Nichtwählerinnen und Nichtwähler bilden zusammen die zweitgrößte Partei. Doch der politische Einfluss fehlt ihnen – denn wer nicht wählt, entscheidet nicht mit, sondern lässt geschehen. Das Meinungsforschungsinstitut Forsa fragt bei seiner Sonntagsfrage zur Bundestagswahl auch nach Nichtwählenden und Unentschlossenen. Laut der aktuellsten Umfrage wären das 25 Prozent, genauso viele Prozentpunkte hat die SPD, die zurzeit die stärkste Partei bei den Umfragen ist.
Gerade junge Menschen wählen seltener als ältere. Bei der Bundestagswahl 2017 gaben von den 18- bis 34-Jährigen nur 69,5 Prozent ihre Stimme für eine Partei ab. Insgesamt haben 76,2 Prozent der deutschen Wahlberechtigten gewählt. Diese Zahlen veröffentlichte die Bundesregierung über ihr Demografieportal .
Aber warum wählen gerade jüngere Menschen seltener? Der Politikwissenschaftler Armin Schäfer sagte dazu kürzlich im Deutschlandfunk: „Es ist ein klares Muster und das ist auch schon ein ganz altes Muster, eigentlich seit es Wahlen in der Bundesrepublik gibt, dass die Jüngeren seltener oder in geringerem Umfang an Wahlen teilnehmen als Ältere." Er sagt auch, es habe sich über die Zeit tendenziell etwas verschärft. Bei den heute Älteren sei die gefühlte Wahlpflicht oft noch vorhanden, man denke, das gehöre dazu. Jeder anständige Bürger, müsse wählen gehen. "Dieses Gefühl haben Jüngere seltener“, sagte Schäfer.
Begründet wird die Wahlenthaltung in der Öffentlichkeit oft mit einer angeblichen Politikverdrossenheit. Das ist ein ziemlich abstrakter Begriff. watson hat sich das Phänomen genauer angeschaut. Was sind die Gründe dafür, dass viele Menschen nicht wählen gehen? Und wie berechtigt sind sie?
Anders gesagt: Es ändert sich für mich nichts – egal, welche Parteien die Bundesregierung bilden. Dass junge Wahlberechtigte das Gefühl haben, nicht angesprochen zu werden, zeigt auch eine Studie des Deutschen Jugendinstituts. Demnach nimmt das politische Interesse mit wachsendem Lebensalter – und zunehmender Verantwortung im Hinblick auf Qualifikationserwerb, Berufseinstieg und eine eigenständige Zukunftsplanung – in der Regel stetig zu.
In Wahrheit betrifft Politik aber Menschen in jedem Alter. Politik bedeutet, Entscheidungen zu treffen, die für alle gelten. Anders gesagt: Politik bildet in modernen Staaten den Rahmen, in dem Menschen ihr Leben leben. Ob Clubs die ganze Nacht offen sein dürfen, ob Cannabis legal ist, ob die Uni kostenlos ist und ob Menschen ihre Sexualität frei ausleben dürfen – all das beruht auf politischen Entscheidungen.
Jede und jeder von uns spürt die Folgen politischer Entscheidungen im Alltag. Steigt ein Mensch in die U-Bahn oder den Bus, muss er sich dafür ein Ticket kaufen. Dass er die Fahrt überhaupt bezahlen muss, ist mit einer politischen Entscheidung verbunden. Die Linke fordert beispielsweise einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr. Andere Parteien sehen Vergünstigungen vor.
Dass Jugendliche, die neben der Schule einem Minijob nachgehen, dafür keine Hungerlöhne mehr bekommen dürfen – das ist die Folge einer politischen Entscheidung. Der gesetzliche Mindestlohn wurde 2014 auf drängen der SPD im Bundestag verabschiedet.
Nicht zuletzt ist der Klimaschutz eine politische Angelegenheit, die vor allem die jüngeren Menschen betrifft. Die Auswirkungen des Klimawandels sind zwar jetzt schon spürbar, doch gegen Ende des 21. Jahrhunderts werden sie die Menschen direkt und unmittelbar betreffen. Das Umweltbundesamt hat diese Auswirkungen zusammengefasst: häufigere Extremwetterereignisse, Durchschnittstemperaturen von 29 Grad, Dürren und damit verbundene Nahrungs- und Trinkwasserknappheit, Hitzewellen und das Schmelzen von Permafrost.
All diese Auswirkungen haben großen Einfluss auf die Lebensqualität der heute jungen Menschen. Und gerade bei diesem Thema haben die zur Wahl stehenden Parteien teils komplett unterschiedliche Herangehensweisen.
Einer von über 80 Millionen Menschen in Deutschland. Eine Stimme von 60,4 Millionen Wahlberechtigten. Wie soll da meine Stimme relevant sein? Dieses Argument wird von Expertinnen und Experten als unwahr bezeichnet.
