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Ukraine: Warum deutsche Rechtsextreme in den Krieg ziehen wollen

Berdyansk Oblast, Ukraine - March, 7, 2015: Soldiers from Azov Battalion go back to positions after a lecture from their instructor. Photo: James Sprankle/dpa
März 2015: Ukrainische Kämpfer des Asow-Regiments.Bild: dpa / James Sprankle
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Rechts und erfahren im Kampf

Berichten zufolge ist bereits eine kleine Anzahl deutscher Rechtsextremer in die Ukraine gereist, um im Krieg Erfahrung zu sammeln. Uneinig sind sich die Nationalisten darin, für wen sie kämpfen sollen. Wie gefährlich solche Reisen für ein Land werden können, zeigt ein Beispiel in Schweden.
21.03.2022, 18:5908.06.2022, 17:31
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Seit Jahren ist diese Entwicklung zu beobachten: Rechtsextreme vernetzen sich international, reisen nach Russland oder in andere Länder, lassen sich an der Waffe ausbilden.

Eine Entwicklung, die jetzt, während des Krieges in der Ukraine, abstruse und gleichzeitig gefährliche Züge annimmt. Denn tatsächlich ist bereits eine kleine Zahl von gewaltbereiten Radikalen in die Ukraine gereist, um Kampferfahrung direkt an der Front zu sammeln.

Die Sicherheitsbehörden haben nach Angaben des Bundesinnenministeriums Erkenntnisse zu 27 Rechtsextremisten mit dem Reiseziel Ukraine. Bei dieser Gruppe gebe es Informationen zu Reisebewegungen oder -absichten, bestätigte ein Sprecher des Ministeriums am Montag. Zwölf seien bereits wieder aus der Ukraine zurückgekehrt.

"Trainingslager werden bewusst in der rechten Szene beworben."
Misbah Khan

Misbah Khan, Grünen-Bundestagsabgeordnete und bis vor kurzem noch rheinland-pfälzische Landesvorsitzende der Partei, ist Berichterstatterin ihrer Fraktion für das Thema Rechtsextremismus. Im Gespräch mit watson sagt sie, solche Reisen deutscher Rechtsextremer seien schon seit Jahren zu beobachten:

"Paramilitärische Trainingscamps in Ost-Europa sind kein neues Phänomen."

Insbesondere, seit Russland 2014 völkerrechtswidrig die ukrainische Schwarzmeerhalbinsel Krim annektiert hat, beobachte man vermehrt, dass Rechtsextreme diese – teilweise legale – Ausbildungsmöglichkeit nutzten und sich in Kampftechniken ausbilden lassen. "Die Trainingslager werden bewusst in der rechten Szene beworben, beispielsweise von der rechtsextremen Partei III. Weg, aber auch von manchen Jugendverbänden der AfD", sagt Khan.

Misbah Khan (MdB), amtierende rheinland-pfälzische Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, spricht bei der digitalen Landesdelegiertenversammlung. Auf der Tagesordnung der ursprünglich schon für  ...
Misbah Khan.Bild: dpa / Harald Tittel

Und das kann auch in Deutschland gefährlich werden.

In Schweden wurde das 2017 deutlich: Damals wurden dort drei Männer verurteilt, nachdem sie Anschläge auf zwei Flüchtlingsheime verübt hatten. Sie waren zuvor in einem Trainingslager in der Nähe der russischen Großstadt Sankt Petersburg militärisch ausgebildet worden.

Khan sagt: Auffällig sei, dass jede einzelne Gruppierung anders ticke, andere Verbindungen habe.

Man hilft sich untereinander, wenn man rechts ist. Oder nicht?

Beobachter bemerken, dass die rechtsextreme Szene sich offenbar momentan nicht mehr einig ist. Offenbar unterstützen manche ehemalige Putin-Fans nun die Ukraine – etwa Parteien wie der III. Weg oder die NPD. "Die rechte Szene muss, was den Krieg in der Ukraine angeht, einen ideologischen Spagat vollziehen und steht derzeit eher auf der Seite der Ukraine", erklärt Khan.

Ein Grund dafür ist offenbar, dass sich viele Rechtsextreme momentan nicht damit anfreunden können, wen Putin derzeit als Unterstützer für seinen Angriffskrieg in der Ukraine rekrutiert.

Khan sagt:

"Ein Punkt, der den Rechten Kopfzerbrechen bereitet, ist zum Beispiel, dass Putin angeblich muslimisch und asiatisch gelesene Söldner einsetzt. Das passt nicht mehr in diese Narrative der weißen Völker, die sich verbünden, vernetzen und sich angeblich selbst schützen müssen. Putin bedient dieses Weltbild nicht mehr."

Anders sieht das laut Aussagen des Extremismusforscher Johannes Kiess von der Universität Leipzig gegenüber dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" die Kleinstpartei Freie Sachsen. Hier gebe es offenbar Solidaritätsbekundungen für den Kreml und Ausreisewünsche – allerdings, um für Putin und gegen die Ukraine in den Kampf zu ziehen.

Sowohl nach Polen als auch nach Russland und in die Ukraine hegen deutsche Rechtsextreme seit Jahren gute Kontakte. Jetzt kippe die Stimmung allerdings: Der größte Teil der Rechtsextremen sei pro-ukrainisch.

Kontakte soll es etwa zum sogenannten Asow-Regiment geben. Asow kämpft auf Seite der Ukraine im Krieg gegen Russland. Zu erkennen sind einzelne Kämpfer unter anderem durch Tätowierungen etwa auf den Oberarmen: eine Wolfsangel-Rune.

Ukrainian journalist Mustafa Nayem on the territory headquarter of the battalion 'Azov' in Mariupol, (Donetsk region, Ukraine), September 16, 2014. Battalion 'Azov' - volunteer arm ...
2016: Die Wolfsangel-Rune auf dem ehemaligen Hauptquartier des damaligen Asow-Bataillons in Mariupol.Bild: UPG / Mykhailo Skachko

Momentan gibt es Berichte dazu, dass diese militaristische Gruppierung vor allem in der von Russland belagerten Hafenstadt Mariupol aktiv sei. Der ukrainische Generalstab veröffentlichte eine Mitteilung, der zufolge Asow am Dienstag vergangener Woche eine Einheit der russischen Truppen besiegt habe. Unabhängig lassen sich solche Informationen zurzeit kaum prüfen.

Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, bezeichnete die Gruppe vergangene Woche in einem Tweet als "mutige Kämpfer", die ihre Heimat verteidigten.

Asow gehört der ukrainischen Nationalgarde an und ist somit dem Innenministerium des Landes unterstellt. Die Kämpfer gelten als ultranationalistisch bis rechtsextrem – was der russischen Kriegspropaganda natürlich in die Karten spielt. Denn Russlands Präsident Wladimir Putin rechtfertigt seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine damit, das Land von Nazis befreien zu müssen. Das ist aber eine Lüge.

Politisch sind die Rechtsextremen in der Ukraine eine Randgruppe. Als die Ukrainerinnen und Ukrainer 2019 ihr neues Parlament wählten, bekam der rechtsextreme Block "Swoboda" nur 2,2 Prozent der Stimmen und verpasste damit deutlich den Einzug ins Parlament. Auch militärisch fällt das Asow-Regiment weniger stark ins Gewicht, als mancher vielleicht meint: 2017 schätzten Beobachter die Anzahl der Asow-Kämpfer auf höchstens 2.500. Zum Vergleich: Die ukrainische Armee verfügt derzeit über rund 450.000 Soldatinnen und Soldaten.

Die russische Staatspropaganda nutzt das Asow-Regiment aber intensiv als Feindbild. Beispielsweise behauptete der Kreml nach einem Angriff auf eine Geburtsstation in Mariupol, darin seien keine Neugeborenen und werdende Mütter gewesen, sondern Asow-Kämpfer, die das Gebäude als Lager genutzt hätten. Die Vereinten Nationen widersprechen dieser Aussage allerdings.

September 10, 2016 - Kiev, Ukraine - Batallion soldiers hold protest march to 'Kievgorstroy' building after Pechersk District Court granted, then revoked bail to leader of Petrenko Kiev CC & ...
Soldaten des Regiments Asow 2016 bei einem Protestmarsch in Kiew.Bild: ZUMA Wire / Nazar Furyk

Gegründet hatte sich das Regiment Asow im Jahr 2014. Damals als paramilitärisches Bataillon tätig, kämpfte es auf der ukrainischen Seite, als Russland die Krim völkerrechtswidrig annektierte. Im Oktober 2014 hat der ukrainische Heimatschutz Anspruch auf die Führung der Gruppe erhoben. Seither untersteht Asow dem Befehl des Innenministeriums. Das Regiment soll trotzdem seit 2014 für mehrere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sein, wie die UN-Menschenrechtsorganisation OHCHR dokumentiert.

Recherchen von "Zeit Online" zufolge sollen seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine Rechtsextreme in einem internationalen Netzwerk daran gearbeitet haben, deutsche Neonazis als Freiwillige für den Kampf gegen Russland zu rekrutieren. Laut "Zeit Online" gehe es dabei neben dem Sammeln von Kampferfahrung auch um den Kampf gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin und ganz allgemein gegen "den Russen". Auf Telegram kursiere das rechtsextreme Narrativ, im Zweiten Weltkrieg habe Russland deutsche "Ahnen geschändet".

Unterkünfte für Nationalisten

Wichtig ist dabei, diese Anwerbung ausländischer Kämpfer aus der rechtsextremen Szene nicht mit der offiziellen Kampagne der ukrainischen Regierung für eine internationale Freiwilligenlegion zu verwechseln. 20.000 Ausländer aus 52 Ländern haben sich nach ukrainischen Angaben nach dem Aufruf von Präsident Wolodymyr Selenskyj freiwillig gemeldet.

Rechtsextreme Netzwerke sind in Deutschland unter anderem auch in der rechten Parteienlandschaft verwurzelt. Die Partei III. Weg etwa gibt in Telegram-Gruppen Tipps zur Ausreise und Vernetzung. Offiziell wird nicht dazu aufgerufen, in den Kampf zu ziehen. Es werden allerdings Kontakte vermittelt, Orte benannt, zu denen sich eine Reise lohnt, sogar Unterkünfte für die Familien von rechtsextremen Ukrainern angeboten. Der III. Weg hat für die Vermittlung von Unterkünften eigens ein Forum auf die Beine gestellt.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) meint, die Bundesregierung und der Verfassungsschutz hätten "den Bereich sehr stark im Blick". Gebe es Anzeichen dafür, dass ein Mensch "die Voraussetzungen erfüllt, um eine 'Nicht-Ausreise' erteilen zu können, reagieren wir mit Passentzug". Das sagte sie auf watson-Anfrage während der Vorstellung des "Aktionsplans gegen Rechtsextremismus" am vergangenen Montag.

"Man muss sagen, dass über dieses System nicht vollständig sichergestellt ist, dass wir jede Ausreise feststellen, respektive verhindern können."
Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamts.

Damit meint sie Folgendes: Die bekannten Personen aus diesem Spektrum bekommen in den Fahndungssystemen der Sicherheitsbehörden einen entsprechenden Vermerk. Wollen Menschen ausreisen, werden sie kontrolliert und daran gehindert, ihr Reisepass wird eingezogen. Das sei auch bereits passiert, erklärte Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamts, in der Bundespressekonferenz.

Allerdings geben er und Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, auch zu: Extremisten auf dem Landweg an der Reise ins Kampfgebiet zu hindern, wird schwierig. Da es innerhalb der Europäischen Unionen keine festen Grenzkontrollen gibt, sind die Informationen hier "lückenhaft", meint Münch.

Verfassungsschutz-Chef: "Das Ganze ist überwiegend Maulheldentum"

Bei Hinweisen auf Ausreisewillige oder bereits losgereiste Personen würden die örtliche Polizei oder auch die Bundespolizei informiert. "Aber man muss sagen, dass über dieses System nicht vollständig sichergestellt ist, dass wir jede Ausreise feststellen, respektive verhindern können", sagt Münch.

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Noch bevor der Krieg in Ukraine begann, hatte eine Asow-Einheit Zivilisten in Grundkampftechniken trainiert. Hier ein Bild aus der ukrainischen Stadt Mariupol, aufgenommen am 13. Februar. Bild: dpa / Vadim Ghirda

Haldenwang sagt aber auch:

"Das Thema wird dadurch stark befeuert, dass im Internet sehr intensiv diskutiert wird, gerade in rechtsextremistischen Kreisen. Das Ganze ist überwiegend Maulheldentum. Meistens kommt es zu keinen Ausreiseversuchen."

Ein Teil der geplanten oder erfolgten Ausreisen ziele nicht auf eine Teilnahme an Kämpfen, "sondern auf vorgebliche 'Berichterstattung vor Ort' oder 'Hilfe vor Ort' ab", wie es beim Bundesinnenministerium heißt. Bislang habe die Bundespolizei Ausreisen von Extremisten im einstelligen Bereich verhindert.

Haldenwang meinte am vergangenen Montag aber auch: "Man darf das Problem aktuell nicht überschätzen."

"Sie sind paramilitärisch ausgebildet, kampferprobt und womöglich traumatisiert. Das baut Hürden ab, Gewalt anzuwenden."
Misbah Khan, Grüne

Grünen-Politikerin Misbah Khan ist da anderer Auffassung: "Derzeit sind den Sicherheitsbehörden nur wenige Ausreisewillige bekannt", erklärt sie gegenüber watson. "Dennoch ist klar, dass von diesen ein hohes Gefahrenpotential ausgehen kann. Sie sind paramilitärisch ausgebildet, kampferprobt und womöglich traumatisiert. Das baut Hürden ab, Gewalt anzuwenden."

Khan sieht hier auch ein strukturelles Problem in der Bekämpfung von extremistischem Terror. Sie sagt: "Die deutschen Sicherheitsbehörden haben sich lange darauf fokussiert, islamistisch motivierte Gefährderinnen und Gefährder zu beobachten."

Unabhängig vom aktuellen Krieg müsse hier nachgebessert werden. Das Monitoring rechtsextremer Gefährderinnen und Gefährder müsse geschärft werden. Khan: "Deshalb bin ich froh, dass wir nun eine Innenministerin haben, die dem Kampf gegen Rechtsextremismus den nötigen Ernst verleiht."

Allerdings ist im vergangenen Montag vorgestellten "Aktionsplan gegen Rechtsextremismus" des Innenministeriums kaum die Rede von verstärktem Monitoring. Lediglich die verstärkte Beobachtung von Social-Media-Kanälen wird in dem Papier erwähnt.

(mit Material von dpa)

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