Am 24. Februar 2023 jährt sich die russische Invasion in die Ukraine. Aus dem geplanten Handstreich wurde nichts. Stattdessen forderte die erbitterte Abnutzungsschlacht bisher über 200.000 Tote.
Ein Ende ist nicht in Sicht. Im Gegenteil.
Expert:innen sind sich sicher, dass die schlimmsten Monate des Krieges noch bevorstehen und Russland eine Großoffensive plant: "Wir wissen, wie sehr sie [die russische Regierung, Anm. d. Red.] Symbolik lieben. Wir gehen deshalb davon aus, dass sie um den 24. Februar etwas planen", erklärte der ukrainische Verteidigungsminister gegenüber dem französischen Fernsehsender BFMTV letzte Woche.
Vor allem drei Szenarien werden dabei immer wieder genannt: ein erneuter Angriff auf Kiew, ein Angriff im Süden auf Saporischschja, ein Angriff im Osten.
Vor der Invasion ging man in Moskau davon aus, dass die gegnerische Armee schnell kollabieren und die Zivilbevölkerung die Besatzer euphorisch begrüßen würde. Dementsprechend hoch waren die Ambitionen, dementsprechend dilettantisch die Angriffsbemühungen. Der kilometerlange Monsterkonvoi auf Kiew blieb stecken, wurde aufgerieben und musste unverrichteter Dinge wieder umkehren. Russland kassierte eine erste schwere Blamage. Außerdem offenbarte die Schmach vor Kiew die enormen logistischen Probleme.
Trotzdem schließen einige westliche Experten einen erneuten Angriff auf die Hauptstadt nicht kategorisch aus. Putin habe, so die Begründung, seine eigentlichen Kriegsziele noch nicht revidiert.
Der kürzeste Weg nach Kiew führt über Belarus. Dort sind aktuell 12.000 russische Soldaten stationiert. Zu wenig, um eine Millionenstadt einzunehmen. Zum Vergleich: Auch mit einem Vielfachen an Soldaten ist es Russland bisher nicht gelungen, Bachmut einzunehmen. Die Stadt im Nordosten der Oblast ist mit 70.000 Einwohnern (vor dem Krieg) um ein Vielfaches kleiner. Hinzu kommen veränderte Vorzeichen. Russland antizipierte eine wohlwollende Bevölkerung und damit eine relativ problemlose langfristige Besetzung. Doch statt Blumen gab es Trommelfeuer.
Die Frage, wie eine vor Hass triefende Großstadt kontrolliert werden kann, dürfte in Moskau für rauchende Köpfe sorgen.
Wie Luhansk und Donezk gehört auch Saporischschja zu den vier Gebieten, die sich Russland mit einem Scheinreferendum einverleibte. Und wie Luhansk und Donezk wurde auch die Oblast Saporischschja nie ganz eingenommen. Unter russischer Kontrolle ist das hiesige Kernkraftwerk, nicht aber die gleichnamige Stadt am Ufer des Dnipro und das sich darin befindende Wasserkraftwerk.
Beides wird als mögliches Ziel einer russischen Großoffensive gesehen. Dafür spricht, dass laut einem Berater des ins Exil geflüchteten Bürgermeisters von Mariupol zusätzliche 10.000 bis 15.000 russische Einheiten im südöstlich gelegenen Mariupol stationiert wurden.
In der zerstörten Stadt am Asowschen Meer haben die Besatzer derweil den Zugang zum Internet gekappt. Die Bevölkerung ist auf russische Informationsquellen angewiesen. Diese vermelden Befehle, die Städte Wuhledar und Saporischschja wie auch verschiedene Gebiete südwestlich von Bachmut und in der Oblast Saporischschja anzugreifen. Ukrainische Beobachter glauben dabei an eine reine Desinformationskampagne. Für sie ist eine Offensive im Süden kaum vorstellbar.
Die Gebiete von Luhansk und Donezk sind seit Kriegsbeginn hart umkämpft. Trotz enormem Einsatz und hohen Verlustzahlen ist es den Invasoren bisher nicht gelungen, die zwei Oblaste komplett unter Kontrolle zu bringen. Aktuell wütet der Stellungskrieg vor allem um Bachmut. Die Salzmetropole der Ukraine wurde dabei beinahe komplett zerstört.
Nun sei bei Wladimir Putin der Geduldsfaden gerissen, meldet der ukrainische Geheimdienst. Russlands Machthaber soll schon Mitte Januar den Befehl erteilt haben, die beiden Oblaste bis Ende März komplett zu erobern. An Mannstärke soll es dabei nicht fehlen. Laut dem ukrainischen Verteidigungsminister Oleksej Reznikow soll Russland rund 500.000 Soldaten mobilisiert haben.
Viele davon stünden bereits an der Grenze: "Offiziell sind 300.000 angekündigt worden, doch wir sehen die Truppen an den Grenzen. Und wir gehen von einer viel höheren Zahl aus." Es wird davon ausgegangen, dass der Kreml seine Soldaten mit wenig Rücksicht auf Verluste anrennen lassen will.
An eine Offensive in Luhansk und Donezk glaubt auch der Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats der Ukraine, Oleksij Danilow. Dort sei die Zivilbevölkerung aus ihren Häusern vertrieben worden. Dahinter stehe der Versuch, zu verhindern, dass russische Stellungen an die ukrainische Armee verraten würden.
Die meisten Experten glauben deshalb an eine Großoffensive im Osten der Ukraine. Dafür spricht auch die Rede von Waleri Gerassimow am 22. Dezember 2022. Der Oberbefehlshaber des Überfalls auf die Ukraine erklärte bereits damals, die Einnahme des Donbass sei mit das wichtigste Kriegsziel.