Es sieht nicht gut aus für die sogenannte Alternative für Deutschland (AfD). Bei der Landtagswahl 2019 in Sachsen holte die Partei 27,5 Prozent. Ihr bestes Ergebnis. Doch seither geht es bergab.
In Schleswig-Holstein ist die AfD seit Anfang Mai nicht mehr im Landtag vertreten. In Bremen und Niedersachsen haben sich die Fraktionen zerschlagen. Und auch bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen am vergangenen Sonntag wurde der Wiedereinzug in den Landtag mit 5,4 Prozent knapp.
Für Parteichef Tino Chrupalla ist vor allem klar, dass die diversen Wahldebakel nicht an ihm liegen – lieber möchte er die Schuld daran seinem früheren Co-Vorsitzenden Jörg Meuthen in die Schuhe schieben. So drückte er es zumindest am Tag nach der NRW-Wahl auf einer Pressekonferenz aus.
Chrupalla sagte dort:
Meuthen hatte Ende Januar das Handtuch geworfen und die AfD verlassen. Bei den Wahlen in NRW, Schleswig-Holstein und im Saarland war er also nicht mehr als Bundessprecher tätig. "Ich trete von meinen Ämtern zurück und aus der Partei aus, weil sie einen Weg nimmt, den ich nicht mitzugehen bereit bin", sagte Meuthen damals. Er war nicht der erste Parteichef, der die AfD verließ. Im Gegenteil: Diese Form des Abtretens hat in der noch jungen Partei schon Tradition.
2015, also zwei Jahre nach Parteigründung, verließ Gründungsmitglied und Ex-Parteichef Bernd Lucke die AfD wegen eines "Rechtsrucks". Wieder zwei Jahre später, also 2017, ging die Ex-Vorsitzende Frauke Petry, ebenfalls wegen eines "Rechtsrucks". 2018 verließ André Poggenburg, der Ex-Vorsitzende der AfD Sachsen-Anhalt, die Partei wegen eines "Linksrucks".
Zur DNA der AfD gehört das Schüren und Ausnutzen von Ängsten. Politikberater Johannes Hillje beschrieb die AfD in einem Gespräch mit watson vor der Bundestagswahl als "eine Partei, die strategisch daran arbeitet, bestimmte Grundwerte unserer Gesellschaft aufzukündigen."
Damit meinte Hillje die Versuche der Partei, den gesellschaftlichen Diskurs zu verschieben. Zum Beispiel: "Den Konsens zur klaren Verurteilung von NS-Verbrechen, das Bekenntnis zu Menschenrechten oder Grundrechten wie der Pressefreiheit."
Vor Corona funktionierte diese Strategie für die Partei gut. Gerade in den ostdeutschen Bundesländern feierte die AfD Erfolge. Stark ist sie dort zwar immer noch – aber auch in Mecklenburg-Vorpommern war bei der Wahl im vergangenen Herbst eine Trendwende zu beobachten. Strich die AfD hier 2016 noch 20,8 Prozent der abgegebenen Stimmen ein, waren es 2021 nur noch 16,7 Prozent. Knapp vier Prozentpunkte weniger.
Von einem Plateau oder gar einem aufsteigenden Ast der AfD kann hier eigentlich keine Rede sein. Dennoch erklärte NRW-Spitzenkandidat Markus Wagner nach der aus seiner Sicht enttäuschenden Landtagswahl, dass Politik bedeute, sich nach "vielen erfolgreichen Jahren erst einmal zu konsolidieren". Das habe es bei den Grünen auch gegeben, argumentierte er am Montag.
Tatsächlich ist es so, dass die Grünen seit ihrem ersten Einzug in den Bundestag zumindest zwischen den Wahlen 1987 und 1990 drei Prozentpunkte einbüßsten. Bis heute gibt es in den Bundesländern regionale Unterschiede. Ein Blick auf die Statistik zeigt: Die Grünen kommen vor allem in den Ländern weniger gut an, in denen die AfD stark ist. Vergleichbar sind die beiden Parteien nicht: Andere demokratische Parteien sind dazu bereit, mit den Grünen zusammenzuarbeiten – mit der AfD nicht.
