Es hagelt Kritik.
Kritik an der Arbeit von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht.
CSU-Chef Markus Söder fordert ihren Rücktritt, Grünen-Chef und Koalitionspartner Omid Nouripour bezeichnet die Waffenlieferungen an die Ukraine als "sehr unzufriedenstellend".
Ukrainische Regierungskreise nennen sie sogar eine Lügnerin. Der Hintergrund dieses heftigen Vorwurfs: Lambrechts Aussage von vor wenigen Tagen, die Ukraine habe Deutschland gebeten, Stillschweigen über den Transport von Waffen zu bewahren, soll falsch gewesen sein.
Schon zu Beginn des Krieges lachten und schimpften viele Menschen über die 5000 Helme, die Deutschland an die Ukraine senden wollte. Andere verdrehten die Augen. Der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki sagte bei einem Deutschlandbesuch auf Deutsch: "Das muss ein Witz sein."
Damals sei noch die Hoffnung gewesen, den Konflikt auf diplomatische Weise zu klären, sagte Lambrecht Ende März im Rückblick im Deutschlandfunk. Sie stellt klar, dass Deutschland von Beginn an auf der Seite der Ukraine gestanden hat.
Lambrecht ist seit Dezember neu auf dem Posten der Verteidigungsministerin. Ein Amt, das zuletzt 2005 im Kabinett Schröder von einem Sozialdemokraten besetzt wurde. Ein Ministerium, das seither in den Händen der CDU und CSU lag.
Und das Lambrecht übernommen hat, ohne ihre Vorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) zur Amtsübergabe einzuladen. Viele Mitarbeiter wurden durch den eigenen Stab der ehemaligen Justizministerin ausgetauscht. Die erste Affäre, bevor es überhaupt richtig losging.
Nun ist Krieg in Europa.
Und der Wunsch nach Verteidigung steigt. Die Angst vor einem Krieg, an dem Deutschland und die Nato aktiv beteiligt sind, wächst ebenfalls. Laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa haben 69 Prozent der Befragten Angst vor einem Dritten Weltkrieg.
Das Verteidigungsministerium ist also im Fokus wie seit Langem nicht. Genauso wie die Frau an der Spitze.
Als Christine Lambrecht im Jahr 2013 für den Bundestag kandidierte, hat sie dafür extra ein Rezeptbuch verfasst. "Apfel-Rhabarber Crumble", "Serbisches Reisfleisch" und "Schwäbische Käsespätzle" sind darin zu finden. Für ein Direktmandat hat es trotzdem nicht gereicht. Wie 2005, 2009 und 2017 ist Lambrecht über die Landesliste in den Bundestag eingezogen. Als Direktkandidatin hatte sie die südhessische Bergstraße von 1998 bis 2002 im hohen Haus vertreten.
Auf Facebook zeigt sich die Ministerin nahbar, weich und persönlich. Mit Weihnachtsgebäck zum ersten Advent, beim Abendessen kurz vor der Vereidigung der neuen Regierung und einem Selfie mit Sohnemann vor dem Tannenbaum.
Aber Lambrecht kann auch hart sein. Zum Beispiel, wenn es innerhalb des Militärs "falsch verstandene Kameradschaft", also rechtsextreme Tendenzen gibt. Oder wenn Frauen nicht die gleichen Chancen bekommen wie ihre männlichen Kollegen. Oder wenn sie sich auf die Seite der Ukraine stellt und Putin verurteilt.
Bei der Wahl 2021 ist Lambrecht nicht angetreten. Sie ist also kein Mitglied des Deutschen Bundestages. Und sie ist eine Überraschungskandidatin für das Verteidigungsministerium.
Auf unzähligen Listen, die wie immer nach der Wahl und vor der Vereidigung der neuen Regierung durch die sozialen Netzwerke gegeistert waren, stand der Name Lambrecht nicht neben dem Verteidigungsministerium. Auch wenn bereits im November davon ausgegangen wurde, dass die Südhessin erneut einen Ministerinnenposten übernehmen würde.
