Bei einer guten alten Western-Ballerei stehen sich zwei Gegner gegenüber. Wer zuerst abdrückt, bleibt stehen. Was aber, wenn eine dritte Person dazukommt?
Dann bedroht sich jeder Kontrahent gegenseitig, keiner kann die Pistole ziehen, ohne von einem der anderen erschossen zu werden. Man nennt so eine Situation einen "Mexican Standoff" – eine Patt-Situation, in der sich die Große Koaltion zwischen SPD, CDU und CSU seit Beginn ihrer gemeinsamen Regierung vor sechs Monaten befindet.
Die lustigste Definition des "Mexican Standoff", die wir finden konnten
Auch in der Frage um die Zukunft des umstrittenen Verfassungsschutz-Präsidenten Hans-Georg Maaßen ist ein solcher Standoff entstanden.
So verzwickt ist die Situation, dass Andrea Nahles, Horst Seehofer und Angela Merkel am Donnerstagabend sogar zum Krisentreffen zusammenkamen. Eine Entscheidung soll am Dienstag folgen – es bleibt mehr als schwierig, das aktuelle Problem zu lösen.
Verfolgt hier die Entwicklungen und Hintergründe des Streits:
Maaßen hatte in einem "Bild"-Interview angezweifelt, dass ein Video über eine Hetzjagd auf Menschen mit Migrationshintergrund in Chemnitz echt sei. Beweise hatte er dafür keine. In einer Anhörung vor dem Bundestag ruderte Maaßen dann zurück und beschuldigte Medien, die Lage in Chemnitz falsch dargestellt zu haben. Gegenüber "Kontraste" sagte der AfD-Politiker Stephan Brandner, Maaßen habe ihm bei einem persönlichen Treffen am 13. Juni dieses Jahres "Zahlen aus dem Verfassungsschutzbericht" genannt, der "noch nicht veröffentlicht" gewesen sei. Maaßen bestreitet das. Mittlerweile fordern fast alle Parteien seinen Rücktritt. Außer CDU/CSU und AfD.
Das sind nun die drei Kontrahenten:
Innenminister und CSU-Chef Horst Seehofer
Seehofer hat sich zuletzt am Donnerstagmorgen hinter
seinen Verfassungsschutz-Chef gestellt. Er ist dessen oberster Dienstherr.
Maaßen habe im Kontrollgremium am Mittwoch
überzeugend
und umfassend Position gegen Rechtsradikalismus und
Verschwörungstheorien bezogen, sagt Seehofer im Bundestag.
Der Innenminister ist überzeugt:
"Deswegen hat er
weiter mein
Vertrauen als Präsident des Verfassungsschutzes."
Hinter diesem Vertrauen steckt Kalkül: Das Abdanken von Maaßen würde auch die sowieso strapazierte Glaubwürdigkeit von Seehofer und seiner Partei weiter beschädigen. Das wollte der CSU-Chef kurz vor der Bayernwahl verhindern – und das will Seehofer noch immer. Würde er Maaßen entgegen seiner Aussagen jetzt doch noch rauswerfen, wäre das ein Gesichtsverlust.
Das gilt es zu vermeiden – deswegen hält Seehofer zwei Pistolen fest in der Hand, mit denen er sowohl auf SPD als auch auf CDU zielt. Machen die Koalitionäre nicht, was er sagt, droht der nächste Koalitionskrach mit ungewissem Ausgang. Wir erinnern uns an die letzte Regierungskrise.
Die Sozialdemokraten sahen die Sache eigentlich schon am Mittwoch ähnlich wie die Parteien der Opposition. Maaßen hatte die Abgeordneten der SPD-Fraktion bei seiner Rede im Innenausschuss nicht überzeugt. Mehrheitlich waren sie unzufrieden mit der Entschuldigung des Verfassungschützers.
