Als hätten wir nicht genug Sorgen durch den Ukrainekrieg im Osten, braut sich etwas Gewaltiges im Westen zusammen. Homophobe Gesetze an Schulen, Frauen verlieren das Recht auf Abtreibung, nicht enden wollende Opfer durch Waffengewalt – darunter auch Kinder – und ein mehrheitlich konservativer Supreme Court, der die Demokratie auszuhöhlen droht.
Krieg in Europa, die Unberechenbarkeit Putins, kalte Winter und steigende Preise, Migrationswellen, Unruhen und die noch immer nicht ernst genommenen Konsequenzen des Klimawandels, die auf uns zusteuern.
Gerade jetzt braucht Europa einen starken Partner an seiner Seite.
Aber das Gegenteil ist der Fall. Die Vereinten Staaten sind zerrissen. Sie zeigen gefährliche Entwicklungen, die Sorgen um den Zustand der amerikanischen Demokratie aufwerfen. Was ist dort los? Watson schaut das für euch näher an.
An den Schulen Floridas gilt seit dem 1. Juli ein umstrittene Gesetz. Es untersagt Lehrern im Unterricht Diskussionen über sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität zu führen. Dies betrifft Kinder vom Kindergarten bis zur dritten Klasse. Danach dürfe "dem Alter von Schülern angemessenen Art" über diese Themen gesprochen werden.
"Ich war nicht in der Lage, zu einem Klassenzimmer zu gehen und Regenbogenaufkleber an den Türen zu sehen, die ausdrücken, dass dies ein sicherer Ort ist, an dem jeder so sein darf, wie er ist", sagt Clinton McCracken, eine Kunstlehrerin in Orange County, gegenüber "The Guardian". Die Regenbogenfahnen verschwinden aus den Schulen und die Tabuisierung gegen Schüler und Mitglieder der LGBTQ-Community kehrt ein.
Die Staatssekretärin Karine Jean-Pierre verkündet in ihrem Statement am 1. Juli:
Ron DeSantis, der Gouverneur Floridas, begrüßt das Gesetz. Es würde Kinder schützen und Eltern unterstützen. Weitere US-Staaten erwägen dieses Gesetz ebenfalls zu übernehmen und Diskussionen sowie Beratungsstellen über LGBTQI+ -Themen aus den Schulen zu verbannen. Vor allem in den ländlichen Gebieten und im tiefen Süden der USA stößt das Gesetz auf Anklang.
Der Supreme Court kippt Ende Juni ein 50 Jahre altes Grundsatzurteil: Das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche. Durch die Medien ging der Begriff "Roe v. Wade". So lautete der Fall, bei dem der Supreme Court 1973 entschied, dass in den gesamten USA Abtreibungen bis zu 24. Schwangerschaftswoche erlaubt seien.
Die deutlich konservative Mehrheit am Supreme Court kippt das liberale Bundesgesetz, worauf etliche US-Staaten weitgehende Abtreibungsverbote in Kraft setzen. Frauen unter anderen aus Kentucky, Texas oder Louisiana dürfen demnach keine Schwangerschaft abbrechen – auch nicht bei einer Vergewaltigung oder in Fällen von Inzest. Ausnahmen gibt es nur für medizinische Notfälle, aber auch da ist es unübersichtlich. Dies gilt auch für junge Mädchen!
In Ohio zum Beispiel wird einem 10-jährigen Vergewaltigungsopfer die Abtreibung verwehrt. Das Mädchen muss nach Indiana reisen, um die Prozedur zu vollziehen. Eine 26-jährige Frau aus Texas wurde in Gewahrsam genommen und wegen Mordes angeklagt, nachdem Behörden behauptet hatten, sie habe die Abtreibung selbst herbeigeführt.
"Der begrenzte Zugang zur Abtreibung macht es wahrscheinlich, dass die Selbstinduktion häufiger wird. Frauen wenden sich weniger effektiven und mehr gefährlichen Methoden zu", heißt es in einem Bericht des "Bixby Center for Global Reproductive Health". Das Anti-Abtreibungsgesetz bedrohe demnach die Gesundheit und Sicherheit von Frauen.
Die Europäische Union schickt eine Nachricht über den großen Teich: Das Recht auf Abtreibung soll laut des Europäischen Parlaments in die EU-Grundrechtecharta aufgenommen werden.
Ob Polen diese Entscheidung mittragen wird, ist fraglich. Denn auch dort gilt aktuell das Abtreibungsverbot.
Das ist noch nicht alles, denn die Konservativen Amerikas legen erst so richtig los. Als Nächstes auf der To-Do-Liste stehe die Abschaffung der gleichgeschlechtlichen Ehe und der freie Zugang zu Verhütungsmitteln. Und dann sind da noch die Waffen.
Ein zweijähriges Kind besucht mit beiden Eltern die Parade zum Unabhängigkeitstag in Highland Park, Illinois und kehrt als Waisenkind zurück in die Arme seiner Großeltern. Waffengewalt gehört zur Tagesordnung in den USA. Sie macht selbst keinen Halt mehr vor Grundschulen. Im Mai starben mindestens 19 Kinder in Uvalde, Texas durch die Schüsse eines 18-Jährigen.
Im Juni erweitert der Supreme Court das Tragen von Waffen in der Öffentlichkeit im Bundesstaat New York. Es ist demnach keine Lizenz vonnöten, um eine Schusswaffe immer und überall mit sich herumzutragen.
Die Waffenpolitik ist ein sensibles Thema, das Demokraten und Republikaner spaltet – und die Waffenlobby mischt kräftig mit. Währenddessen fragt sich die 11-jährige Miah Cerrillo, die das Massaker in Uvalde überlebt hat, wo es noch einen sicheren Ort gibt? Die außer Kontrolle geratene Waffengewalt schürt Angst, Unruhe und Misstrauen. Schwere Last für eine Demokratie, die bereits an Krücken geht.
Der oberste US-Gerichtshof, den Joe Biden als "extremistisch" bezeichnet, höhlt die Bürgerrechte vor den Augen der Weltgemeinschaft aus. Es versetze die USA zurück in die Vergangenheit und beschneide Rechte, meint Biden.
Es gibt eine deutliche konservative Mehrheit am Supreme Court seit seines Vorgängers Donald Trump. Der ehemalige Präsident durfte drei der Richterposten neu besetzen und ernannte Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett. Alle drei stimmten gemeinsam mit den konservativen Richtern Clarence Thomas und Samuel Alito gegen das Abtreibungsgesetz.
Kommenden Herbst widmet sich der Supreme Court einem Rechtsstreit, dessen Urteil das Wahlsystem in den Staaten grundlegend verändern könnte und damit sogar Präsidentschaftswahlen beeinflusst.
Im Fall "Moore vs. Harper" geht es im Kern darum, ob Gerichte die Praxis des "Gerrymandering" (Wahkreisschiebung) verbieten dürfen. Also das Nachziehen von Wahlkreisgrenzen entlang demografischer Verteilung in der Bevölkerung mit dem Ziel, Wahlergebnisse zu beeinflussen.
Der Supreme Court hat die Macht, die Demokratie in den USA zu zerstören.
Ein unvorstellbares Szenario, so galt das Land als Vorreiter und Vorbild demokratischer Werte. Die jüngsten Entwicklungen zeigen, unserer "großer Bruder" ist nicht so resilient und robust wie angenommen. Es ist Zeit, ein Auge auf ihn zu halten.