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Grüne in der Krise: Wie die Partei junge Wähler zurückgewinnen kann

Felix Banaszak, Co-Parteivorsitzender von Buendnis 90/Die Gruenen, Franziska Brandner, Co-Vorsitzende die Gruenen, PK nach den Gremiensitzungen und dem Fall Gelbhaar, DEU, Berlin, 20.01.2025 *** Felix ...
Felix Banaszak und Franziska Brandner, die Parteivorsitzenden der Grünen.Bild: IMAGO/Jens Schicke
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Ohne Habeck: Wie die Grünen in Zukunft an Stärke gewinnen könnten

24.02.2025, 19:22
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Die Grünen haben im Wahlkampf alles gegeben. Und doch konnte die Partei rund um Spitzenkandidat Robert Habeck laut vorläufigem Ergebnis lediglich 11,61 Prozent der Stimmen ergattern. Damit sind die Grünen zwar noch mit den geringsten Schrammen im Vergleich zu anderen Ampel-Regierungsparteien davon gekommen. Doch das Ergebnis ist alles andere als zufriedenstellend.

Kanzlerkandidat Robert Habeck jedenfalls hat am Tag nach der Wahl bekanntgegeben, künftig keine führende Rolle mehr in der Politik der Partei spielen zu wollen. Die gesamte Kampagne war auf ihn ausgerichtet, dennoch verlor die Partei Stimmen. Dabei erfreute sich der Grünen-Politiker eigentlich großer Beliebtheit, kam in den letzten Umfragen zur Kanzlerfrage vor der Wahl sogar auf Platz zwei nach Friedrich Merz (CDU).

"Hätte noch schlimmer kommen können": diesen Satz hörte man häufig vonseiten der Grünen kurz nach Bekanntwerden des vorläufigen Ergebnisses. Die erste Analyse vieler Parteimitglieder lautete gewissermaßen: Ohne den Kanzlerkandidaten wären die Grünen womöglich genauso abgestürzt wie FDP oder SPD.

Das ändert jedoch nichts an folgender Tatsache: Die Grünen werden rechnerisch nicht mehr für eine Koalition gebraucht.

Es ist also wahrscheinlich, dass sie künftig von der Opposition aus arbeiten werden. Für die Partei selbst aber stellt sich jetzt vor allem eine Frage: Was muss sie tun, um wieder stärker zu werden – und das ohne Habeck als tragende Figur? Vieles wird jetzt von der Realpolitik der Regierungsparteien abhängen. Auch die Linken dürften dabei ein erheblicher Faktor sein.

Die Grünen und der Bedeutungsverlust der Klima-Themen

Die Grünen haben eine entscheidende Entwicklung durchgemacht. Früher Protestpartei, heute eine bürgerliche Partei in der Mitte der Gesellschaft, wie auch der Frankfurter Politologe Timm Beichelt auf Anfrage von watson klarstellt. Tatsächlich ist das Bündnis 90/Grüne keine Partei der gesellschaftlichen Außenseiter mehr. Sie wird auch von gut situierten Akademiker:innen, wohlhabenden Studierenden und professionellen NGO-Strukturen getragen.

"Die Grünen haben mit der Gesellschaft, so wie sie ist und funktioniert, keine grundsätzlichen Probleme: Sie wollen Umweltschutz und Wirtschaftskraft, innere Sicherheit und Zusammenhalt, Aufrüstung und Frieden", erklärt der Experte. Damit geht laut des Viadrina-Politikwissenschaftlers jedoch auch ein Problem einher: Die Partei habe keine eindeutige Botschaft mehr.

In diesem Wahlkampf war etwa der Klimaschutz – eine der tragenden Säulen der Partei – nur ein klägliches Randthema. Die Partei setzte ihren Fokus stattdessen stärker auf wirtschaftliche Stabilität und die Sicherung des sozialen Zusammenhalts – Themen, die angesichts der wirtschaftlichen Lage und geopolitischer Spannungen an Bedeutung gewonnen hatten. Diese Schwerpunktverschiebung könnte dazu beigetragen haben, dass sie insbesondere junge Wähler:innen verloren haben.

