"Hetze", "Fake News", "Unverantwortlich" – CDU und CSU müssen in jüngster Zeit viele Vorwürfe über sich ergehen lassen. Die Kritik nimmt nicht ab – beidseitig. Da sind die Ampelparteien, die der Union vorwerfen, eine unanständige Blockadehaltung einzunehmen. Da sind die Sozialverbände, die den Christdemokrat:innen vorwerfen, soziale Kälte zu versprühen.
Und dann ist da die Union, die alle anderen kritisiert, ideologiegetrieben zu sein. Unvernünftig und ohne jegliche Bereitschaft zum Kompromiss. Die Rolle als Oppositionsführerin, so macht es den Eindruck, ist noch immer unbequem für die Union. 16 Jahre hat sie die deutsche Bundesregierung angeführt – einiges, was sie heute kritisieren muss, haben ihre Parteimitglieder zu verantworten.
Denn: Viele Beschlüsse einer Legislaturperiode treten erst Jahre später in Kraft. Und dann stolpert womöglich eine spätere Regierung über sie. So wie die Ampel im Bereich der Energieabhängigkeit. Ein Versäumnis von Union und SPD unter Kanzlerin Merkel.
Die CDU arbeitet bereits seit einigen Jahren an einem neuen Grundsatzprogramm – eine neue Programmatik. Für eine konservative Partei in einer modernen Zeit. Bis zur Europawahl 2024 soll es fertig sein. Eine lange Zeit, in der die Christdemokrat:innen nach ihrem Platz suchen.
Am Wochenende findet der Deutschlandtag der Jungen Union statt. Neben der Neuwahl des Vorstandes wird dort naturgemäß auch die Parteispitze ihr Fett wegbekommen.
Aber wie kann Oppositionsarbeit nach einer so langen Zeit an der Macht aussehen? Was macht die Union aktuell falsch? Darüber hat watson mit Kommunikationsexperten gesprochen.
Aus Sicht des Politikwissenschaftlers Stefan Marschall kann sich das Spitzenpersonal der Union von der Regierung Angela Merkels distanzieren – sie seien nämlich persönlich nicht daran beteiligt gewesen. Exemplarisch nennt er den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, sowie Generalsekretär Marco Czaja. Marschall ist Professor und Prorektor an der Universität in Düsseldorf.
Er sagt:
Die Präsentation von Alternativen und die Kritik am Handeln der Regierung sei im Grunde die Aufgabe der Opposition, meint der Experte. Der konfrontative Kurs, den die Union in puncto Bürgergeld eingeschlagen hat, sei Teil der Oppositionsarbeit. Ebenso wie die Blockade von Gesetzen im Bundesrat.
Insgesamt, stellt Marschall klar, sei eine harte Oppositionslinie in der aktuellen Zeit allerdings schwierig. Grund dafür: Der Krieg in der Ukraine. Die Opposition wolle das außenpolitische Regierungshandeln nicht beeinträchtigen.
Genau das war im Frühling im Bundestag zu beobachten: Nach der "Zeitenwenderede" von Kanzler Olaf Scholz (SPD) unterstützte die Union die Ampel in vielen Belangen. Zum Beispiel bei der Frage, ob schwere Waffen in die Ukraine geliefert werden können. Beim Sondervermögen für die Bundeswehr. Bei der Aufrüstung Deutschlands.
Erst im Frühsommer, so macht es den Eindruck, kippt die einträchtige Stimmung. CDU-Chef Friedrich Merz hat endgültig in die Rolle der Opposition zurückgefunden. Was die Ampel tut, reicht nicht. Merz wirft Kanzler Scholz "Irreführung" vor, denn – wir erinnern uns – Waffenlieferungen ließen auf sich warten. Der Ringtausch hakte.
Gerade Parteichef Friedrich Merz wird im Zusammenhang mit seiner Kritik hin und wieder Populismus vorgeworfen. Unvergessen zum Beispiel die Aussage zum "Sozialtourismus", die er mit Blick auf Geflüchtete aus der Ukraine tätigte. Auch die bayerische Schwesterpartei CSU schießt auf ihrem Twitter-Profil immer wieder über das Ziel der konstruktiven Kritik hinaus.
Aus Sicht von Marschall ist die Versuchung, als Opposition populistisch zu argumentieren, groß. Er räumt aber ein:
Einen platten antielitären Populismus könnten sich Parteien, die auf Landesebene regieren, nicht leisten, meint Marschall.
Für Johannes Hillje, Experte für strategische Kommunikation, ist klar: rechtspopulistische Rhetorik schadet der Union sogar.
In der Opposition bewege sich die Union zwischen Konfrontation und Konstruktivität – in letzter Zeit sei sie aber immer öfter mit populistischen Stilmitteln aufgefallen. Sie "schürte Ressentiments gegen Geflüchtete oder operierte mit Halbwahrheiten beim Bürgergeld", fasst der Experte zusammen.
Hillje erklärt gegenüber watson:
Für das neue Grundsatzprogramm, das die CDU bis 2024 erarbeiten möchte, ist aus Sicht von Hillje eine kritische Aufarbeitung der Fehlannahmen und Versäumnisse in der Geo- und Energiepolitik unter Merkel unabdingbar.
Die Union muss ihren Platz auf der Oppositionsbank also noch suchen – irgendwo zwischen harter Kante, roter Linie und doch jenseits populistischer Scheinlösungen. Diskutiert wird sicherlich auch auf dem Deutschlandtag der Jungen Union – und beim Ringen um das neue Grundsatzprogramm.