Seit mehr als zwei Jahren wehrt die Ukraine den Angriffskrieg Russlands ab. Ohne die Unterstützung des Westens wäre das auf lange Sicht nicht möglich. Doch genau diese Hilfe kritisieren viele populistische, pro-russische Parteien und machen sich die Kriegsmüdigkeit der Menschen in Europa zu Nutze.
Warum all das Geld und die Ressourcen in die Ukraine stecken, wenn es daheim dringend benötigt wird, fragt sich etwa BSW-Chefin Sahra Wagenknecht bei einer Kundgebung in Berlin.
Es erinnert an die "America First" Mentalität der Trump-treuen Republikaner. Auch sie hetzen gegen die Ukraine, blockierten monatelang das Ukraine-Hilfspaket.
Wagenknecht betont immer wieder die Gefahr vor einer nuklearen Eskalation. Auch die als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestufte AfD springt auf den anti-ukrainischen Zug auf und wettert gegen die deutschen Hilfen für das angegriffene Land.
Was die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht offenbar eint: eine positive Haltung zu Russland.
So boykottierten Abgeordnete beider Parteien die Rede von Wolodymyr Selenskyj im Bundestag. Dieser appellierte: "Es ist unser gemeinsames Interesse, dass Putin diesen Krieg verliert." Expert:innen stimmen ihm zu. Russlands Aggression würde nicht mit einem Sieg über die Ukraine Halt machen.
Doch soll das Blutvergießen nun ewig weitergehen, fragen sich die Menschen in Europa – die Ukrainer:innen wohl am allermeisten. Sie wollen Frieden; aber der Frieden, den Putin ihnen anbietet, hat "nichts mit echten Verhandlungen zu tun", sagt Russland-Experte Stefan Meister auf watson-Anfrage.
Kurz vor dem Schweizer Friedensgipfel für die Ukraine präsentiert Russland erneut seine Bedingungen für Verhandlungen. So soll die Ukraine ihre Nato-Pläne und vier besetzte Gebiete aufgeben: Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja. Dann "werden wir sofort, buchstäblich in derselben Minute, das Feuer einstellen und Gespräche aufnehmen", verspricht Putin.
Wagenknecht zeigt sich angetan und fordert eine Offenheit für Putins Friedenslösung in der Ukraine zu zeigen. "Die Ukraine und der Westen sollten den historischen Fehler vermeiden, die Signale aus Moskau brüsk als unrealistische Maximalforderungen zurückzuweisen", meint sie.
"Stattdessen sollte Putins Initiative mit der notwendigen Ernsthaftigkeit aufgegriffen und als Ausgangspunkt für Verhandlungen begriffen werden."
Doch die Ukraine und der Westen schlagen das "Angebot" von Putin aus. Aus guten Gründen: "Weil es keine Friedensangebote sind, sondern im Prinzip Aufforderung zu Kapitulation ohne jegliche Sicherheitsgarantien", sagt Meister. Zudem soll die Ukraine vier Gebiete abgeben, die Russland noch nicht vollständig erobert hat.
Brisant: Unter der Annahme, dass die Gebietsgewinne im gleichen Tempo weitergehen, würde Russland für eine Besetzung der vier beanspruchten Regionen über 14 Jahre brauchen. Insbesondere eine vollständige Eroberung Chersons sei in der derzeitigen Lage unwahrscheinlich, heißt es in einem Bericht von "Meduza".
Für die Ukraine haben Neutralität und die Sicherheitsgarantien nach dem Ende des Kalten Krieges nicht verhindern können, dass Russland das Land zweimal angegriffen hat, sagt Meister.
Warum sollen diese Zusagen Putins jetzt irgendeinen Wert haben? Warum soll die Ukraine etwas akzeptieren, was ihr keinerlei Sicherheit oder ein Ende des Krieges garantiert, fragt er sich.
"Putin lügt sogar mit Blick auf die Kriegsziele, er stellt inakzeptable Maximalforderungen ohne irgendwelche Garantien", führt der Experte aus. Dazu erhofft er sich wohl ungestraft davonzukommen. Meister betont hierbei all die zerstörten Gebiete und getöteten Menschen.
"Was ist mit der juristischen Verfolgung von all den brutalen Dingen, die Russland in der Ukraine angerichtet hat?" Ohne Gerechtigkeit gebe es keinen Frieden in Russland. Dazu müssten auch die Schuldigen verurteilt werden, meint der Politikwissenschaftler von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
Selbst Italiens rechtsradikale Ministerpräsidentin Giorgia Meloni findet deutliche Worte zu Putins Friedensvorschlag für einen Waffenstillstand: "Es scheint mir eher ein Propagandaschachzug zu sein als ein echter".
Diese sogenannten Friedensangebote seien vor allem eine Desinformationskampagne im Vorfeld der Schweizer Friedenskonferenz gewesen, meint Meister. "Sie sollte von den dortigen Diskussionen ablenken und imitieren, dass Russland Interesse an Frieden hat."
Putins Bedingungen sind laut ihm aber so konstruiert, dass sie nicht akzeptabel sind und nicht zu Frieden führen werden. Denn sie geben der Ukraine keinerlei Garantien.
Fakt ist: Die Ukraine kann sich Meister zufolge nicht auf Putin verlassen, "in keinerlei Hinsicht". Er habe klargemacht, dass er immer das Ziel verfolgen wird, die Ukraine zu erobern. "Somit zielen die Friedensangebote auf die Personen in westlichen Ländern, die nicht verstehen, was Putins Russland will: die Eroberung und Zerstörung der Ukraine."
Das habe nichts mit echten Verhandlungen zu tun, sondern soll vor allem die Unterstützung der Ukraine schwächen, meint Meister. Laut ihm sollen sie die Gruppen stärken, die den Krieg beenden wollen und bereit sind, die Ukraine dafür unter Druck zu setzen.
Am Ende sei es ein "vergiftetes Friedensangebot", dass letztlich zu keinerlei Frieden führen werde. Vor allem soll es die westlichen Debatten beeinflussen und denen Argumente geben, die sagen, Russland wolle ja Frieden, führt der Politikwissenschaftler aus.
Fast 80 Länder forderten bei dem Friedensgipfel vom 15. bis 16. Juni, dass die "territoriale Integrität" der Ukraine die Grundlage für ein Friedensabkommen sein sollte.
Russland war von den Gesprächen ausgeschlossen. Viele teilnehmende Länder äußerten laut der "Associated Press" die Hoffnung, dass Russland in Zukunft an einem Fahrplan für den Frieden mitarbeiten könnte.
Am Ende müsse die Ukraine militärisch dauerhaft so gestärkt werden, dass Russland einsehe, dass es keine weiteren Gebiete erobern kann, sagt Meister.
Zudem braucht Kiew laut ihm Sicherheitsgarantien, "die den Preis für Russland so erhöhen, dass es die Ukraine nicht weiter angreift und Interesse daran hat, in Verhandlungen über eine Beendigung des Krieges zu treten."
Alles andere werde nur dazu dienen, dass Russland Zeit gewinnt, um sich neu aufzurüsten. "Europa und der Westen müssen Moskau glaubhaft deutlich machen, dass sie einen Sieg der Ukraine dauerhaft unterstützen", fordert der Russland-Experte.
Dazu müssen sie die Ukraine entsprechend militärisch ausstatten, "erst dann könnte Moskau zu Verhandlungen bereit sein".