Deutschland ist abhängig.
Energieabhängig, um genau zu sein.
Und zwar vor allem von Russland. Öl, Gas, Kohle: All das importiert die Bundesrepublik aus dem größten Land der Erde. Bis vor Kurzem hat noch alles dafür gesprochen, dass die umstrittene Pipeline Nord Stream 2 tatsächlich in Betrieb gehen würde. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat das nun verhindert, zumindest auf absehbare Zeit. Und er stellt Deutschland vor eine Frage, die lange von weiten Teilen der Politik ignoriert wurde: Wie können wir unabhängig werden von Russland und Putin?
Auf einer Notfallsitzung der Energieministerinnen und -minister in Brüssel Ende Februar sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne):
Die Lösung: Mit LNG-Gas, also Flüssiggas, für das zwei Terminals an der Nordsee gebaut werden sollen.
Gleichzeitig soll eine enge und langfristige Energiepartnerschaft mit Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten beim Ende der Abhängigkeit von Russland helfen. Das zumindest ist die Hoffnung der deutschen Bundesregierung und des Wirtschaftsministers.
Wie genau eine Partnerschaft mit Katar aussehen wird, ist noch nicht final geklärt. Doch Habeck ist nach dem Besuch bei Emir Tamim bin Hamad Al Thani guter Dinge: Wichtig sei den Kataris eine langfristige Partnerschaft, über Waffen als Doppelgeschäft sei aber nicht gesprochen worden, betont Habeck bei der ARD.
Das Ziel der Reise des Wirtschaftsministers ist es vor allem, Kooperationen zwischen der deutschen Wirtschaft und Katar, sowie den Vereinigten Arabischen Emiraten, zu ermöglichen. Begleitet wurde Habeck unter anderem von der Thyssen-Krupp-Chefin Martina Merz, sowie dem RWE-Chef Markus Krebber. Gegenüber dem "Handelsblatt" äußerten sich die Chefs sehr positiv über die Gespräche mit den Golfstaaten – und über das Auftreten Habecks.
Der Bundesverband der deutschen Industrie hat sich auf watson-Anfrage nicht geäußert.
Von den Vereinigten Arabischen Emiraten möchte der Wirtschaftsminister vor allem eins: Wasserstoff. Und zwar grünen – also produziert aus erneuerbaren Energien.
Doch wie könnte sich Deutschland sich frei machen von Energieabhängigkeiten? Wieso steht Katar in der Kritik? Und warum wird die russische Abhängigkeit erstmal erhalten bleiben? Darüber hat watson mit Wissenschaftlerinnen und Experten gesprochen.
Insgesamt ist Deutschland ein rohstoffarmes Land. Es ist also nur logisch, dass Öl, Gas und Kohle importiert werden – vor allem, weil gleichzeitig der Ausstieg aus der Atomkraft und der Kohle läuft, sind Öl und Gas für die Bundesrepublik enorm wichtig.
Deutschland bezieht 55 Prozent seines importierten Erdgases und rund ein Drittel des Erdöls aus Russland und ist damit der größte Importeur der EU. Jede zweite Wohnung wird in Deutschland außerdem mit Gas geheizt.
Russland nutzt diese Abhängigkeit aus.
Beispielsweise, indem die Gas-Reservetanks nicht gefüllt worden sind. Der größte westeuropäische Reservetank liegt im niedersächsischen Rehden. Er spielt eine große Rolle in der Versorgungssicherheit von Deutschland und Europa. Und er ist fast leer. Der Füllstand liegt bei drei Prozent, wie die "Deutsche Welle" schreibt. Habeck geht davon aus, dass der Speicher systematisch entleert wurde. Denn er gehört dem Unternehmen Astora, Tochterfirma des russischen Energiekonzerns Gazprom. Damit so etwas nicht noch einmal geschieht, soll zum Sommer ein Gesetz in Kraft treten, das Mindestfüllstände der Gasspeicher festschreiben soll.
Gegen die aktuelle Abhängigkeit hilft das allerdings nicht. Und ein baldiges Embargo für russisches Gas kommt laut Habeck auch erst einmal nicht infrage. "Die bittere Nachricht ist: Wir brauchen noch russisches Gas", stellt der Wirtschaftsminister in der ARD klar.
Die Abhängigkeit von Russland bleibt also erstmal bestehen. Gleichzeitig finanziert Deutschland den Angriffskrieg auf diese Weise mit.
Volker Quaschning, Professor für regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, sagt watson:
Die Partnerschaft mit Katar – dem Weltmarktführer in Sachen Flüssiggas – könnte erst einmal Abhilfe schaffen.