Das Ministerium, für das sie gehandelt wurde, ist das, das nun von ihrer Genossin Nancy Faeser geleitet wird: das Innenministerium.
Mit Blick auf bisherige Qualifikation und Erfahrung der Parteilinken Lambrecht wäre das naheliegend gewesen.
Die Juristin stand in der vergangenen Legislaturperiode dem Justizministerium vor. Sie war außerdem Ministerin für Verbraucherschutz – und ab Sommer 2021, nach dem Abgang Franziska Giffeys (SPD), auch Familienministerin.
Lambrecht hat also Erfahrung als Ministerin.
Bei einem Besuch des Think Tank Atlantic Council Ende März erklärte Lambrecht, wie Deutschland zur neuen Rolle in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik gefunden habe:
Ein Sondervermögen, mit dem Mängel behoben werden müssen, die sich in den vergangenen Jahren eingeschlichen haben: fehlende Ausrüstung, kaputtes Gerät. Denn Deutschland hat in den vergangenen Jahren immer weniger, als die von der Nato festgelegten zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Truppe investiert. Das soll sich künftig ändern.
Die Bundestagswehrbeauftragte Eva Högl (SPD) hatte im Februar, zur Eskalation des Krieges, mitgeteilt, dass es deutschen Soldaten in Litauen sogar an warmer Unterwäsche fehle. Der oberste deutsche Heeresgeneral Alfons Mais hatte im Netzwerk LinkedIn veröffentlicht, dass die Bundeswehr "mehr oder weniger blank" dastehe.
Deutsche Soldaten, die im Ernstfall dieses Land verteidigen sollen, könnten also daran scheitern, dass ihr Equipment versagt. Ein Zustand, der sich über viele Jahre eingeschliffen hat, der dann und wann für Belustigung und Aufregung gesorgt hat, aber um den sich die Bevölkerung auch nicht lange gekümmert hat.
Es war ja Frieden in Europa.
Jetzt ist Krieg auf dem Kontinent und Lambrecht muss die Suppe auslöffeln, die sie selbst nicht gekocht hat.
Bereits bei ihrem Antritt – also gute zweieinhalb Monate bevor der Russland-Ukraine-Konflikt eskalierte – hatte Lambrecht erklärt, sie wolle aufräumen. Sie versprach, das berüchtigte Beschaffungswesen der Bundeswehr zu modernisieren, den Soldatenberuf attraktiver zu gestalten und Auslandseinsätze zu evaluieren.
Die Ministerin will – um flexibler zu sein – die Obergrenze für kleinere Anschaffungen auf 5000 Euro anheben. Das heißt konkret, dass beispielsweise lange Unterhosen nicht mehr zwingend ausgeschrieben und Preise diverser Anbieter verglichen werden müssen. Stattdessen könnte das Ministerium sie bis zu einem Wert von 5000 Euro einfach und schnell besorgen und der Truppe zur Verfügung stellen.
Lambrecht beginnt, die Scherben ihrer Vorgängerinnen und Vorgänger aufzukehren, könnte man sagen.
Doch so einfach ist es nicht.
Denn seit Ende Februar greift Russland die Ukraine an. Und in diesem Krieg hat sich die Ministerin schon mehrere Fehltritte geleistet oder zumindest für Irritation gesorgt.
Nicht nur die 5000 Helme für die Ukraine – die auch noch lange auf sich warten ließen – werden Lambrecht angekreidet, sondern das generelle Problem mit den Waffenlieferungen: Von 2700 versprochenen Flugabwehrraketen sollen etwa nur 500 angekommen sein. Danach seien die Möglichkeiten der Bundeswehr ausgeschöpft gewesen. Verschärft hat sich die Kritik nun, nachdem Lambrecht die Lieferung von Schützenpanzern an die Ukraine abgelehnt hat.
