Anhänger der Putschisten versammeln sich vor der nigrischen Nationalversammlung. Hinter ihnen hängt die russische Flagge.Bild: AFP
Analyse
Nach dem Putsch ist vor dem Putsch. So oder ähnlich könnte man den Gedanken hinter der Reaktion der westafrikanischen Staatengemeinschaft Ecowas (Economic Community of West African States) interpretieren. Denn diese hat nach einem Coup in Niger mit heftigen Sanktionen reagiert und einem militärischen Eingreifen gedroht.
In Westafrika ist die Stimmung aufgeheizt. Die Demokratien werden nervös. Nicht, dass ein Militärputsch in der Sahelzone etwas Ungewöhnliches wäre – schließlich legten Guinea (2021), Mali (2021 und 2022) und Burkina Faso (zweimal im Jahr 2022) einen fruchtbaren Boden für militärische Machtergreifungen und darauf folgende Autokratien.
Doch die an westlichen Werten orientierte Ecowas sorgt sich um die Sahelzone, fordert immer wieder, dass auch die Militärregierungen wieder Wahlen abhalten.
Neu: dein Watson-Update
Jetzt nur auf Instagram: dein watson-Update!
Hier findest du unseren
Broadcast-Channel, in dem wir dich mit den watson-Highlights versorgen. Und zwar nur einmal pro Tag – kein Spam und kein Blabla, versprochen! Probiert es jetzt aus. Und folgt uns natürlich gerne
hier auch auf Instagram.
Seit wenigen Wochen sitzt Nigerias neuer Präsident Bola Tinubu der Staatengemeinschaft Ecowas vor. In seiner Antrittsrede sagte er, die Demokratien dürften nicht wie "zahnlose Bulldoggen" herumsitzen, wenn sie bedroht werden: "Wir müssen zurückbeißen."
Ecowas reagiert mit Drohung an Niger
Nun versucht man offenbar mit aller Härte, die Demokratie in Niger wieder zurückzufordern: mit Sanktionen, Grenzschließungen, Abriegelungen des Luftraums – und einem Ultimatum. Wenn die nigrische Militär-Junta den Putsch nicht innerhalb einer Woche rückgängig mache, könne eine militärische Intervention der Ecowas nicht ausgeschlossen werden.
Doch wie ernst ist die Situation tatsächlich?
Für den Sahel-Experten Ulf Laessing ist das Ecowas-Ultimatum nichts weiter als eine leere Drohung, wie er auf Anfrage von watson erklärt. Er leitet das "Regionalprogramm Sahel" in Mali für die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung.
Nigers Nachbarstaaten Mali und Burkina Faso reagierten empört darauf. Sie drohten der Ecowas: Jede militärische Intervention gegen Niger komme einer Kriegserklärung gegen Burkina Faso und Mali gleich, hieß es in einer am Montag veröffentlichten gemeinsamen Mitteilung der beiden Übergangsregierungen. Ein militärisches Eingreifen könnte katastrophale Folgen haben, die die gesamte Region destabilisieren könnten.
Droht jetzt ein offener Krieg in Afrika?
Der Chef der Präsidentengarde, General Omar Tchiani, ernannte sich selbst zum neuen Machthaber von Niger.Bild: ORTM
Das glaubt Laessing nicht. "Es wird zu keinem Krieg kommen", meint er. "Ecowas wird nicht militärisch in Niger eingreifen. Dies ist nur eine leere Drohung, um mehr Druck auf die Putschisten aufzubauen." Die Staatengemeinschaft habe überhaupt keine Eingreiftruppe und müsse es jetzt auch mit der ganzen Armee Nigers aufnehmen. Schließlich sei dem festgesetzten Präsidenten Bazoum auch keine Einheit zur Hilfe gekommen.
Experte sieht in Ecowas-Drohung eine Gefahr
Bisher hat Ecowas laut Laessing nur ein einziges Mal militärisch eingegriffen – und das war im Jahr 2017 in Gambia. Damals weigerte sich der dortige Langzeitpräsident Yahya Jammeh abzutreten. Zwar hatte er die Wahl verloren, doch noch im Dezember 2016 gab er in einer Fernsehansprache bekannt, dass er das Ergebnis nicht anerkennen würde. Er erwirkte eine Verlängerung seiner Amtszeit.
Ecowas entsandte daraufhin 4000 Soldaten ins Land – vor allem aus dem benachbarten Senegal. Damals aber, sagt Sahel-Experte Laessing, hätte die "damalige Regierung um Hilfe gebeten."
In der derzeitigen Situation sieht Laessing allerdings eine Gefahr. Er sagt:
"Ecowas' Drohung wird nach hinten losgehen und den Putschisten eher noch Zuspruch bescheren. Das konnte man schon in Mali 2022 beobachten. Damals hatte sich die Bevölkerung nach der Verhängung von Ecowas-Sanktionen hinter die Militärregierung von Assimi Goita gestellt."
