Die Linke ist im Grunde nicht eine einzige Partei, sondern eine Zweckgemeinschaft unterschiedlichster ideologischer Strömungen. Das ist durch ein jüngst geleaktes Schreiben zum Ukraine-Krieg erneut offenbar geworden.
In dem internen Papier, bei dem es sich nach Parteiangaben um eine "Sitzungsnotiz" eines Mitglieds des Ältestenrates handelt, stand ursprünglich unter anderem der Satz:
Mehrere Linke-Politikerinnen und Mitglieder distanzierten sich von dieser Darstellung, darunter der Bundesgeschäftsführer der Partei, Jörg Schindler.
Bei dem Ältestenrat handelt es sich um ein Konsultationsgremium, das sich "schwerpunktmäßig zur Entwicklung der Partei, zu Bündnis- und internationale Fragen, zur Geschichte der Linken und zu möglichen Konsequenzen für die sozialistische Programmatik verständigen" soll.
Vorsitzender ist der 94-jährige ehemalige SED-Funktionär Hans Modrow, der mehrere Jahre Mitglied des Zentralkomitees der DDR-Staatspartei war. Modrow war von November 1989 bis April 1990 der letzte sozialistische Regierungschef der DDR.
Der Russland-Leak ist nur die neueste Episode der innerparteilichen Debatte über Krieg, Frieden und das Verhältnis zu Russland innerhalb der Partei.
Zu der offiziellen Position, bei dem russischen Überfall auf die Ukraine handle es sich um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, mussten sich viele Linke erst innerlich überwinden.
Und zwar so sehr, dass sich der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Gregor Gysi, zu einer – selbst für die Linke bemerkenswerten – offenen Konfrontation genötigt sah.
Wegen Barrikadenkämpfen wie diesen drohte die Bundestagsfraktion in der Vergangenheit mehr als einmal zu zerbrechen. Ihre Mitglieder stehen einander teils unversöhnlicher gegenüber als in jeder anderen im Parlament vertretenen Partei.
Der Überfall Russlands auf die viel kleinere Ukraine fügte dieser unendlich erscheinenden Geschichte ein neues Kapitel hinzu. Und wieder einmal berührt dieser Streit – wie zuletzt zum Beispiel die Debatte um "offene Grenzen für alle" im Jahr 2018 – die Wurzel des linken Selbstverständnisses.
Traditionell gibt es eine große Nähe der traditionellen linken Bewegung zu Russland. Es sind dies teils nostalgische Erinnerungen an die Zeit der Sowjetunion, als aus ihrer Sicht der real existierende Sozialismus und die kommunistische Idee noch nicht durch sich selbst blamiert am Boden lagen.
Andere stramme Ideologinnen wünschen sich diese Verhältnisse offenbar gar zurück: Für sie gilt Russland nach wie als Bollwerk gegen einen als imperialistischen Aggressor verstandenen Westen: Allen voran sind damit die USA gemeint.
Aber auch Deutschland, wie die auf den KPD-Mitbegründer Karl Liebknecht zurückgehende Parole "Der Hauptfeind steht im eigenen Land" zeigt.
Zuletzt hatte die Berliner Linksjugend dies mit Blick auf den Ukraine-Krieg zitiert.
Auf der anderen Seite innerhalb der Linken stehen die sogenannten Reformer oder auch Realos. Diese arbeiten seit Jahren an einem politischen Update der Partei – und damit an der Abkehr von alten Überzeugungen und Positionen, die aus ihrer Sicht nicht zu einer demokratischen Linken des 21. Jahrhunderts passen.
Sie versammeln sich vor allem im "Forum Demokratischer Sozialismus" (FDS). Unter den Mitgliedern dieses Parteinetzwerkes gibt es viel Sympathie für die USA, Israel und die Nato – auch wenn dies eher in Hintergrundgesprächen offenbart wird.
Passend dazu hat sich der ehemalige Vorsitzende des FDS, Stefan Liebich, mittlerweile für längere Zeit in die USA verabschiedet. 2019 schrieb er in einem Beitrag für die parteinahe Zeitung "Neues Deutschland":
Die nun geleakte "Sitzungsnotiz" zu Russland bezieht sich auf den Bundesparteitag, der vom 24. bis 26. Juni 2022 in Erfurt stattfinden soll. Dieser sei "nicht nur mit einer Aufkündigung der friedlichen Koexistenz konfrontiert, sondern auch mit einer Belastung und Gefährdung des sozialen Friedens", heißt es in dem Schreiben.
Auf dem Parteitag dürfte es mal wieder hoch hergehen. Vergangene Parteitage haben gezeigt, wie leidenschaftlich, oft ruppig und manchmal offen feindlich sich die Genossinnen und Genossen auf offener Bühne angehen können.
Zum allgemeinen internen Frust kommen schwache Umfragewerte und tiefe Sinnkrisen bei vielen Mitgliedern.
Der Linken steht ein heißer Sommer bevor.