"Um im Fall der Unterbrechungen der russischen Gaslieferungen kurzfristig Alternativen zu haben, sind solche Partnerschaften sicher derzeit notwendig", sagt Quaschning. Er verweist allerdings auch auf die Kritik, der sich Katar, wie auch die Vereinigten Arabischen Emirate, regelmäßig stellen müssen. Der Grund: Der Umgang mit Menschenrechten.
Diese Kritik ist es, die Wenzel Michalski von der NGO Human Rights Watch, zwiegespalten auf die möglichen neuen Partner blicken lässt. Zu watson sagt Michalski:
Insofern sei die Zuwendung zum Golfstaat das kleinere Übel. Michalski hat die Hoffnung, dass Robert Habeck es tatsächlich schaffen könnte, die Menschenrechtslage in Katar durch strenge Verträge zu verbessern.
Der Menschenrechtler lobt, dass der Wirtschaftsminister die Problematik tatsächlich angesprochen hat – und fordert, dass Deutschland sich nicht zu sehr abhängig macht, sondern auch in Zukunft auf die Menschenrechte pocht. "Katar kann durch den Handel mit Deutschland auch an Reputation gewinnen. Und das könnte letztlich die Reformkräfte stärken", sagt Michalski.
Weniger optimistisch blickt er allerdings auf die geplante Wasserstoff-Partnerschaft mit den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Michalski sagt:
Der Menschenrechtler hat die Hoffnung, dass Habeck die Wahrung von Menschenrechten fest in Verträgen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten verankert. "Das Ziel darf nicht nur das Geschäft sein, sondern auch eine Annäherung im Rahmen der Menschenrechte", schließt Michalski.
Dass Deutschland nun auf ein Land wie Katar zurückkommen muss, liegt an "gravierenden energiepolitischen Fehlern", die in der Vergangenheit begangen wurden, meint Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin.
Deutschland habe sich zu sehr auf Russland verlassen: Und zwar, indem es mit Nord Stream 1 und 2 gleich zwei Pipelines direkt nach Russland gebaut habe, statt ein Flüssiggas-Terminal zu bauen.
"Das war ein Fehler", sagt Kemfert. Und weiter: "Nun müssen wir diesen Fehler beheben und kommen praktisch vom Regen in die Traufe – von einem Autokraten zum nächsten." Insgesamt dürfe Katar nur ein kurzfristiger Lückenbüßer sein, meint Kemfert. Denn Deutschland braucht Flüssiggas in den kommenden Jahren.
Klar müsse aber auch sein:
Anders sehe es bei Grünem Wasserstoff aus. Grüner Wasserstoff ist eine Möglichkeit, um den Strom aus den erneuerbaren Energien zu speichern – denn Wasserstoff kann in Energie umgewandelt werden.
Zwar könne auch Deutschland in Zukunft diesen Grünen Wasserstoff herstellen, allerdings müsste auch dann noch ein Großteil importiert werden, meint Kemfert. Wichtig sei es deshalb heute schon, die entsprechende Infrastruktur für den Import zu schaffen: Durch den Bau eines Terminals und entsprechender Pipelines. Das LNG-Gas-Terminal, das nun errichtet werden soll, könnte in Zukunft auch für Wasserstoff genutzt werden.
Spätestens 2050 möchte die Europäische Union so weit sein, gar keine fossilen Rohstoffe mehr für die Energiegewinnung zu brauchen. Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung steht, dass bis 2030 80 Prozent der Energie aus erneuerbaren Energien stammen soll. Ein Ziel, das laut Umweltbundesamt auch zum Ende der Importabhängigkeit anderer Staaten führen kann.
Auf der Website des Umweltbundesamts steht:
Die erneuerbaren Energien so auszubauen, dass Deutschland tatsächlich auf fossile Energien verzichten kann, dürfte aus Sicht von Volker Quaschning gute zehn Jahre dauern. "Vorausgesetzt, dass die Regierung sich anschickt, das Ausbautempo zeitnah sehr deutlich zu steigern", präzisiert er seine Einschätzung.
Die Energieexpertin Claudia Kemfert hat Hoffnung, dass aus der aktuellen Krise ein beschleunigter Umbau entsteht.
Sie sagt: "Die potenzielle Unabhängigkeit zu Russland muss ein Booster für erneuerbare Energien und mehr Energiesparen sein." Momentan hake es beim Ausbau der erneuerbaren Energien – schuld daran sei auch die Politik.
Kemfert fasst zusammen: