An diesem Mittwoch wird der Prozess gegen die mutmaßlich linksradikale Aktivistin Lina E. in Dresden fortgesetzt. Ihr wird vorgeworfen, der Kopf einer linksextremen militanten Gruppe zu sein, die Jagd auf mutmaßliche Rechtsradikale gemacht haben soll.
Das vor drei Monaten begonnene Verfahren geht nur schleppend voran, auch weil die Beweisaufnahme umfangreich ist. Weitere Verhandlungstermine werden daher bis vorsorglich Ende März 2022 angelegt.
Die als "Gruppe E." bezeichnete Vereinigung soll von 2018 bis 2020 mehrere Personen aus der Neonazi-Szene überfallen haben. Lina E., der dabei eine Schlüsselrolle zugeschrieben wird, steht seit Anfang September vor Gericht. Die Anklage lautet Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung und schwerer Landfriedensbruch.
Das Verfahren rückt die linksradikale Szene ins Rampenlicht und wirft die Frage auf: Wie militant ist die Szene und wie ist sie organisiert?
Beim Bundesamt für Verfassungsschutz verweist man auf Anfrage von watson auf Äußerungen des Präsidenten Thomas Haldewang. "Diese Szene nimmt den Tod von Menschen billigend in Kauf", sagte er Ende September bei einer öffentlichen Anhörung.
Er spricht von kleinen klandestinen – also geheimen – Gruppen, "die planmäßig Anschläge begehen, gegen Sachen, zum Beispiel von Baufirmen, die an missliebigen Bauprojekten beteiligt sind, aber auch Gewalt gegen Personen, wie den politischen Gegner und die Polizei".
Dass es noch nicht zu Todesfällen gekommen ist, sei eher einem glücklichen Zustand zu verdanken.
Was ist dran an den Äußerungen des Verfassungsschutz-Chefs? Hier lest ihr die wichtigsten Fragen und Antworten.
Der Verfassungsschutz geht für das Jahr 2020 von rund 34.400 Personen aus, was einer Steigerung um 2,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Die Zahl der gewaltorientierten Aktivisten stieg der Behörde zufolge um 4,3 Prozent auf 9.600 Personen an. Damit wäre jeder vierte Linksradikale als gewaltorientiert einzustufen
Sehr divers. Es gibt eine Vielzahl an Bündnissen, Vereinen, eigenständigen Gruppen, Redaktionskollektiven, Wohnprojekten, Parteien und lokalen Zusammenschlüssen. Diese sind wiederum ideologisch breit aufgefächert, und zwar so sehr, dass es zahlreiche innerlinke Konflikte, Fehden und Kleinkriege gibt.
Ein klassisches Beispiel aus der jüngeren Geschichte ist der Zwist zwischen den "Antideutschen" und den "Antiimperialisten".
Erstere brechen bewusst mit vielen Traditionen der historischen linken Bewegung. Sie lehnen die Verherrlichung autoritärer Regime und deren Anführer ab, damit ist zum Beispiel der Kult um die kommunistischen Ikonen Josef Stalin und Mao Tse-tung gemeint.
Dafür positionieren sie sich klar pro-israelisch und in vielen Fällen pro-westlich, was auch die USA mit einschließt. Sie setzen eher auf politisch-theoretische Bildung (vor allem die "kritische Theorie") statt auf körperliche Auseinandersetzungen.
Diese ist hingegen eher bei den sogenannten Antiimperialisten zu finden. Die Strömung folgt weitgehend der traditionellen Linie der historischen Linken. Unter ihnen gibt es viele Anhänger von wahlweise Josef Stalin, Diktator der Sowjetunion von 1927 bis 1953, oder dem kommunistischen Revolutionär Leo Trotzki.
Auch der Mitbegründer der Kommunistischen Partei Chinas, der spätere Staatspräsident der Volksrepublik Mao Tse-tung, gehört dazu.
Die Antiimperialisten wenden sich, wie der Name sagt, gegen den "Imperialismus", womit in der Regel geopolitische, militärische und andere Aktivitäten westlicher Staaten wie USA und Israel gemeint sind.
Dafür unterstützen sie als revolutionär verstandene Organisationen, Gruppen, Parteien und Machthaber weltweit. Darunter fallen etwa der mittlerweile verstorbene ehemalige Präsident Venezuelas, Hugo Chavez, die kommunistische Partei Kubas und radikale Palästinenser-Organisationen.
Beide Gruppierungen – Antideutsche und Antiimperialisten – sind in der Vergangenheit immer wieder auch in gewalttätigen Auseinandersetzungen aneinandergeraten.
Daneben gibt es noch weitere Strömungen wie Anarchisten, eher undogmatische Punks, die Hausbesetzerinnen-Szene, Autonome, eher moderate Sozialistinnen und ideologisch eher unflexible Kommunisten.
Die größte Partei des linken Spektrums ist Die Linke, die viele der genannten Strömungen in sich vereint.
Die "Antifa" ist, anders als manche Verschwörungstheoretiker behaupten, kein eingetragener Verein und wird auch nicht von Steuergeldern finanziert. Ein "Demogeld", wie vor allem rechte Kräfte behaupten, gibt es nicht.
Der Ursprung für diesen in rechten Kreisen populären Mythos ist ein satirischer Post der linken Szene in den Sozialen Netzwerken, der von vielen Rechtsextremisten ernst genommen wurde und sich verselbstständigt hat.
"Antifa" ist ein Sammelbegriff für linke, eben antifaschistische Aktivisten allgemein, die im Kampf gegen Rechtsextremisten verschiedene Bündnisse bilden.
Diese Bündnisse handeln meist jeweils lokal und kommen ansonsten eher sporadisch auf großen Demonstrationen oder anderen bundesweit beworbenen Veranstaltungen zusammen. Eine einheitliche politische Linie oder Aktionsform gibt es nicht. Pauschale Aussagen über "die Antifa" sind daher schwierig.
Die Ermittler heben besonders die Gewalttaten hervor. Diese beliefen sich 2020 auf 1.237 Delikte, davon fünf versuchte Tötungsdelikte und 423 Körperverletzungsdelikte.
Brandstiftungen seien mit 173 Delikten im Vergleich zu 2019 "moderater angestiegen". Dazu kämen 321 Fälle von Landfriedensbruch, im Vorjahr waren es demnach 72 gewesen. Die Zahl der Sachbeschädigungen stieg den Angaben zufolge um 6,1 Prozent auf 3.734 Delikte.
Die meisten linksextremen Straftaten hat es dem Verfassungsschutzbericht zufolge in Nordrhein-Westfalen mit 1.394 Delikten, in Berlin mit 1.269 und in Sachsen mit 1.084 Taten gegeben.
Abseits der Kriminalstatistik gibt es verschiedene Orte linksradikaler Subkultur im gesamten Bundesgebiet.
Leipzig ist eine Hochburg im Osten der Republik. In Hamburg trifft sich die Szene vor allem in dem autonomen Zentrum "Rote Flora" im Schanzenviertel. Berliner Linke und Linksradikale sind vor allem in den Stadtteilen Kreuzberg und Friedrichshain aktiv.
Im Westen ist das Ruhrgebiet und hier vor allem Dortmund mit seiner umtriebigen und gewalttätigen Neonazi-Szene immer wieder ein Ort linksradikaler Demonstrationen und Gegen-Aktivitäten. Auch Städte wie Freiburg und Frankfurt zählen dazu.
Größtenteils abstrakt. Die größte linksradikale terroristische Vereinigung in der Geschichte der Bundesrepublik war die 1970 gegründete und 1998 aufgelöste "Rote Armee Fraktion" (RAF).
Während einige ihrer ehemaligen Mitglieder, etwa Ulrike Meinhof, bis heute romantisch verklärt werden, ist eine echte Identifikation mit den Aktionsformen der Gruppe eher ein Randphänomen.
Insgesamt war die RAF für über 30 Morde verantwortlich, mit denen sie sich dem Selbstverständnis nach in den Kontext internationaler Befreiungskämpfe stellen wollte.
Der zeithistorische Hintergrund war die linke Studentenbewegung in Westdeutschland, die sogenannte "68er"-Generation.
Doch selbst in ihrer Hochphase war die Zahl der Unterstützerinnen im Vergleich zu der Gesamtzahl der Studierenden eher gering.
Die RAF-Expertinnen Sabine Fütterer und Alexander Straßner schreiben von 2.000 bis 5.000 Personen, "die den aktiven Mitgliedern mit Unterstützungsleistungen, wie die Bereitstellung der eigenen Wohnung zur Nutzung durch die RAF, beistanden".
Heute lebt die RAF vor allem als Emblem auf Merchandise-Artikeln wie T-Shirts und Sticker und in linksradikalem Liedgut weiter.
Eine sich auf linke Ideologien beziehende Terrororganisation, die gezielt Politiker und Wirtschaftsfunktionäre aus Propagandazwecken entführt und ermordet, hat es danach in Deutschland nie wieder gegeben.
Allerdings gab es immer wieder kleinere terroristische Vereinigungen, etwa die "militante gruppe" (mg). Diese hatte 2001 scharfe Munition an den Regierungsbeauftragten für die Entschädigung der Zwangsarbeiter, Otto Graf Lambsdorff, sowie an zwei Wirtschaftsfunktionäre versandt.
Auch ein Brandanschlag auf ein Fahrzeug der Daimler-Benz-Niederlassung Berlin wird der Gruppe zur Last gelegt. Später folgten weitere Brandanschläge ohne Todesopfer.
In den Fokus der Ermittlungen geriet dabei auch der Sozialwissenschaftler Andrej Holm, der 2016/2017 für kurze Zeit Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen des rot-rot-grünen Senats in Berlin war. Das Verfahren gegen ihn wurde später eingestellt.
Die Partei beherbergt verschiedene Flügel. Von den eher sozialdemokratisch orientierten sogenannten "Realos", die sich im "Forum demokratischer Sozialismus" organisieren, bis zu radikaleren Gruppen, zu denen unter anderem manche Verbände der Linksjugend zählen.
Wie in der gesamten Linken gibt es auch innerhalb der Linksjugend heftige ideologische Grabenkämpfe. Dies hat unter anderem seinen Ursprung in der Geschichte der Partei.
Während die Mitglieder im Osten den Realsozialismus der DDR erlebt haben oder durch diesen geprägt sind, kommen ihre Genossen im Westen häufig aus der Tradition kleiner kommunistischer und linksradikaler Zirkel, die ein deutlich höheres Extremismus-Potenzial zeigten.
In dieser Unterschiedlichkeit liegt auch ein Grund für die innere Zerrissenheit der Linken. Eine pauschale Aussage über die Partei ist somit nicht möglich.