Trump hat seinen ersten Prozess verloren. Die Zivilklage ist aber nicht das einzige Verfahren gewesen, dem sich der Ex-Präsident stellen muss.Bild: AP / Evan Vucci
Analyse
Ein Geschworenen-Gericht in New York hat gegen den Ex-Präsidenten entschieden. Der Mythos der Unbesiegbarkeit ist damit angekratzt.
Philipp Löpfe / watson.ch
Die jüngsten Umfragen sprechen für Donald Trump. Gegenüber seinem parteiinternen Rivalen Ron DeSantis ist sein Vorsprung auf 36 Prozentpunkte angewachsen. Im direkten Duell gegen Joe Biden führt er mit 6 Prozentpunkten. Weshalb sollte ihn daher ein Urteil in einem zivilen Verfahren kümmern, das ihn der sexuellen Übergriffe für schuldig befunden hat? Zumal er die fünf Millionen Dollar Schadenersatz, die er entrichten muss, aus der Portokasse berappen kann.
Um sein eigenes legendäres Zitat leicht abzuändern: Trump könnte eine Frau auf offener Straße, genauer: der Fifth Avenue in New York, vergewaltigen, seine Fans würden trotzdem zu ihm halten. Auf das Urteil des Geschworenen-Gerichts reagierte der Ex-Präsident in gewohnter Manier: alles eine politische Hexenjagd seiner Gegner und ein schlechter Witz.
Und doch: Zum ersten Mal hat ein Gericht nicht nur gegen Trump entschieden, es tat es in einer an Deutlichkeit nicht zu überbietenden Art und Weise. Die Geschworenen kamen nach nur zwei Stunden Beratung zu ihrem Verdikt – normalerweise dauert dieser Prozess Tage, wenn nicht Wochen –, und Trump wurde nicht nur als frauenverachtender Macho, sondern als "Sexualstraftäter" an den Pranger gestellt. Die Houdini-Masche des Ex-Präsidenten, sich aus noch so hoffnungslosen Fällen letztlich zu befreien, hat diesmal nicht geklappt.
Teflon-Trump ist damit Geschichte, und der Ex-Präsident hat sich dies selbst zuzuschreiben. Er wurde von seiner eigenen Vergangenheit eingeholt. Im legendären "Access Hollywood"-Video prahlt der Supermacho bekanntlich damit, dass er als Star den Frauen ungestraft zwischen die Beine greifen darf. Damit hat er einen Aufschrei der Frauen und der MeToo-Bewegung provoziert. Dank dieser Bewegung wurde in New York ein Gesetz verabschiedet, das zulässt, dass Frauen auf zivilem Weg wegen einer Vergewaltigung klagen können, selbst wenn die strafrechtliche Frist längst abgelaufen ist.
Das wiederum hat Trumps Klägerin, der Journalistin E. Jean Caroll, ermöglicht, den Ex-Präsidenten vor Gericht zu zerren und dabei als Siegerin aus dem Prozess hervorzugehen.
Trumps Klägerin E. Jean Caroll.Bild: FR171797 AP / Brittainy Newman
"Access Hollywood" spielte auch im Prozess selbst eine Schlüsselrolle. Carolls Anwältin konnte Trump dazu ins Kreuzverhör nehmen. Die Videoaufzeichnung davon – der Ex-Präsident blieb dem Prozess fern – wurde den Geschworenen vorgespielt, und Trump zeigt sich dabei von seiner übelsten Seite. Hier ein Ausschnitt:
Frage: "Wenn Sie ein Star sind, können Sie sich alles erlauben. Sie können den Frauen an die Muschi greifen. Das haben Sie gesagt. Stimmt das?"
Trump: "Aus geschichtlicher Perspektive trifft dies zu."
Frage: "Es stimmt also, dass ein Star Frauen an die Muschi greifen darf?"
Trump: "Nun, in den letzten Millionen Jahren hat dies mehrheitlich zugetroffen. Nicht immer, aber meistens."