Warum aber stellen sich Mali und Burkina Faso hinter die Putschisten in Niger?
Russland sieht hier seine Chance
Burkina Faso und Mali sind selbst Ecowas-Mitglieder, seit Militärputschen in ihren Ländern jedoch aktuell suspendiert. Auch in Mali und Burkina Faso hatte sich das Militär an die Macht geputscht. Der Niger war das letzte der drei Nachbarländer in der Sahelzone, das von einer demokratisch gewählten Regierung geführt wurde.
"Es lebe Russland" steht auf einem Plakat bei einem Protest in Mali.Bild: AFP / BOUREIMA HAMA
Wie Laessing erklärt, sehen sich diese Länder, zusammen mit Guinea als "panafrikanische" Allianz, die den Einfluss der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich beenden will und den Kontakt zu Russland sucht.
Während des Putsches vergangene Woche sah man etliche russische Flaggen in den Händen der Protestierenden. Selbst als Demonstrierende die französische Botschaft stürmten, taten sie dies umhüllt von den Farben Russlands.
Weg von Frankreich, hin zu Russland. Eine derartige Zuwendung zeigt auch die Geschichte eines nigrischen Geschäftsmannes, den der britische Nachrichtensender BBC porträtiert. "Ich bin prorussisch und ich mag Frankreich nicht", sagt er dem Sender. "Seit meiner Kindheit bin ich gegen Frankreich. Sie haben alle Reichtümer meines Landes wie Uran, Erdöl und Gold ausgebeutet. Die ärmsten Nigrer können wegen Frankreich nicht dreimal am Tag essen".
Frankreich und Italien bereiten nun eine schnelle Evakuierung ihrer Staatsbürger aus dem Niger vor. Die Bundesregierung riet allen Deutschen in der Hauptstadt Niamey, das Land zu verlassen.
Auch wenn Russland glorifiziert wird: Laessing glaubt nicht, dass Moskau etwas mit dem Putsch zu tun hat. "Russland und Niger haben kaum Beziehungen. Es gibt nicht einmal eine russische Botschaft in Niamey", erklärt er. Doch das könnte sich bald ändern. Denn: "Russland versucht jetzt, Einfluss zu nehmen."
Russlands Einfluss in der Sahelzone wächst
Frankreich zieht sich seit Jahren mehr und mehr aus seinen ehemaligen Kolonien zurück. 2022 hatte das Land seinen letzten Soldaten aus Mali zurückgeholt. Aus Burkina Faso ist Frankreich ebenso ausgezogen. Und das bringt Russland in der Sahelzone voran. Seit Frankreichs Rückzug aus den beiden Nachbarstaaten, versuchen prorussische Influencer, in Niger ein anti-französisches Sentiment anzuheizen, meint der Experte.
Und:
"Als der Putsch letzte Woche lief, haben Trolls versucht, die Stimmung noch zusätzlich anzuheizen, indem zum Beispiel verbreitet wurde, dass Bazoum offiziell zurückgetreten sei. Die Desinformationskampagnen werden sicher weitergehen."
Ähnlich sah es nach den Aufständen in Mali und Burkina Faso aus. Desinformationskampagnen und anti-westliche Skandierungen beherrschten die Stimmung in den Ländern. Vor allem waren und sind dafür noch immer Medienunternehmen verantwortlich, das unter dem Chef der berüchtigten Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, aufgeführt sind.
Mit seinen Trollfabriken ist Prigoschin für die russische Führung von großer Bedeutung geworden. Mit ihnen greift Russland regelmäßig in die politische Stimmung verschiedener Länder ein.
Wagner-Söldner aktiv in Mali und Burkina Faso
In Ländern wie Mali sind die Söldner des russischen Geschäftsmanns gesichert stationiert. In Burkina Faso gibt es etwaige Gerüchte. Dass Wagner-Kämpfer auch nach Niger gehen, hält Laessing allerdings für unwahrscheinlich: "Das könnte sich Niger gar nicht leisten, und Russland macht nichts umsonst."
In Mali etwa sollen russische Söldner dabei helfen, den islamistischen Terrorismus einzudämmen. Doch das funktioniert Berichten zufolge nur mäßig.
Ende 2022 hatte die EU eine Militärmission im Niger beschlossen, um den Terrorismus in der Region zu bekämpfen. Die Sahelzone zieht sich vom Senegal im Westen bis nach Dschibuti im Osten. Sie leidet seit Jahren unter einer sich ständig verschlechternden Sicherheitslage. Viele Milizen, die zum Teil dem Islamischen Staat (IS) oder der Terrororganisation Al-Kaida die Treue geschworen haben, verüben regelmäßig Anschläge.
(Mit Material der dpa)