Roter Triumph: Anke Rehlinger bei der SPD-Wahlparty in Saarbrücken.Bild: dpa / Boris Roessler
Analyse
Der Ampel bleibt Stress erspart, die Linke kämpft ums Überleben: Fünf Erkenntnisse aus der Saarland-Wahl
Das kleinste Flächen-Bundesland ist zwar ein Sonderfall – aber ein besonders spannender. Die Kanzlerpartei SPD kommt um eine unangenehme Frage herum. Und die Union sollte verstanden haben, was sich für sie definitiv NICHT lohnt.
458.223 Menschen haben ihre Stimme abgegeben, um im Saarland einen neuen Landtag zu wählen – und einen Sonntagabend lang hat das politisch interessierte Deutschland hingeschaut. Immerhin für ein paar Stunden war der russische Krieg gegen die Ukraine nicht das Hauptthema in den meisten deutschen Medien.
Die SPD um Wirtschaftsministerin und Spitzenkandidatin Anke Rehlinger feiert mit 43,5 Prozent der Stimmen einen sensationellen Erfolg, indem sie knapp 14 Prozentpunkte hinzugewinnt. Die CDU um den bisherigen Ministerpräsidenten Tobias Hans stürzt ab, auf 28,5 Prozent (minus 12,2 Punkte). Einen halben Punkt verliert die AfD, die aber mit 5,7 Prozent im Landtag bleibt. Nicht im Landtag werden die im Saarland jahrelang außergewöhnlich starken Linken sitzen: Die Wähler pulverisieren die Partei, nur noch 2,6 Prozent (-10,3) stimmen für sie. Grüne (4,99 Prozent) und FDP (4,8) gewinnen zwar dazu, kommen aber nicht in den Landtag.
Weil nur noch drei Parteien im Landesparlament in Saarbrücken sitzen werden, kann die Sozialdemokratin Rehlinger alleine regieren: Ihre SPD hat die absolute Mehrheit der Sitze.
Die direkten Folgen dieser Wahl werden fast ausschließlich die Menschen im Saarland spüren: Die neue Landesregierung übernimmt unter anderem die Verantwortung für Schulen, Polizei, Gerichte, Unis. Trotzdem: Auch Menschen im Landkreis Konstanz oder in Kiel können von dieser Wahl Spannendes mitnehmen.
Fünf Erkenntnisse für ganz Deutschland, die von dieser Landtagswahl bleiben.
Das Saarland ist ein Sonderfall – aber ein besonders spannender
Grundsätzlich gilt in Deutschland: Landtagswahlen sind keine Mini-Bundestagswahlen.
Die Bürgerinnen und Bürger, die ihre Stimme abgeben, können zwischen Bundes- und Landespolitik in der Regel gut unterscheiden. Das sieht man allein daran, wie stark sich in den Ländern die Ergebnisse bei Bundes- und Landtagswahlen teils unterscheiden. Wer am Sonntag die SPD gewählt hat, hat damit in erster Linie Anke Rehlinger unterstützt, nicht Bundeskanzler Scholz. Die Wahlschlappe der CDU war ein Zeugnis für den Ministerpräsidenten Tobias Hans, nicht für CDU-Bundeschef Friedrich Merz.
Das Saarland ist das kleinste der 13 deutschen Flächen-Bundesländer: Rund 983.000 Menschen leben hier Stand Ende 2020, weniger als in Köln.
Aber das Saarland ist ein spannender Sonderfall.
In wenigen Regionen Deutschlands kann man so gut sehen wie im Saarland, was das trockene Wort Strukturwandel für das Leben der Menschen bedeutet. Der Niedergang des Bergbaus und die Krise der Stahlindustrie, die jahrzehntelang für Jobs und Wohlstand gesorgt haben, machen vielen Menschen Angst. Die Wirtschaftsleistung pro Kopf ist hier von 2010 bis 2020 um über 5 Prozent geschrumpft, während sie deutschlandweit um über 10 Prozent stieg. Das ist nicht nur eine Zahl. Das bedeutet für tausende Familien niedrigere Löhne – oder Arbeitslosigkeit.
Das Saarland erlebt Entwicklungen, die vielen Regionen in Deutschland noch bevorstehen. Der Wandel der Autoindustrie zur Klimaneutralität wird auch in Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen Jobs kosten, die Braunkohletagebaue in Brandenburg und Sachsen werden ebenso zumachen wie die Steinkohleminen im Saarland.