Dennoch konnte man im Willy-Brandt-Haus nicht sofort eine einheitliche Linie für das eigene Lager finden. Dann aber machte der Chef der Jungsozialisten, Kevin Kühnert, einen Ausfall und forderte den Rücktritt von Maaßen oder den Koalitionsbruch. Der Rest folgte.
Am Donnerstag sagte erst die stellvertretende Vorsitzende der Partei, Eva Högl, im Bundestag, dass die Sozialdemokraten das Vertrauen in Maaßen verloren hätten.
Generalsekretär Lars Klingbeil zog nach und sagte:
In diesem Moment war dann auch die Pistole der SPD hoch oben. Andrea Nahles sagte Termine ab und noch am Mittag traf man sich zum Krisentreffen im Kanzleramt – nur hat die SPD sich damit auch selbst unter Zugzwang gesetzt. Setzt sie ihre Forderung nach einem Ende von Maaßen nicht durch, droht auch ihr der Gesichtsverlust. Vielleicht nehmen die immer unbeliebteren Sozialdemokraten stattdessen sogar Neuwahlen in Kauf.
Auch Andrea Nahles hält also zwei Pistolen jeweils fest auf CDU und CSU gerichtet. Die Botschaft: Der Innenminister diktiert nicht die Agenda der Koalition, und Merkel sollte den skandalösen Verfassungsschützer rausschmeißen.
Die Bundeskanzlerin
Angela Merkel hat früher gerne lästigen Mitstreitern das "vollste Vertrauen" ausgesprochen, wenn sie sie loswerden wollte – wenn also der öffentliche Druck zu groß, oder der Widersacher zu anmaßend geworden war.
Im Fall Maaßen aber blieb die Kanzlerin bisher auffällig ruhig, auch im Bundestag fiel ihr Redebeitrag zur aktuellen Lage in einer sonst hitzig geführten Debatte kaum auf – und das, nachdem der Chef ihres Inlandsgeheimdienstes ihr öffentlich und ohne Beweise widersprochen hatte und sagte: Es habe in Chemnitz keine Hetzjagden gegeben.
Sie würde Maaßen wohl gerne aus dem Amt entlassen und richtet deshalb eine Waffe auf die CSU. Ihren Willen durchsetzen kann sie in dieser Situation allerdings nicht.
Das andauernde Dilemma
Wie bereits im Patt des Asylstreits, den die Regierung vor der Sommerpause nur knapp überlebte, steht die Chefin unter Druck.
Die SPD will Maaßen loswerden.
Die CSU will ihn halten.
Merkel braucht beide Partner, um ihre Regierung zu halten. Eine Neuwahl wäre wohl ihr Ende als Kanzlerin.
Egal, wie der aktuelle Streit ausgeht. Es ist schon das zweite Mal in kurzer Zeit, dass die Kanzlerin wegen solch eines "Mexican Standoff" ihre politischen Entscheidungen nicht durchsetzen kann. Sie bleibt dadurch eine schwache Regierungschefin.
Wird sich die CSU nach der Bayernwahl nicht inhaltlich beruhigen, und schafft es die SPD nicht, sich ohne Konfrontation ihre Wählerstimmen zurückzuholen, dann wird es in dieser Regierung noch sehr oft knallen zwischen den Partnern.
Mögliche Auswege im Fall Maaßen
Horst Seehofer könnte Maaßen hinter verschlossener Tür zum Rücktritt aus eigenen Schritten auffordern. Dann könnten alle Streitenden die Pistolen wieder einstecken und den "Mexican Standoff" zumindest in dieser Runde wieder verlassen.
Eine andere Alternative wäre, Maaßen erst einmal im Amt zu lassen. Er könnte dann nach der Bayern-Wahl abtreten. Ein Kompromiss, der die SPD allerdings nicht sonderlich gut dastehen lassen würde.
Ergebnis drei: Jemand rutscht der Finger an seiner Pistole aus, dann könnte es tatsächlich Neuwahlen geben. Das würde am Ende allen drei Koalitionspartnern schaden.
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