CSU-Chef Markus Söder hat daraufhin gefordert, der Ukraine mehr Waffen zu liefern. Er hat Bundeskanzler Olaf Scholz nahegelegt, das Kabinett umzustrukturieren – und Lambrecht abzusägen.
Konkret geht es um 100 Schützenpanzer des Typs Marder und andere schwere Waffen, die die ukrainische Regierung von der Bundesregierung angefordert hatte. Wie die Zeitung "Welt" berichtete, lehnte das Verteidigungsministerium den Wunsch der Ukraine ab. Auf Nachfrage der Zeitung gaben Mitarbeiter des Ministeriums an, dass sich alle verfügbaren Marder in Nato-Verpflichtungen befänden.
Wie die "Welt" allerdings in einem anderen Artikel schreibt, soll Lambrecht die Waffenlieferungen verschleppt haben. Während das Rüstungsunternehmen Rheinmetall dem Verteidigungsministerium und der Regierung einen Vorschlag unterbreitet hätte: Der Rüstungskonzern habe angeboten, Luftabwehrsysteme und Schützenpanzer im Wert von einer halben Milliarde Euro kurzfristig an die Ukraine zu liefern – oder den Bestand der Bundeswehr rasch aufzufüllen.
Brisant: Die Liste der Waffen, die Rheinmetall schnell liefern könnte, soll das Verteidigungsministerium bereits vier Tage nach Kriegsbeginn erhalten haben, also am 28. Februar. Mitte März hatte Lambrecht angegeben, die Waffenarsenale der Bundeswehr seien "erschöpft", weshalb es keine weiteren Lieferungen geben könne.
Wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, soll jetzt Bewegung in die Sache kommen. Es liege der Regierung eine Liste mit Rüstungsgütern im Wert von etwa 300 Millionen Euro vor, die kurzfristig an die Ukraine geliefert werden könnten. Und zwar direkt von der Industrie. Laut der Zeitung hegt die Verteidigungsministerin keinerlei Bedenken gegen diese Lieferungen. Allerdings müsse dieser Schritt noch mit dem geheim tagenden Bundessicherheitsrat abgestimmt werden.
Mittlerweile seien Verträge zwischen der Bundesregierung und Rheinmetall geschlossen worden, sagte der Rheinmetallchef Armin Papperger gegenüber der "Welt". Wie die Zeitung allerdings aus Regierungskreisen in Kiew erfahren haben will, sei noch keine neue Waffe in das Land geliefert worden, sondern ausschließlich benutztes Gerät der deutschen Bundeswehr.
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), ist Lambrecht jüngst zur Seite gesprungen. Sie sagte zur dpa:
Denn was auch zur Wahrheit gehört: Über Waffenlieferungen, Schutzausrüstung und Co entscheidet die Verteidigungsministerin nicht in Personalunion. Genauso wenig, wie Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) alleine entscheiden kann, russische Gaslieferungen sofort zu stoppen. Oder ein Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), die Impfpflicht ab 18 Jahren einzuführen.
Auf Twitter fordern mittlerweile Nutzer, Ex-Soldaten auf den Chef-Posten des Verteidigungsministeriums zu setzen. Tatsächlich aber muss das nicht zwingend die bessere Lösung sein: Ministerinnen und Minister stehen zwar einem Ministerium vor. Trotzdem gibt es dort auch abseits der Führungsperson Referenten und Expertinnen in den verschiedenen Bereichen.
Lambrecht selbst muss also nicht gedient haben, um gute Entscheidungen zu treffen. Sie sollte aber auf ihre Berater hören, sich mit Soldatinnen austauschen. Kurz: Sie muss das Verteidigungsministerium und die Armee verwalten.
Am Ende gilt für Lambrecht, wie für das restliche Kabinett, dass sie in ihre Position finden muss. Und, dass sie dringend an ihrer Kommunikation arbeiten muss. Denn, wie Wirtschaftsminister Habeck aktuell beweist: Eine offene Kommunikation – auch von Problemen – kann Verständnis und Vertrauen schaffen.