In Bahnhöfen hängen große Plakate, Straßenbahnen sind vollständig beklebt, bei Karrieretagen in der Schule sind sie vertreten, im Radio, im Kino, im Netz: Überall macht die Bundeswehr Werbung. Auf der Suche nach jungen Menschen, die ihre Karriere in der Armee machen wollen. Oder an der Universität der Bundeswehr studieren.
Mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat sich das Verhältnis der Deutschen zu ihrer Armee verändert. Nachdem 2011 die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, hatte es den Anschein, als würde die Truppe immer weiter aus der Mitte der Öffentlichkeit verdrängt. Niemand muss mehr die Grundausbildung absolvieren.
Als 2020 rechtsextreme Strukturen unter den Kamerad:innen aufgedeckt wurden, entflammte die Debatte: Sollte nicht doch ein Großteil der Gesellschaft den Wehrdienst absolvieren? Eine Debatte, die auch mit der von Olaf Scholz (SPD) ausgerufenen Zeitenwende wieder an Fahrt gewonnen hatte. Bisher aber hatten die jeweiligen Verteidigungsministerinnen eine Wiedereinführung der Wehrpflicht abgelehnt.
Im Frühjahr 2022 erklärte das Verteidigungsministerium auf watson-Anfrage:
Anscheinend ist das noch nicht der Fall. Und die Truppe muss daher selbst auf Personalsuche gehen. Und nutzt dafür verschiedene Möglichkeiten. So gibt es beispielsweise auf der Webseite Karrierekaserne einen Berufseignungstest.
Neben Berufen in der freien Wirtschaft gibt es auch die Möglichkeit, sich exklusiv die Karrieremöglichkeit innerhalb der Truppe anzeigen zu lassen. Und zwar mit Berufen von Panzer-Mechaniker:in über die Kasernenküche hin zum Bundeswehrorchester.
Auf watson-Nachfrage heißt es vonseiten der Bundeswehr, die Aussetzung der Wehrpflicht sowie der demografische Wandel stellten neue Anforderungen an die Personalwerbung. Eine Sprecherin der Bundeswehr in Köln präzisiert die Problematik folgendermaßen: "Sinkende Schüler- und Studienabsolventenzahlen, wachsender Bedarf an MINT-Kompetenzen oder auch die nachlassende körperliche Leistungsfähigkeit Jugendlicher seien hier beispielhaft genannt."
Das Resultat dieser Entwicklung: ein enormer Fachkräftemangel. In der freien Wirtschaft, wie auch bei der Armee. Die Bundeswehr konkurriert mit anderen Arbeitgeber:innen. Das Ziel der großen Präsenz: "Die Bundeswehr als attraktiven Arbeitgeber bei jungen Menschen zu positionieren und Interesse am Arbeitgeber Bundeswehr zu wecken." Dabei folge die Bundeswehr einem crossmedialen Ansatz.
Die Sprecherin erklärt diesen so:
Nicht nur auf Youtube informieren Vertreter:innen der Truppe über die Möglichkeiten, sondern auch bei Messen, Online-Veranstaltungen oder in Beratungsbüros. Die Sprecherin sagt: "Dabei stellen wir die vielfältigen Laufbahn-, Ausbildungs- und Berufschancen im zivilen und militärischen Bereich einem breiten Publikum an potenziellen Bewerbenden dar." Mit ihrer breiten Aufstellung ist die Bundeswehr einer der größten Arbeitgeber in Deutschland.
Aber eben auch ein spezieller Arbeitgeber. Einer, der das Land im Zweifel verteidigen soll. Und einer, der einen großen Teil seiner Beschäftigten im Umgang mit Waffen, Panzern und Haubitzen ausbildet. Aus diesem Grund gibt es gerade von Parteien – oftmals aus dem linken Spektrum – immer wieder Kritik an offensiver Werbung für den Wehrdienst.
Nach aktuellen Umfragen unter den GenZ sind die Streitkräfte trotzdem einer der beliebtesten Arbeitgeber. Laut dem Trendence-Jugendbarometer von 2021 liegen Polizei und Bundeswehr auf den Plätzen eins und zwei, was ihre Beliebtheit angeht. Trotz allem, stellt die Sprecherin klar, sind die Bewerber:innen-Zahlen rückläufig.
Ob und wie sich der Personalmangel mit Blick auf den Krieg in der Ukraine entwickeln wird, bleibt abzuwarten, meint die Sprecherin. Zwar gebe es nun ein gesteigertes Interesse an der Truppe, trotzdem ließen sich daraus bislang keine positiven oder negativen Auswirkungen auf die Bewerbungen ableiten.
Einen Nachwuchsmangel, erklärte das Verteidigungsministerium im Frühjahr 2022, gebe es bei der deutschen Armee aber nicht. "Durchschnittlich rund 35.000 Menschen befinden sich in Ausbildung, sie besetzen nach und nach offene Stellen", fügte die Sprecherin des Ministeriums an. Ähnlich bewertet die Sprecherin der Bundeswehr die Situation: Im Schnitt, erklärt sie, bewerben sich jährlich 44.000 Menschen für den militärischen Dienst.
Drei Viertel davon als Soldat:innen auf Zeit und ein Viertel für den freiwilligen Wehrdienst inklusive Heimatschutz. Im Schnitt seien die Bewerber:innen 23 Jahre alt. Nach dem Bewerbungsprozess stellte die Bundeswehr in den vergangenen Jahren jeweils rund 19.000 Soldat:innen ein. Voraussetzung dafür sei neben des erfolgreichen Durchlaufens des Bewerbungsprozesses auch der konkrete Bedarf der Streitkräfte.
Neu sei, meint die Sprecherin, dass aktuell der Anteil der Frauen höher liege als bisher. Bei den Soldat:innen auf Zeit gebe es nun einen Frauenanteil von 13 Prozent, beim freiwilligen Wehrdienst und Heimatschutz von 17 Prozent. "Weiterhin besteht ein hoher Anteil von Frauen im Bereich der Offizieranwärter von rund 28 Prozent", sagt die Sprecherin.
Wie es mit der Bundeswehr weitergeht, wird sich zeigen. Bisher sieht es nicht so aus, als würde die Wehrpflicht zurückkommen. Mit Blick auf die Bewerber:innenzahlen, die die Bundeswehr nennt, ist das wohl auch nicht nötig. Zumindest so lange, wie Deutschland nicht so konkret bedroht wird, dass es schnell mobilisierungsfähige Streitkräfte braucht.