Frage: "Und Sie glauben, dass Sie ein Star sind?"
Trump: "Ich denke, das kann man so sagen."
Diese Aussagen hatten eine verheerende Wirkung auf die Geschworenen. Die Tatsache, dass Trump seine Klägerin verächtlich als "nicht mein Typ" beleidigte, sie jedoch gleichzeitig auf einem Foto mit seiner zweiten Frau verwechselte, half ihm auch nicht wirklich.
Sollte Trump tatsächlich erneut zum Präsidentschaftskandidaten der Republikaner gekürt werden, dann dürfte ihm sein frauenverachtendes Verhalten bei den eigentlichen Wahlen zum Verhängnis werden. Ohne die Stimmen der unabhängigen Wählerinnen in den Vorstädten kann er die Kandidatenkür nicht gewinnen, selbst wenn sich Joe Biden derzeit in einem Stimmungstief befindet.
Juristisch hingegen schadet die Niederlage Trump nicht. Es war ein Zivilprozess, der keine strafrechtlichen Folgen hat. Eine solche Anklage hat Trump jedoch bereits am Hals. Dabei geht es um seine Schweigegeld-Zahlungen an den Pornostar Stormy Daniels. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit werden sich noch mindestens zwei weitere Anklagen dazugesellen.
Wird wohl bald Trump ebenfalls anklagen: Fani Willis, Bezirksstaatsanwältin in Georgia.Bild: AP / Brynn Anderson
Im Bundesstaat Georgia hat die Bezirksstaatsanwältin Fani Willis die Polizei bereits vorgewarnt, dass sie zwischen Juli und September spezielle Sicherheitsmaßnahmen vorbereiten solle. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass es Klagen regnen wird. Dabei geht es um versuchte Wahlmanipulation – "Finden Sie mir die 11780 Stimmen", hat Trump den Staatssekretär in einem legendären Telefonanruf aufgefordert – und die Erstellung einer alternativen Liste von Elektorenstimmen.
Weil eine Anklage gegen Trump noch erfolgen muss, bevor die Primärwahlen im kommenden Jahr beginnen, gilt es als sehr wahrscheinlich, dass auch der Sonderermittler Jack Smith den Ex-Präsidenten noch im Laufe dieses Sommers vor den Kadi ziehen wird. Dabei geht es um Trumps Rolle beim Sturm auf das Kapitol. Smith ist es bereits gelungen, Ex-Präsident Mike Pence als Zeugen einzuvernehmen. Der Sonderermittler nimmt auch die Sache mit den widerrechtlich gehorteten Geheimdokumenten unter die Lupe.
Die Russland-Affäre hat Trump überlebt, ebenso zwei Impeachment-Verfahren und Skandale, die so zahlreich sind, dass die meisten davon bereits wieder vergessen sind. Nun aber steht dem Ex-Präsidenten zwar kein "Winter der Unzufriedenheit" bevor, aber ein Sommer, in dem er sich wohl kaum auf dem Golfplatz entspannen kann. Er wird stattdessen gezwungen sein, mit seinen Anwälten neue Verteidigungsstrategien auszuhecken.
Das wird ihn nicht nur viel Geld, sondern auch politisches Kapital kosten. Oder wie selbst das konservative "Wall Street Journal" warnt:
"Es könnten noch mehr juristische Herausforderungen auf Mr. Trump zukommen. Die Wähler der Grand Old Party müssen sich daher entscheiden, ob es sich tatsächlich lohnt, weiterhin hinter Trump zu stehen und das Land so möglicherweise vier weiteren Jahren von Chaos im Oval Office auszusetzen."
"Ich möchte etwas klarstellen", sagt eine junge Frau und schaut auf ihre Notizen. Sie zitiert eine Aussage von Donald Trump, der erneut für das Weiße Haus kandidiert: "Einige US-Staaten töten Babys nach der Geburt". Sie blickt auf. Vor ihr sitzt die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, Kamala Harris, kopfschüttelnd und mit hochgerissen Augenbrauen.