Hinzu kommt: Robert Habeck zeigte zwar klare Kante gegen die AfD, trat aber weniger scharf auf, wenn es um die Union ging. Besonders, nachdem die Brandmauer nach gemeinsamer Abstimmung der Union mit AfD und FDP bröckelte. Diesem Umstand gibt Habeck selbst nach der Wahl eine Mitschuld am Stimmenverlust: Die Grünen konnten ihm zufolge nicht auf Kompromisslosigkeit setzen und eine Zusammenarbeit mit der Union aufkündigen. Ganz anders als die Linke.

Große Wählerwanderung von Grünen zur Linken

Die beiden Parteien fischten in ähnlichen Wähler:innengruppen. Ein Blick auf die Zahlen zeigt: Viele Stimmen hat die Partei an die Linke abtreten müssen. Laut Daten von Tagesschau/Infratest Dimap verloren die Grünen etwa 700.000 der Stimmen an die Linke.

Wählerwanderung Grüne Linke Bundestagswahl
Bild: tagesschau / Infratest Dimap

Die Linke war zudem mit 25 Prozent stärkste Kraft bei den 18- bis 24-Jährigen. Hier müssen die Grünen wohl ansetzen, wenn sie wieder auf Kurs kommen wollen.

Johannes Hillje, Experte für politische Kommunikation, glaubt deshalb: "Die Grünen müssen die Jugend zurückgewinnen." Eine zentrale Aufgabe sieht er für die Grünen darin, Wähler:innen von den Linken zurückzuholen.

Grünen-Profil: Habeck-Nachfolge und weitere Strategie sind entscheidend

Doch wie? Ihm zufolge müssen die Grünen die Zeit in ihrer wahrscheinlichen Rolle als Opposition für einen Neuanfang nutzen. Er sagt: "Die Partei hat eine solide Wählerbasis, konnte aber nach der Ampelzeit nicht darüber hinaus wirken." Die Grünen müssten an ihrer gesamtgesellschaftlichen Anschlussfähigkeit arbeiten.

Und der Politologe Beichelt glaubt: Landen die Grünen in der Opposition, hängt ein großer Teil ihres künftigen Erfolgs davon ab, ob die neue Regierung überzeugen kann – oder eben nicht. "Vielleicht würde einfach schon helfen, die bürgerlichen Uneindeutigkeiten zuzulassen und nicht immer alles besser zu wissen", sagt der Politikwissenschaftler.

Innerhalb der Partei laufen nun jedenfalls Diskussionen über die Nachfolge von Habeck. Als mögliche Kandidatin wird Franziska Brantner gehandelt, die bisher als parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium tätig war.

Ihr Name fällt vor allem deshalb häufig, weil sie als pragmatische Politikerin gilt, die sowohl mit der wirtschaftsliberalen als auch mit der linken Strömung der Partei im Dialog steht. Ob sie tatsächlich in eine Führungsrolle aufsteigt, dürfte sich in den kommenden Wochen entscheiden.

Der personelle Umbruch in der Parteispitze bietet Gelegenheit für eine Neuausrichtung – er birgt aber auch das Risiko, dass innerparteiliche Differenzen stärker sichtbar werden. Während einige Grünen-Politiker:innen eine klarere Abgrenzung zur Union fordern, plädieren andere für eine Strategie, die auf Anschlussfähigkeit in einem breiten Wählerspektrum setzt.

Die Herausforderung wird sein, einen Kurs zu finden. Einen, der die unterschiedlichen Flügel der Partei vereint und zugleich eine klare Botschaft vermittelt.

Bundestagswahl: So reagiert das Ausland auf den Sieg der Union

Das vorläufige Ergebnis der Bundestagswahl steht fest: Die Union ist Wahlsieger. Die SPD stürzt derweil ab und landet hinter der AfD auf dem dritten Platz. Grüne und Linke sind sicher im nächsten Bundestag vertreten, die FDP und das BSW haben den Einzug ins Parlament hingegen verpasst.

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