.
Die CDU hat dann die Wahl – eher national und konservativ mit Jens Spahn oder liberal und rheinisch-kapitalistisch mit Annegret Kramp-Karrenbauer. Darüber könnten dann die Wähler in einer Neuwahl entscheiden.
Fest steht: Die Groko in ihrer jetzigen Verfassung verfehlt ihre Ziele.
Fazit: Weiter so? Ist nicht. Die Groko geht in die letzte Runde.
(per)