Mord an Charlie Kirk: In den USA droht ein dunkles Zeitalter
In den sozialen Medien kursiert ein verstörender Vergleich. Der letzte Woche erschossene rechte US-Aktivist Charlie Kirk wird gleichgesetzt mit Horst Wessel, einem "Märtyrer" der deutschen Nationalsozialisten. Der SA-Mann war 1930, drei Jahre vor Adolf Hitlers Machtergreifung, von einem Kommunisten mit einem Kopfschuss getötet worden.
Die Nazis lancierten einen Personenkult um Wessel. Das von ihm getextete Lied "Die Fahne hoch!" wurde zur Partei- und nach der Machtübernahme zur zweiten Nationalhymne. Nun sind Nazi-Vergleiche per se problematisch, doch was rechte US-Politiker seit Kirks Ermordung abziehen, erinnert an die Endphase der Weimarer Republik in Deutschland.
Es begann mit Präsident Donald Trump, der in seiner ersten Reaktion nach dem Attentat im Bundesstaat Utah seinen Gefolgsmann nicht nur zu einer Art Heiligen verklärte, sondern die "radikale Linke" ohne Beweis für den Mordanschlag verantwortlich machte. Tatsächlich bleibt das Motiv des mutmaßlichen Attentäters Tyler Robinson diffus.
Tyler Robinson steht als Verdächtiger vor Gericht
Beim ersten Auftritt vor Gericht am Dienstag nannte er seinen Namen, ansonsten schwieg er. Bekannt ist bislang, dass Robinson ein leidenschaftlicher Gamer war und eine Beziehung mit einer Transperson hatte. Laut Spencer Cox, dem republikanischen Gouverneur von Utah, folgte Tyler Robinson einer "linkslastigen Ideologie", doch er habe allein gehandelt.
Es gibt keinen Hinweis, dass Robinson, der aus einer republikanischen Familie stammt, mit linken Gruppierungen verbandelt war. Das hindert Trump und Mitglieder seiner Regierung nicht daran, eine Hetzjagd auf politische Gegner zu lancieren, basierend auf "pauschalen und substanzlosen Behauptungen", schreibt die "New York Times".
Milliardär George Soros im Visier
So deuten sie an, der mutmaßliche Killer sei "Teil einer koordinierten Bewegung, die zu Gewalt gegen Konservative aufruft". Offenbar werden bereits Listen von Gruppierungen erstellt, die von der Justiz ins Visier genommen werden sollen. An erster Stelle steht die Antifa, die in den USA höchstens als lockeres Bündnis linker Aktivist:innen existiert.
Doch es trifft auch Organisationen wie die Open Society Foundations von Milliardär George Soros, einer Hassfigur der Rechtsradikalen. Ihr Ziel ist die Förderung freiheitlich-demokratischer Gesellschaften, doch für die Trump-Regierung ist dies offenbar Anlass genug, um basierend auf einem Gesetz zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens gegen sie zu ermitteln.
JD Vance macht die Linke für Gewalt in den USA verantwortlich
Das spricht Bände über die Denkweise in Trumps Maga-Welt. Vizepräsident JD Vance goss am Montag in einer im Weißen Haus aufgezeichneten Sonderausgabe von Charlie Kirks Podcast kräftig Öl ins Feuer. Zwar räumte er ein, es gebe auch bei den Rechten "Spinner", und die meisten Demokraten würden die Haltung der radikalen Linken nicht teilen.
Dennoch meinte Vance, es gebe "eine wachsende und mächtige Minderheit" am linken Rand, die er für die Mehrzahl der politischen Gewalttaten in den USA verantwortlich machte. Wie Präsident Trump letzte Woche blendete er aus, dass sich die politische Gewalt in den letzten Jahren primär gegen Exponenten der Demokraten gerichtet hatte.
"Washington Post"-Kolumnistin verliert ihren Job
Seine Regierung werde nicht gegen die "verfassungsmäßig geschützte Redefreiheit" vorgehen, sagte JD Vance. Längst nicht alle Republikaner sehen das so. Sie stellten Menschen an den Pranger, die in den sozialen Medien angeblich Charlie Kirks Tod feierten, und sei es nur, indem sie einige seiner tatsächlich grenzwertigen Aussagen zitierten.
Einige verloren ihren Job, darunter eine Kolumnistin der "Washington Post", die von Besitzer Jeff Bezos zunehmend auf Trump-Linie getrimmt wird. Das ist ganz im Sinn von Scharfmacher Stephen Miller. "Wir werden euch euer Geld und eure Macht wegnehmen und wenn ihr das Gesetz gebrochen habt, eure Freiheit", drohte er auf Fox News.
Donald Trump verklagt die "New York Times"
"Ihr werdet im Exil leben", warnte der stellvertretende Stabschef des Weißen Hauses. Deutlicher kann man kaum werden, denn Exil ist ein Begriff, der in Zusammenhang mit Unrechtsstaaten verwendet wird. Auch Donald Trump zeigt kaum noch Respekt vor der Rede- und Pressefreiheit, etwa mit seiner 15-Milliarden-Klage gegen die "New York Times".
Die im ersten Zusatzartikel der US-Verfassung festgehaltene Meinungsfreiheit war bislang eine Säule der Demokratie, die von allen politischen Lagern respektiert wurde. Nun rütteln Trumps Leute kräftig daran, und allein das zeigt den Ernst der Lage. Nicht alle haben ihn erkannt, auch nicht Ezra Klein, eine führende linksliberale Stimme in Amerika.
Will Trump die Demokratische Partei verbieten lassen?
Der Kommentator und frühere Parteistratege Jamal Simmons hingegen äußerte auf CNN die Befürchtung, Trump könnte die Demokratische Partei verbieten. Er verwies auf Stephen Miller, der sie als "extremistische Organisation" beschimpft hatte. Auch Chris Murphy, Senator aus Connecticut und eine der mutigeren Stimmen im Kongress, ist alarmiert.
"Passt auf. Etwas Dunkles könnte aufziehen", warnte er in einem Thread auf Bluesky. Lange habe die Rechte nach einem Vorwand gesucht, um die Opposition zu zerschlagen. Sie betrachte die Linke als "existenzielle Bedrohung für eine Nation mit einer weißen, christlichen Mehrheit", schrieb Murphy und legte damit den Finger auf den wunden Punkt.
Droht ein Bürgerkrieg in den USA?
Der demografische Wandel in den USA ist der Haupttreiber der Maga-Bewegung. Ihn gilt es um jeden Preis zu stoppen, auch mit der Hetzjagd auf "illegale" Eingewanderte, überwiegend Latinas und Latinos. Der Mord an Charlie Kirk liefert nun den von Murphy erwähnten Vorwand, um gegen politisch Andersdenkende vorzugehen und sie von der Macht fernzuhalten.
Ob Trump und Konsorten ihr Ziel erreichen, bleibt vorerst offen. Doch die demokratischen Institutionen in den USA sind nicht so stark, wie manche auch bei uns annehmen. Noch leisten die Gerichte Widerstand, doch auf den Supreme Court ist kein Verlass mehr. Kein Wunder, wird selbst das Extremszenario eines Bürgerkriegs nicht mehr ausgeschlossen.
Eigentlich sträubt sich alles gegen den Vergleich von Charlie Kirk mit Horst Wessel. Doch langsam gehen die Argumente aus, um ihn zu widerlegen.