Seit zwei Jahren wehrt die Ukraine den aggressiven Überfall Russlands ab. Reicht die Unterstützung des Westens aus? Immer wieder steht das deutsche Zögern, etwa von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), im Raum. Kritiker:innen warfen ihm etwa vor, er verhindere im Alleingang, dass die Ukraine Leopard-Kampfpanzer erhalte. Auch jetzt steht Scholz im Kreuzfeuer mit seiner klaren Absage zu den Taurus-Marschflugkörpern.
Sein Einwand lautet, um eine Taurus-Lieferung zu ermöglichen, müssten deutsche Soldat:innen auf ukrainischem Boden agieren. Allerdings wurde diese Behauptung von mehreren Expert:innen widerlegt. Es heißt, Taurus könne unabhängig der Bundeswehr eingesetzt werden.
Auch für den Politikwissenschaftler und Osteuropa-Experten Andreas Umland bleibt Scholz' Entscheidung ein Rätsel. "Die Gründe leuchten nicht ein. Taurus wird bereits exportiert. Auch unterstützen SPD-Anhänger stärker Waffenlieferungen als Anhänger der CDU/CSU", sagt er auf watson-Anfrage.
Der Analyst des Stockholm Centre for Eastern European Studies führt aus: "Scholz vertritt hier eine Position, die der AfD und dem BSW näher steht als der Ampel-Koalition und ihrer Wählerbasis."
Ein ganz anderer Wind weht dagegen im Nachbarland Frankreich. Dort erwägt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron öffentlich den Einsatz von Bodentruppen in der Ukraine.
"Wir werden alles tun, damit Russland diesen Krieg nicht gewinnt", sagt Macron bei einer Ukraine-Hilfskonferenz in Paris. Neben mehr Waffen und Munition für die ukrainischen Streitkräfte sei auch die Entsendung von Bodentruppen "nicht ausgeschlossen". Bei dem Treffen von über 20 Staats- und Regierungschefs habe es zwar keine Einigkeit zum Einsatz von Bodentruppen gegeben, aber im künftigen Kriegsverlauf sei wohl alles möglich.
"Es gibt heute keinen Konsens darüber, offiziell Bodentruppen zu entsenden", meint Macron. Aber in der Dynamik müsse man alles in Betracht ziehen. Viele Menschen, die heute "nie, nie", sagen, seien dieselben, die vor zwei Jahren sagten, "nie, nie Panzer, nie, nie Flugzeuge, nie, nie Raketen mit längerer Reichweite" gesagt hätten. Heute drehe sich die Diskussion darum, bei der Lieferung von Panzern und Raketen schneller und stärker zu werden. "Also ist alles möglich, wenn es hilfreich ist, um unser Ziel zu erreichen", meint der französische Präsident.
Bei dem Gedanken an westlichen Truppen auf ukrainischen Boden läuten bei so manchen wohl die Alarmglocken, dass solch ein Vorhaben zur Eskalation mit Russland führen könnte. Scholz sagt am Dienstag, auch für die Zukunft gelte, "dass es keine Bodentruppen, keine Soldaten auf ukrainischem Boden gibt, die von europäischen Staaten oder Nato-Staaten dorthin geschickt werden". Seine Taurus-Entscheidung untermauert er zuvor mit den Worten: "Wir werden nicht zur Kriegspartei – weder direkt noch indirekt."
Der Bundeskanzler führt aus: "Wir werden verhindern, dass es zu einer Eskalation des Krieges, den Russland gegen die Ukraine begonnen hat, zu einem Krieg zwischen Russland und der Nato kommt."
Umland hingegen begrüßt die Ansicht von Macron als ein "nützliches Signal". "Seit zwei Jahren berührt Russlands Krieg Kerninteressen westlicher Staaten, wie etwa die Sicherheit der ukrainischen Atomreaktoren, westlichen Botschaften in Kiew oder Lebensmittelexporte durch das Schwarze Meer in den Globalen Süden", sagt er.
Dazu komme auch die Verstärkung von Strömen an Hunger- und Kriegsgeflüchteten aus dem Nahen Osten, der Ukraine und Afrika. Laut Umland ist das eine raffinierte Form Moskauer hybrider Kriegsführung, die europäische Gesellschaften destabilisiert und pro-russische Rechtsradikale wie die AfD unterstützt.
"Unsere Armeen sind dazu geschaffen worden, unsere Gesellschaften vor Krieg und seinen Folgen zu schützen. Westliche Boden- und andere Truppen sollten ihren Existenzzweck erfüllen", meint der Experte.
Laut "Reuters" warnt der Kreml, dass ein Konflikt zwischen Russland und dem US-geführten Nato-Militärbündnis unvermeidlich wäre, wenn europäische Nato-Mitglieder ihre Truppen in die Ukraine entsenden würden.
Eine Gefahr einer Eskalation sehe Umland dennoch nicht.
"Solange westliche Truppen kein russisches Staatsterritorium betreten und nicht an vorderster Front eingesetzt werden, ist das eine bilaterale Angelegenheit zwischen der Ukraine und dem Westen", meint Umland. Bereits die anhaltende Anerkennung und Unterstützung des – aus russischer Sicht – illegitimen ukrainischen Staates wäre aus dieser Sicht eskalierend.
Nach diesem Ansatz wäre dem Experten zufolge "Deeskalation" die Auslieferung der Ukraine an Russland, etwa durch "Friedensverhandlungen". Dies würde eine russische Massendeportation, -internierung aller "eskalationsbereiten" Ukrainer:innen nach sich ziehen.
Aber was ist, sollten der Ukraine irgendwann die Soldat:innen ausgehen? Ein oft genanntes Argument von Befürworter:innen von Friedensgesprächen. Umland hat dazu eine klare Antwort: "Die Auffüllung der ukrainischen Armee mit Personal ist keine demografische, sondern eine finanzielle Herausforderung."
Bei entsprechender Anhebung des Grundsoldes, der Frontzulage und der Kompensationsleistungen für Verwundung, Verstümmelung und Tod würden freiwillige ukrainische und nichtukrainische Frauen und Männer das derzeitige Defizit an Soldat:innen schnell ausgleichen, meint Umland.
"Aus diesem Grund ist die Konfiskation der eingefrorenen russischen Staatsgelder und ihre Übergabe an die Ukraine eine Schlüsselfrage", führt er aus.
(Mit Material der dpa)