NRW-Spitzenkandidat Wagner fasste seine Sicht der Dinge zusammen:
Nachdem Chrupalla die Schuld an den vermasselten Wahlen auf Meuthen abgewälzt hatte, räumte der Parteichef in der Pressekonferenz am Montag zwar ein, dass er natürlich auch kritisiert werden könne – wenngleich die gesamte Partei gemeinsam gewinne und gemeinsam verliere. Wenngleich er natürlich bei der Bundestagswahl in Sachsen ein herausragendes Ergebnis erzielt habe. Viel "wenngleich", wenig Selbstkritik. Chrupalla tat sich schwer mit der Reaktion auf die NRW-Wahl.
Er sagte:
Wahlniederlagen könne er in Anbetracht dieses Tatsache nicht sehen. Was in Zukunft aber noch besser werden solle: Ost-Ergebnisse in den West-Ländern. Die AfD will zweistellig werden. "Volkspartei" sein.
Um das zu erreichen, möchte Chrupalla die Initiative West einläuten. Allerdings nicht sofort. Möglicherweise nicht einmal er selbst. Denn "das ist eine Aufgabe für den neuen Bundesvorstand". Diesen werden die Delegierten der AfD bei einem Bundesparteitag im Juni wählen. Wenn es nach Chrupalla ginge, trüge der neue Vorsitzende ebenfalls den Namen Tino Chrupalla. Konkretere Vorstellungen, wie die Initiative West aussehen könnte, verrät der Parteichef trotzdem nicht.
Er verrät nur, was er nicht möchte:
Chrupalla sagte, dass er möchte, dass mehr auf regionale und lokale Unterschiede eingegangen werde – eine Forderung, die er auch nach der Bundestagswahlflaute im vergangenen Jahr artikuliert hatte. Er sprach nach der NRW-Wahl aber auch von einer "gewissen Disziplinierung", die es dafür brauche.
Was er damit meinte: Hierarchien innerhalb der Partei sollen künftig anerkannt werden. Er möchte also keine Querschüsse mehr. Diese gelten aktuell ihm. Zwei der momentan 13 Bundesvorstandsmitglieder – Joana Cotar und Alexander Wolf – kritisierten Chrupalla nach der Wahl in NRW öffentlich. Cotar sprach sich gar dagegen aus, dass Chrupalla weiter die Partei führe. Eigenen Angaben zufolge haben die Kritiker in der AfD viele Unterstützer.
Ob Chrupalla auch nach dem Bundesparteitag im Juni Parteichef bleiben wird, werden die Delegierten entscheiden. Möglich ist aber, dass er gegen den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke antreten muss. Dieser hat eine Bewerbung für den Bundesvorstand auf dem Thüringer Parteitag zumindest nicht ausgeschlossen. Und direkt klargestellt: Wenn er Teil des Bundesvorstands würde, dann richtig. Aktiv. Nicht als passives Beistück.
Sollte Höcke tatsächlich kandidieren, könnte das eine weitere Radikalisierung der Partei bedeuten. Der Thüringer AfD-Mann steht sehr weit rechts außen im politischen Meinungsspektrum. Er war Teil des rechtsextremen "Flügels" der Partei, der sich mittlerweile auflösen musste.
Mit Höcke an der Spitze könnte die Partei einen Kurs einschlagen, der auch die letzten bürgerlichen Wählenden vergrault. Und dürfte aus den westdeutschen Landesparlamenten nach und nach verschwinden. Ob die Delegierten das also zulassen, ist fraglich.
Auch wenn die AfD bei den vergangenen Wahlen immer Wählende verloren hat, ist klar, dass die Partei gekommen ist, um zu bleiben. Wie die Mitte-Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigen, gibt es einen gewissen Prozentsatz in der Bevölkerung, der eben genau von den Themen der AfD abgeholt wird. Auch wenn die neusten Ergebnisse zeigen: Die Zustimmung zu rechtsextremen Einstellungen geht zurück.