Will Kümmererin für Industriearbeitsplätze sein: die kommende saarländische SPD-Ministerpräsidentin Anke Rehlinger bei einem Wahlkampftermin in einer neuen Fabrik des Fahrzeugherstellers Kettler in Sankt Ingbert. Bild: imago images / imago images
Wählerinnen und Wähler belohnen die Parteien, die Lösungen für die Probleme anbieten, die durch solchen Wandel entstehen. Denen sie zutrauen, sichere und gut bezahlte Arbeitsplätze zu fördern – und Behörden, Schulen, Straßen, Gleise und Radwege bereitzustellen, die den Menschen das Leben erleichtern. Man sieht diesen Zusammenhang zum Beispiel daran, dass die SPD auch deshalb im Saarland triumphiert hat, weil ihr deutlich mehr Menschen als der CDU Wirtschaftskompetenz zugetraut haben.
Ein spannender Sonderfall ist das Saarland auch deshalb, weil es dort in Zukunft wieder etwas gibt, das gegen den politischen Trend in Deutschland läuft: ein Dreiparteienparlament, so wie in der alten Bundesrepublik der 1970er-Jahre üblich. Nur noch SPD, CDU und AfD werden im Landtag sitzen. Allerdings auch nur deshalb, weil Grüne und FDP knapp an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten.
Ganz ohne direkte Folgen für die Bundespolitik bleibt die Saarlandwahl auch nicht: Der höchstwahrscheinliche Wechsel von einer CDU-geführten Großen Koalition zu einer SPD-Alleinregierung im Saarland führt dazu, dass im Bundesrat eine rein sozialdemokratische Landesspitze drei von 69 Stimmen künftig kontrolliert.
Der Bundesrat muss einem erheblichen Teil der Bundesgesetze zustimmen – wenn es um Grundgesetzänderungen geht (wie aktuell beim Sondervermögen für die Bundeswehr), sogar mit Zwei-Drittel-Mehrheit. Und Bundesländer können ihre Stimme grundsätzlich nur mit Zustimmung aller Koalitionspartner abgeben. Wenn sie sich nicht einig sind, enthalten sie sich in der Regel. Kanzler Olaf Scholz macht die Saarland-Wahl das politische Leben also ein kleines Stück leichter.
Ampelkoalition bleibt eine Belastungsprobe erspart
So knapp wie die Grünen im Saarland ist selten eine politische Partei am Einzug in ein regionales Parlament gescheitert. 23 (!) Stimmen fehlten der Partei laut dem vorläufigen amtlichen Endergebnis – theoretisch kann das endgültige amtliche Endergebnis sogar noch ein minimal anderes Ergebnis hervorbringen und den Grünen doch noch den Einzug in den Landtag bescheren.
Die FDP scheiterte auch knapp, aber mit etwas größerem Abstand, an der Fünf-Prozent-Hürde. Für die beiden Partnerinnen der SPD in der Ampel-Regierungskoalition in Berlin ist das ein ärgerlicher Ausgang. Ihnen entgeht dadurch politischer Einfluss im Saarland.
Andererseits: Der Ampelkoalition bleibt dadurch ein mögliches Streitthema erspart. Wären Grüne und Liberale im Landtag vertreten, hätten die Sozialdemokraten alleine wohl gar keine oder nur eine hauchdünne absolute Mehrheit in Saarbrücken. Und sie müssten sich dann vielleicht entscheiden, entweder mit den Grünen oder mit der FDP zu regieren. Derjenige Koalitionspartner, den die designierte Ministerpräsidentin Rehlinger verschmäht hätte, wäre wohl verschnupft gewesen.
Aber, wie gesagt: Diese Frage stellt sich nicht mehr.
SPD bleibt auf dem aufsteigenden Ast
Es hat sich verdammt viel getan bei der SPD. Blickt man auf die zwei bisher letzten Wahlen im Saarland, sieht man das besonders gut. Im März 2017 war dort der heutige Landtag gewählt worden. Es war die erste Wahl mit dem damaligen Kanzlerkandidaten Martin Schulz: Der Sozialdemokrat surfte auf einer Euphoriewelle, in Bundestagswahl-Umfragen lag die SPD teilweise über 30 Prozent und damit vor der Union um Kanzlerin Angela Merkel. Dann verlor seine Partei im Saarland, schon damals mit Anke Rehlinger als Spitzenkandidatin, gegen die CDU der beliebten Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer. Es war der Beginn von Schulz' Absturz.