Klar, eine Stimme von 60,4 Millionen Stimmen macht tatsächlich erst einmal keinen großen Unterschied. Aber was wäre, wenn alle so denken? Oder ganz pragmatisch: Bei der Bundestagswahl 2017 gab es fast 15 Millionen Menschen, die nicht gewählt haben – welchen Unterschied hätte diese Masse an Stimmen wohl gemacht?
Außerdem kann bei Bundestagswahlen die einzelne Stimme sehr wohl entscheidend sein. Mit der Erststimme wählen Menschen nämlich einen Direktkandidaten beziehungsweise eine Direktkandidatin im eigenen Wahlkreis. Und hier kommt es auf jede Stimme an. Denn in Wahlkreisen wählen nicht Millionen, sondern nur ein paar Hunderttausend Wahlberechtigte. Die eigene Stimme hat also hier durchaus ein größeres Gewicht. Und wer in seinem Wahlkreis die Mehrheit der Erststimmen erreicht, zieht tatsächlich in den Bundestag ein.
Tatsächlich kann man niemanden davon überzeugen, Lust zu bekommen, sich elend lange Parteiprogramme durchzulesen. Sich mit hochtrabend komplizierten politischen Prozessen auseinanderzusetzen genauso wenig. Dafür gibt es aber Abhilfe.
Es gibt viele Medien, die sich die Wahlprogramme der Parteien durchgelesen und sie für bestimmte Zielgruppen zusammengefasst haben. Auch watson hat sich mit den Programmen auseinandergesetzt und herausgefiltert, was die Parteien für junge Menschen tun wollen.
Hier findet ihr vier der Wahlprogramme der im Bundestag vertretenen Parteien zusammengefasst:
Dass es Menschen gibt, die sagen, sie interessieren sich nicht für Politik, ist legitim. Man muss sich nicht täglich politische Talkshows reinziehen oder über Themen wie Feminismus und das Rentensystem debattieren. Allerdings, das wurde auch bereits im ersten Abschnitt dieser Analyse erklärt: Politische Entscheidungen betreffen jeden und jede in sehr vielen Bereichen unmittelbar.
Ob man die Möglichkeit bekommt, mit dem Bus zur Arbeit zu fahren, weil der öffentliche Nahverkehr ausgebaut wird, ob Windräder in der Nähe des eigenen Wohngebiets gebaut werden, ob die Mieten in großen Städten immer weiter steigen oder ob es genügend Lehrerinnen und Lehrer an der Schule gibt – all das sind Entscheidungen, die von der Politik getroffen oder zumindest beeinflusst werden.
Viele Skandale um Korruption oder zumindest der Missbrauch des eigenen politischen Amtes erwecken diesen Eindruck. Doch wie es eigentlich in allen Lebensbereichen ist: Pauschalisieren bringt auch hier nichts.
Ja, Politikerinnen und Politiker wollen an die Macht. Wenn ein gewählter Mensch etwas anderes behauptet, dann hat er sich entweder nicht mit dem Sinn hinter der Politik beschäftigt oder er lügt. Natürlich wollen sie an die Macht, sie wollen schließlich etwas bewegen. Ohne Macht ist das überhaupt nicht möglich. Ein Politiker oder eine Politikerin, der oder die nicht an die Macht wollte, würde einen ziemlich schlechten Job machen.
Wie diese Menschen mit der ihnen gegebenen Macht umgehen, das haben letztlich der Wähler und die Wählerin zu bewerten. Dafür können sie sich an dem orientieren, was die bisherige Regierung geschafft hat und was nicht – und je nachdem, die Regierungsparteien bei der Wahl bestätigen oder die Opposition wählen.
Auch das ist ein legitimes Argument. Allerdings sollte das nicht vom Wählen abhalten. Niemals werden zwei Menschen in allen Fragen der Welt die gleiche Meinung haben – also auch nicht in der Politik. So kommt es auch, dass sich innerhalb von Parteien unterschiedliche Flügel bilden. Grob ausgedrückt sind das noch mal eigene kleinere Parteien innerhalb der Partei.
Dass es in einer Demokratie immer Kompromisse geben wird und man nie vollends mit allen Entscheidungen glücklich ist, lässt sich nicht ändern – solange man tatsächlich eine Demokratie will und keine autoritäre Gewaltherrschaft. Findet jemand tatsächlich gar keine Übereinstimmung mit den bestehenden Parteien, kann sie oder ja auch immer noch eine eigene gründen.
Die unterschiedlichen demokratischen Parteien wollen sehr häufig dieselben Ziele erreichen. Der Weg dahin ist meist nur unterschiedlich gezeichnet. Sie setzen auch unterschiedliche Prioritäten, etwa wenn es darum geht, wofür wie viel Geld ausgegeben werden soll.
Letzten Endes ist es dann eine Abwägungssache: Welche Partei stimmt mit meinen Wünschen und Zielen am meisten überein? Und auch zu wissen, welche Partei man auf gar keinen Fall unterstützen möchte, kann schon dabei helfen, eine Entscheidung zu treffen.