"Bei Wagenknecht ist alles möglich."
Dieses Zitat stammt nicht etwa von einem oder einer Wagenknecht-Unterstützer:in, sondern von Politikwissenschaftler und Zeithistoriker Klaus Schröder. Die 53-jährige Linkenpolitikerin Sahra Wagenknecht sorgt seit Monaten für Schlagzeilen. Bei ihrer Partei ist sie seit Jahren umstritten – doch jetzt könnte der Zank vielleicht bald ein Ende haben.
Denn bereits im Herbst hatte Wagenknecht öffentlich mit dem Gedanken gespielt, eine eigene Partei zu gründen – stand sie doch schon lange genug mit der Linken auf Kriegsfuß, in ihrem Buch "Die Selbstgerechten" rechnete sie 2021 mit ihrer Partei ab.
Soweit so gut – eine Ankündigung ist erst mal nicht viel wert, wenn darauf keine Taten folgen. Doch vergangene Woche ließ Wagenknecht verlauten, nicht mehr für die Linke antreten zu wollen – was der Partei bei der jüngsten Insa-Umfrage eine Klatsche einheimste. Demnach käme die Partei nur noch auf vier Prozent.
Politikwissenschaftler Schröder sagt im Gespräch mit watson, Wagenknecht habe in ihrem Leben viele Wendungen durchgemacht. Daher hält der Forscher an der freien Uni Berlin es durchaus für möglich, dass die Linkenpolitikerin künftig mit einer eigenen Partei ins Rennen gehen möchte. Aber: "Sie müsste Stimmen von der Linken und der AfD einsammeln. Und ob sie über diesen Schatten springt, wage ich zu bezweifeln."
Also: Möglich, ja. Aber eher unwahrscheinlich.
Vor allem die Tatsache, dass Wagenknecht mit der Publizistin Alice Schwarzer mit dem kürzlich veröffentlichten "Manifest für Frieden" gemeinsame Sache macht, lässt den Experten zweifeln. "Dass Schwarzer eine Partei gründet, ist noch unwahrscheinlicher." Schroeder glaubt eher an "eine Art Bewegung", die die beiden ins Leben rufen könnten.
Mit der Demonstration "Aufstand für den Frieden" hatten Wagenknecht und Schwarzer deutschlandweit für Aufsehen gesorgt. Mehr als 13.000 Menschen kamen im Februar nach Berlin, um für den Frieden und gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine zu demonstrieren.
Interessant: Vor allem Verschwörungsideolog:innen und Amerika-Feind:innen waren unter den Protestler:innen. Sowohl Wagenknecht als auch Schwarzer hatten sich im Vorfeld explizit nicht von möglichen rechtsextremen und verschwörungsgläubigen Teilnehmer:innen distanziert.
Schroeder meint dazu: "Wagenknecht hat jegliche Hemmungen verloren." Aber reicht das, um eine Partei zu gründen, die laut Umfragen von bis zu 64 Prozent der AfD-Wählenden als Alternative angesehen wird?
Noch sitzt Wagenknecht für die Linke im Bundestag, sie hat aber angekündigt, 2025 nicht mehr für die Partei zu kandidieren. Für den Berliner Parteienforscher Gero Neugebauer ist das bereits eine klare Ankündigung für ihren Austritt. "Sie ist ja eigentlich schon raus", sagt der Politikwissenschaftler im Gespräch mit watson. Theoretisch könne dies auch schon als Vorbereitung auf die eigene Parteigründung verstanden werden – "aber diesen Schritt zu gehen, da weigert sie sich noch."
Aus der Bundestagsfraktion würden ihr laut Neugebauer fünf bis acht Menschen folgen. Gregor Gysi, der in der Vergangenheit immer wieder mit ihr aneinandergeraten ist, jedoch Wagenknechts "Manifest für Frieden" mit unterschrieb, würde übrigens keinesfalls folgen. Auf entsprechende watson-Frage antwortete er knapp: "Selbstverständlich nicht, ich verlasse nicht meine Partei."
Dennoch: Würde das Wagenknecht-Lager im Bundestag auch gehen, wäre die Fraktion geplatzt, meint Neugebauer. Deshalb ist eine Aussage über eine Parteigründung seitens Wagenknecht auch als Drohung zu verstehen. So kann sie laut Neugebauer durchsetzen, dass sie weiterhin im Bundestag zu bestimmten Themen reden darf.
Nichtsdestotrotz sieht Neugebauer wie auch sein Kollege Schroeder eine Parteigründung als eher unwahrscheinlich – und sollte es doch so weit kommen, rechnet er ihr kaum Chancen zu.
Wagenknecht bekommt ihre Aufmerksamkeit eher für ihre Persönlichkeit, nicht für ihre Inhalte, meint Neugebauer weiter. Gerade unter den AfD-Wähler:innen sei das der Fall. "Viele haben sich von der Linken abgewendet, weil sie für die nicht mehr genug Protestpartei ist. Diese Leute waren also nie Linke-Wähler, wegen deren sozialistischer Politik."
Die 53-Jährige vertritt zudem national-konservative Ansichten. Neugebauer zählt dazu etwa ihre Haltung zu Migration. "Wagenknecht steht für eine Einwanderungspolitik nach dem Aschenputtelprinzip: die Guten in Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen." Aber auch, dass man bei ihr keine feministischen Ansätze finde und die untere Mittelschicht wie auch die Unterschicht von ihr nur Alibi-mäßig angesprochen würden, zeige ihre konservative Ader.
Doch was wäre, wenn ...?
Wenn Wagenknecht dennoch eine Partei gründete?
Zunächst einmal sei wichtig zu verstehen, dass Wagenknecht diesen politischen Weg des Aufstandes einschlägt, weil "die Linke ein lahmer Esel geworden" sei, meint Politikwissenschaftler Schroeder. "Die Linke ist am Ende. Die haben keine Persönlichkeit mehr und Politik ohne Charisma geht fehl."
Auch Neugebauer meint, die Linke sei schon länger von der Bühne der politischen Relevanz verschwunden. "Sie gilt als zerstritten und handlungsunfähig", sagt er. Und:
Seit 2012 könne die Linke keine Wähler:innen mehr von der Sozialdemokratie abwerben, seit 2017 habe sie keine Erfolge mehr verbuchen können. "Die Linke ist politisch kaum noch präsent."
Eine Wagenknecht-Partei würde für die Linke einen weiteren Stimmverlust bedeuten. Und Schroeder sagt: "Sie ist bereits im Niedergang auf Bundesebene. Selbst in Berlin stemmt sie sich gerade noch gegen den Untergang." Neugebauer sagt ebenfalls einen Verlust von Wählerstimmen voraus. Doch er meint, der wäre noch überschaubar.
Es ist also kein Wunder, dass die Partei Drohungen eines ihrer bekanntesten Gesichter ernst nimmt. Doch Chancen rechnet Neugebauer einer Wagenknecht-Partei nicht zu. Aus verschiedenen Gründen:
Neugebauers Fazit:
Persönlich, meint der Parteienforscher, würde Wagenknecht wohl sagen, sie könne das schaffen, dafür sei ihr Ego groß genug. "Wenn sie aber ihre gescheiterte 'Aufstehen'-Bewegung von 2018 mit einbezieht, sollte sie ehrlich zu sich sein und sagen: 'Ich lasse es lieber sein.'"