Haben gut lachen: Bundeskanzler Olaf Scholz und die künftige Saarland-Ministerpräsidentin Anke Rehlinger im Wahlkampf. Bild: imago images / imago images
Fünf Jahre später ist die SPD, die vielen noch vor einem Jahr ein hoffnungsloser Fall schien, Kanzlerpartei. Sie hat die Bundeswahl gewonnen, sie liegt in Umfragen wieder um 25 Prozent. Klar, im Saarland hat sie diesmal vor allem deshalb gewonnen, weil Rehlinger die eindeutig beliebtere Spitzenkandidatin war. Aber diese Wahl stärkt den Sozialdemokraten auch andernorts den Rücken. Die Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer im erheblich größeren Schleswig-Holstein (Wahl am 8. Mai) und dem bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen (15. Mai) tanken Selbstbewusstsein.
Populismus ist für die Union keine gute Idee
Fast spiegelverkehrt ist die Entwicklung bei CDU und CSU. Die Unionsparteien schienen noch vor einem Jahr der fast sichere Bundestagswahlsieger zu sein: Offen, so dachten viele, sei nur noch, ob Armin Laschet oder Markus Söder Angela Merkels Büro im Kanzleramt übernehmen würden. Es folgte ein peinlich schlechter Wahlkampf – und im September die schmerzhafteste Niederlage der Union seit 1998.
CDU-Ministerpräsident und Wahlverlierer Tobias Hans am Wahlabend. Bild: dpa / Uwe Anspach
Im Saarland hat sich jetzt gezeigt, dass zumindest ein Teil der Unionsparteien sich schwer mit einer ziemlich eindeutigen Lektion der vergangenen Jahre tut: Populismus ist kein gutes Rezept für CDU und CSU. Die Wählerinnen und Wähler haben die Unionsparteien in den vergangenen Jahren immer wieder bestraft, wenn ihre Spitzenvertreter auf Parolen gegen Geflüchtete, Kulturkampf-Rhetorik, unrealistische Forderungen gesetzt haben – oder wenn sie sich untereinander öffentlich gefetzt haben: Das war 2018 so, bei der Landtagswahl in Bayern. Es ist 2021 geschehen, bei der Bundestagswahl.
Und jetzt im Saarland.
Ministerpräsident Tobias Hans hatte im Wahlkampf ein Selfie-Video vor einer Tankstelle gedreht und es auf seine Facebook-Seite hochgeladen. Darin wetterte er gegen die hohen Treibstoffpreise – und stellte auch noch Geringverdiener und "fleißige Leute, die hart arbeiten" in einen Gegensatz zueinander. Das blamable Ergebnis der Saarland-CDU ist auch die Quittung für Hans' Auftreten.
Von 12,9 auf 2,6 Prozent: Der Absturz der Linken im Saarland ist dramatisch. Auch dieses Ergebnis hat viel mit regionalen Besonderheiten im Saarland zu tun: der Rückzug des aus dem Saarland kommenden und hier populären Oskar Lafontaine aus der Partei; der unfassbar zerstrittene Linken-Landesverband, in dem Lafontaine und seine Verbündeten sogar davon abrieten, die Linke zu wählen.
Aber es ist eben auch die nächste in einer Reihe von bitteren Niederlagen für die Linken. Die Partei, die 2009 bei der Bundestagswahl noch knapp 12 Prozent der Zweitstimmen bekommen hatte, fiel 2021 unter die Fünf-Prozent-Hürde. Die Partei zog nur deshalb wieder als Fraktion ins Parlament ein, weil drei Linke ihr Direktmandat gewannen und die Mathematik der Sitzverteilung dafür sorgte, dass die Linken fünf Prozent der Plätze im Bundestag zugeteilt bekamen.
Die Partei ist ein Schatten ihrer selbst: Linken-Spitzenkandidatin Barbara Spaniol am Wahlabend in Saarbrücken. Bild: dpa / Oliver Dietze
Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow sagte am Tag nach der Bundestagswahl, die Partei habe sich "das letzte blaue Auge" geholt – und meinte damit: Ein weiteres Debakel dieser Art und die Linke ist weg vom Fenster.
Im Saarland jetzt der nächste Absturz. Wieder ein Beleg dafür, dass die Partei es momentan fast nur durch inneren Streit in die Schlagzeilen schafft. Wieder Nachwahlanalysen, in denen die übergroße Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger angibt, die Linke könne man nicht ernst nehmen: 80 Prozent der Befragten sagten laut ARD-Nachwahlanalyse, die Partei sei zu zerstritten, um im Saarland Politik mitgestalten zu können. Nur 10 Prozent trauten der Partei in ihrem wichtigsten Feld, der sozialen Gerechtigkeit, Kompetenz zu.
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