Es ist eine kleine Revolution. In der Abstimmung um den Unions-Fraktionsvorsitz im Bundestag hat sich überraschend Ralph Brinkhaus gegen Amtshinhaber Volker Kauder durchgesetzt. Die erste Kampfabstimmung um den Fraktionsvorsitz seit 2005 galt auch als Stimmungstest für Kanzlerin Angela Merkel. Kauder gilt als Mann ihres Vertrauens. Die Union kommt damit nicht zur Ruhe. Ebenso die Groko.
Die Kandidaten im Überblick:
Er steht seit dem ersten Tag an der Seite der Kanzlerin: So lange Angela Merkel schon das Land regiert, hält Volker Kauder (69) die Unionsbundestagsfraktion zusammen. Finanz- und Griechenlandkrise, der Atomausstieg, das Rumoren durch den starken Flüchtlingszuzug: Kauder hat immer wieder schwierige Lagen meistern und Mehrheiten für Merkel organisieren müssen. Seit 13 Jahren führt der Baden-Württemberger die Abgeordneten von CDU/CSU, so lange wie niemand zuvor.
Von 2002 bis 2005 war Kauder Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion unter der Vorsitzenden Angela Merkel. Als sie 2005 in das Kanzleramt einzog, wurde Kauder Fraktionschef. Ihr Verhältnis gilt als vertrauensvoll. Kauder ist kein Mann der lauten Töne, gilt als loyal, zuhörend.
Heute muss Kauder mit Andrea Nahles die Koalition im Bundestag zusammenhalten – und Mehrheiten für die dritte große Koalition unter Merkel organisieren. Keine leichte Aufgabe angesichts einer veränderten Parteienlandschaft im Bundestag, gerade auch durch den Einzug der AfD.
Der CDU-Mann Kauder wurde zuletzt zunehmend zum Blitzableiter für den Unmut, der sich in der Fraktion auch gegen die Kanzlerin aufgestaut hat. Im Asylstreit mit der CSU kam es im vergangenen Sommer zu getrennten Sitzungen der Abgeordneten der Schwesterparteien – eine Neuheit.
Nach der Bundestagswahl 2013, als die Union fast die absolute Mehrheit geholt hatte, wurde Kauder noch mit 97,4 Prozent im Amt bestätigt, sein bislang bestes Ergebnis. Aber schon bei der Wahl im vergangenen Jahr gab es für den Fraktionschef nur noch eine Zustimmung von 77,3 Prozent – ohne Gegenkandidaten. Dieses Mal gab es einen Herausforderer. Das Ende ist bekannt.
Für wen das Herz von Ralph Brinkhaus schlägt, zeigt schon ein flüchtiger Blick auf seinen Schreibtisch. Da steht ein weißer Keramik-Geißbock. Der Westfale ist auch Mitglied im 1. FC Köln Fanclub des Bundestags, der "Koalition Rut-Wiess". 1968 in Rheda-Wiedenbrück geboren, wagt Brinkhaus (50) nun ein wenig die Revolution.
Er suchte die Kampfabstimmung gegen Kauder. Immerhin informierte der bisherige Stellvertreter Brinkhaus brav vorab die Kanzlerin und Kauder darüber. Und er verlor über Kauder kein böses Wort. Er ist auch nicht der Typ, der in den Hinterzimmern um Stimmen feilscht.
Aber allein schon, dass Kauder einen Gegenkandidaten hat, weist auf einen erkennbaren Unmut in der Fraktion hin - mit der Führung und auch mit der Kanzlerin. Sein Programm: Nach 13 Jahren Kauder brauche es neue Köpfe, Aufbruch, frischen Wind. "Ich kandidiere für neuen Schwung in der Fraktion, nicht gegen die Kanzlerin", betont er. Der Ausgang der Wahl wird in Indiz dafür sein, wie groß der Unmut ist.
Brinkhaus hat sich als Finanz- und Haushaltspolitiker einen Namen gemacht, leise und freundlich im Ton, durchsetzungsstark in der Sache. Anfangs belächelt für seine Kandidatur, zog er westfälisch-stur das Ding durch.
Er meint, man müsse viel stärker für den Zusammenhalt im Land kämpfen – aber nicht mit immer höheren Sozialleistungen. "Wir können die Gräben in der Gesellschaft nicht mit Haushaltsmitteln zuschütten." Anders als Kauder, der sich anfangs niemals mit AfD-Politikern in eine Talkshow setzen wollte, will Brinkhaus verstärkt "mit jenen ins Gespräch kommen, die sich von uns abgewandt haben". Auch im Mittelstand gebe es immer mehr Protestwähler, "um die wir uns stärker als bisher kümmern müssen", so Brinkhaus.
(pb/dpa)