Frankreichs Präsident Emmanuel Macron steht in der Kritik, nicht genügend militärische Hilfe an die Ukraine zu leisten – dazu muss er sich dem Rechtsruck im Land stellen. Bild: AP / Aurelien Morissard
Analyse
Seit fast zwei Jahren wehrt sich die Ukraine gegen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands. Dabei ist das Land auf die Unterstützung seiner westlichen Partner angewiesen. Einer der größten Geldgeber für die europäischen Ukraine-Hilfen ist Frankreich.
Bei den militärischen Hilfen sieht das allerdings anders aus. Hier zeigt sich Frankreich zurückhaltend – obwohl das Land etwa laut "Business Insider" zu Europas stärksten Militärmächten gehört. Ist Frankreichs Regierung geizig, wenn es um die Bereitstellung von Waffensystemen für die Ukraine geht? Zumindest gibt es Kritik.
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Frankreich liefert nur spärlich Waffen an die Ukraine
"Die französische Unterstützung wird sowohl im In- als auch im Ausland zunehmend als unzureichend kritisiert", sagt Jacob Ross auf watson-Anfrage. Er ist Experte für französische Außen- und Sicherheitspolitik bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Zudem forscht er am Alfred von Oppenheim-Zentrum für Europäische Zukunftsfragen.
Laut Ross hat Frankreich zwar kritische Kapazitäten geliefert, etwa Artillerie und Boden-Luft Systeme. Aber: "Sowohl in absoluten Zahlen als auch relativ zum französischen BIP sind die Lieferungen im Vergleich zu vielen Nato- und EU-Partnern, den USA, Großbritannien, Deutschland und auch den baltischen Staaten zum Beispiel nicht sehr beeindruckend."
Das sieht Frankreich offenbar anders.
Kritik wird laut, Frankreich liefere der Ukraine nicht genügend Waffen.Bild: Ukrinform/dpa
Über die Fragen der Waffenlieferungen sei in den vergangenen Monaten immer wieder Streit entbrannt, meint Ross. Die französische Regierung werfe etwa dem Kieler Institut für Weltwirtschaft vor, bei der Erfassung von Waffenlieferungen unsauber zu arbeiten und verzerrende Zahlen zu publizieren.
Auch die Aufforderung des Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD), mehr für die Ukraine zu unternehmen, sorgte für Furore. Laut Ross war Scholz' Botschaft wohl vor allem an Frankreich adressiert. Darauf folgte ein Seitenhieb französischer Regierungsmitglieder.
"Der Verteidigungsminister kritisierte etwa die deutschen Waffensysteme und deutete 'leere Versprechungen' an", sagt der Experte. Ihm zufolge kann von einer einheitlichen und geschlossenen EU-Position dieser Tage nicht die Rede sein.
2023 führte Kanzler Scholz den französischen Präsidenten Macron zum Fischbrötchen essen in Hamburg aus. Bild: imago images / Political-moments
Allerdings müsse man hervorheben, dass Frankreich mehrmals als erster westlicher Staat Akzente gesetzt und Diskussionen angestoßen habe. "Das war vor einem Jahr bei der Lieferung von Panzern so, als Frankreich AMX-10-Systeme lieferte", meint der Frankreich-Experte. Laut ihm gilt das auch für die SCALP-Raketen, die es der Ukraine ermöglichen, russische Ziele weit hinter der Front anzugreifen.
Zudem unterstützte Frankreich seit vergangenem Jahr überraschend deutlich den Nato-Beitritt der Ukraine. "Auch damit war es Deutschland oder den USA voraus", betont Ross. Allerdings sorgt eine Sache wohl bei einigen für Magenschmerzen: der zunehmende Rechtsruck in Frankreich.
Rechtsruck in Frankreich mit neuem Regierungschef Attal
Anfang des Jahres kam es zu einem Regierungswechsel in Frankreich. Dieser wurde Ross zufolge in den deutschen Medien zurecht als Rechtsruck beschrieben. Die Premierministerin Élisabeth Borne trat zurück, ihren Platz übernimmt der 34-jährige Gabriel Attal, der mit seinen Vorhaben auch im rechten Lager punktet.
"Das neue Kabinett ist deutlich konservativer besetzt und die Prioritäten der neuen Regierung, Ordnung, Sicherheit und Zugehörigkeit zur französischen Nation, deuten auf ein konservatives Profil hin", sagt Ross. Laut ihm dürfte der Regierungswechsel auf die französische Unterstützung der Ukraine aber keine Auswirkungen haben.
Er sagt:
"Macron hat in seinen Neujahrswünschen an die Streitkräfte am 19. Januar noch einmal deutlich gemacht, dass ein Sieg Russlands um jeden Preis vermieden werden muss. Sein neuer Außenminister, Stéphane Séjourné, reiste als Erstes nach Kiew, um die französische Unterstützung zu unterstreichen."
Von Séjourné werde die Umsetzung der sogenannten "Bratislava-Agenda" erwartet, also ein verstärktes Engagement Frankreichs für die Ukraine und zur Abschreckung Russlands an der Nato-Ostflanke.
Sorgen bereiten Ross zufolge derzeit aber die großen Oppositionsparteien am rechten und linken Rand des politischen Spektrums.
Russland erhält Sympathie am rechten und linken Rand
"Sowohl die Rechtsaußen-Partei Rassemblement National (RN), als auch die Linksaußen-Partei La France Insoumise (LFI) werden Sympathien für Russland und Putin nachgesagt", sagt Ross. In beiden Parteien werden entsprechende Positionen von anti-amerikanischen Strömungen gestärkt, insbesondere der RN habe in der Vergangenheit Kontakte nach Russland und auch zu Putins Partei gepflegt.
Scheut keine persönliche und finanzielle Nähe zu Russland: Rechtspopulistin Marine Le Pen mit Putin. Bild: ap / Mikhail Klimentyev
Die rechtspopulistische Politikerin Marine Le Pen erhielt in der Vergangenheit Kredite von russischen Banken, mit denen sie ihren Wahlkampf finanzierte. "Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass sie von keiner französischen Bank Kredite gewährt bekam", sagt er. Die Europawahl steht vor der Tür, bisher liegt der RN in aktuellen Prognosen vor Macrons Partei Renaissance, "die Wahl wird deshalb als Gradmesser erwartet".
Die Vorsitzende des rechtspopulistischen Rassemblement National (RN) Marine Le Pen mit Macron.Bild: ap / Ludovic Marin
Völlig unbesorgt blickt der Experte daher nicht auf die französische Präsidentschaftswahl im Frühjahr 2027.
Präsident Macron könne dann nicht mehr antreten. Noch sei unklar, wer sein politisches Erbe antritt, meint Ross. Zudem haben die Unruhen in den Vorstädten im Juni 2023 erneut deutlich gemacht, welche Probleme Macron bisher nicht lösen konnte.
Auslöser der Unruhen war der Tod des Teenagers Nahel M. Der 17-Jährige wurde von einem Polizisten bei einer Verkehrskontrolle in der Pariser Vorstadt Nanterre erschossen – darauf kam es zu heftigen Demonstrationen, etwa in Paris. Aber das Risiko für Protestbewegungen sei in Frankreich immer hoch, meint der Friedensforscher Johannes M. Becker auf watson-Anfrage. Er ist ehemaliger Geschäftsführer am Zentrum für Konfliktforschung der Philipps-Universität Marburg.
Frankreich: Sozialer Sprengstoff führt oft zu Unruhen
Laut Becker brennen in Frankreich jede Nacht vor allem in den extrem unwirtlichen Vorstädten der großen Agglomerationen mehrere Dutzend Autos – in Deutschland nicht einmal eins im Durchschnitt. Die Gründe für die Unruhen in den Banlieues seien vielschichtig. Der Friedensforscher nennt etwa:
- Die hohe Arbeitslosigkeit, insbesondere unter Jugendlichen. Das vorherrschende Gefühl in großen Teilen der Banlieues (Vorstädten) ist: sans espoir – ohne Zukunft.
- Die Wohnverhältnisse sind teilweise sehr schlecht.
- Parallelgesellschaften in manchen Gegenden führen dazu, dass der Staat durch Sozialarbeit und Ordnungskräfte nur rudimentär vorhanden ist.
- "Deeskalation" ist für französische Sicherheitskräfte weiträumig ein Fremdwort.
Doch laut Becker spielt das Potenzial für soziale Unruhen den rechten Kräften im Land nicht in die Tasche. Er meint: "Eine Machtübernahme der Rechtsradikalen steht nicht ernsthaft zur Debatte." Etwa sei die Gewerkschaftsbewegung in Frankreich – ganz anders als in Deutschland – in der Lage, Unruhepotential zu bündeln, zu kanalisieren, politisch wirksam zu machen.
Er erklärt:
"In Deutschland dämpft das Prinzip der Einheitsgewerkschaft mit seiner sozialdemokratischen Dominanz viel Unruhepotenzial. Frankreichs Richtungsgewerkschaften sind viel radikaler und agieren dennoch zuweilen gemeinsam."
Becker zufolge wird Frankreich nicht zum Sorgenkind der EU – das sind laut ihm derzeit Ungarn und der potenzielle Beitrittskandidat Ukraine. Frankreich habe im Moment ganz andere Sorgen als seine Stellung in der EU. Etwa der schwindende französische Einfluss in Nord- und Subsahara-Afrika, wovon Russland profitiert.
Laut des Experten Ross steht wirtschaftspolitisch zunehmend eher Deutschland als Sorgenkind Europas da – auch aus französischer Perspektive: mit hohen Strompreisen, einer schlechten Infrastruktur und überbordender Bürokratie. "Alles Problemfelder, in denen Macron in den vergangenen Jahren gute Fortschritte angerechnet werden."