Es geht auf und ab für die FDP.
Bei der Bundestagswahl 2021 befanden sich die Liberalen im Höhenflug. Zum zweiten Mal hintereinander konnten sie bei einer Bundestagswahl ein zweistelliges Ergebnis vorweisen. Besonders bei den Erststimmenanteilen befand sich die Partei auf der Überholspur. Nach Einschätzungen von Expert:innen sei die FDP bei den Erstwähler:innen die erfolgreichste Partei gewesen.
Am Wahlabend der Bundestagswahl 2021 verkündetet der FDP-Vorsitzende Christian Lindner, dass die Liberalen "eines der besten Wahlergebnisse in ihrer Geschichte erzielt" haben. Zwei Jahre später kommt der große Knall bei der Berliner Wiederholungswahl. Die Liberalen scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde. Die Zahlen sind im Keller – und das nicht zum ersten Mal.
Nach der fünften erfolglosen Landtagswahl stehen die Freien Demokrat:innen vor der Frage: Was läuft momentan schief?
"Es gelingt der FDP in der Ampel-Koalition zu wenig, als 'bürgerliche Partei' sichtbar zu werden", meint der Politikwissenschaftler und Autor Benjamin Höhne. Das habe strukturelle, personelle, inhaltliche sowie partei-organisatorische Gründe.
Laut des Parteiexperten wird die FDP inhaltlich wenig mit eigenen Positionen wahrgenommen oder hinterlässt einen ambivalenten Eindruck: Wofür steht die FDP beim Krieg in der Ukraine und den Waffenlieferungen? Wie sieht ihre Position bei verkehrspolitischen Themen aus?
"War es nicht so, dass sie beim Deutschland-Ticket zuerst auf die Bremse trat, um es sich dann später mit auf die Fahnen zu schreiben?", fragt Höhne. Weiter meint er, dass es die FDP als kleinste Partei im Ampel-Dreierbündnis nicht so leicht habe, strukturell wahrgenommen zu werden wie die beiden größeren Partner SPD und Grüne.
Höhne zufolge liegen FDP-Politiker:innen in der Regierung in Rankings hinter den beiden populären Grünen, Robert Habeck und Annalena Baerbock. Für die SPD stehe der Kanzler Olaf Scholz im Vordergrund. Der Experte sagt:
Man lasse sich auf die Ampel-Fahrt immer nur mit angezogener Handbremse ein, sagt der Experte. So fällt auf, dass Lindner nach dem bitteren Wahlergebnis für die FDP bei der Berlin-Wahl auch den Finger auf die Ampel-Koalition zeigt.
Laut Lindner hat die Berlin-Wahl bundespolitische Auswirkungen. In der Pressekonferenz zum Ausgang der Berlin-Wahl 2023 verkündet er, dass dieses Linksbündnis in Berlin nicht habe punkten können. Sprich: erfolglos war. Nach Lindners Auffassung haben SPD, Grüne und Linkspartei "enorm an Zuspruch verloren". Das sollte wohl auch der Ampel-Koalition zu denken geben. Er sagt:
Die FDP sei weiterhin "Garant für eine Politik der Mitte". "Mögen andere über Verbote, Fesseln, Steuererhöhungen und neue Schulden nachdenken, wir sorgen dafür, dass das Land in der politischen Mitte verbleibt", sagt Lindner. Ihm zufolge halte die FDP an ihrer Strategie fest, mit der es wieder bergauf gehen soll.
Dabei zählt er drei Punkte auf, mit denen die FDP etwa auch bei Landtagswahlen wieder Erfolg erzielen soll:
"Die Umfragen für die FDP auf Bundesebene zeigen eine stabile Situation", meint der liberale Finanzminister und Parteichef. Auch weist er auf die Mitgliederentwicklung der FDP im Februar hin, die sehr positiv sei. "All das sind Indikatoren dafür, dass wir im Prinzip ein solides Fundament haben", sagt Lindner.
Auch werden die Liberalen weiterhin an Sebastian Czaja festhalten, der als FDP-Spitzenkandidat zur Abgeordnetenhauswahl in Berlin angetreten war. Dieser zeigt sich sichtlich erschüttert von dem Ausgang der Wahl.
"Die Wahlniederlage sitzt tief", schreibt er auf Twitter. Er sehe das Ergebnis in erster Linie als "persönliche Niederlage" und nehme alle Verantwortung dafür auf sich. Im Anschluss an die Sitzung des Präsidiums der FDP sagt Czaja: "Wir sind angetreten, um das Wahlergebnis von 2021 zu stabilisieren oder auch auszubauen. Das ist uns nicht gelungen."
Wenn es nach der FDP geht, soll Czaja allerdings nicht das Handtuch werfen. Laut Lindner bleibt sein Parteikollege eine starke Persönlichkeit bei den Freien Demokrat:innen, auf den sie auch in der Zukunft bauen.
Auf Twitter teilt Czaja mit, dass seine Stimmung derzeit noch getrübt sei. Er freue sich aber auf alles, was kommt. "Denn was uns gemeinsam ausmacht, ist unser Optimismus und der feste Glaube an eine bessere Zukunft, sowie der Mut, die Dinge immer wieder neu zu denken", schreibt er mit dem Hashtag "#BleibenWirMutig".
Blicken die jungen Liberalen (Julis) genauso optimistisch in die Zukunft nach der Serie von Wahlpleiten? Für die Bundesvorsitzende der Julis, Franziska Brandmann, steht fest: Etwas "läuft fundamental falsch."
Im Gespräch mit dem "Spiegel" lässt Brandmann ihrem Frust freien Lauf. "Dass wir nun erneut eine Landtagswahl verloren haben, mag den einen oder anderen in der FDP dazu einladen, mehr Krawall zu fordern", sagt Brandmann. In ihr löse das Ergebnis eher Demut aus.
Wenn sich die Wähler:innen in Berlin – einer Stadt, in der so viel schieflaufe – die FDP offenbar nicht als Problemlöserin vorstellen könnten, laufe etwas grundlegend falsch.
Weiter sagt sie:
Die Juli-Chefin erwarte Kompetenz statt Krawall, Selbstreflexion statt Beißreflex – und werde sich auch selbst daran halten.
Auch die Landesvorsitzende der Julis Berlin, Cristina Turbatu, teilt ihre Enttäuschung über das Wahlergebnis. Für sie sei es ein herber Rückschlag für den organisierten Liberalismus in Berlin. Auf watson-Anfrage sagt sie:
Die Liberalen dürfen ihr zufolge jetzt nicht in "lähmende Angst und internes Selbstmitleid" verfallen. "Bis zur nächsten Wahl müssen wir eine neue Bewegung des Aufbruchs schaffen, der uns selbst erneuert", meint Turbatu. Es sei an der Zeit, den Menschen in Berlin zu zeigen, dass eine starke FDP dringend nötig sei, um die Hauptstadt in die Zukunft zu führen.