Familiengründung: Sie ist eines der Ziele, die viele Menschen im Leben haben. Was aber, wenn man mit der falschen sexuellen Orientierung im falschen Land lebt? Italien etwa gilt eigentlich als offenes Land für LGBTQIA+-Personen.
An den meisten Orten in dem europäischen Staat müssen etwa homosexuelle Menschen keine Angst haben, ihre sexuelle Orientierung offen zur Schau zu tragen. Wenngleich es natürlich auch dort Orte gibt, an denen sie befürchten müssen, hierfür angefeindet zu werden. Das ist in Deutschland nicht anders.
Aktuell nimmt der Kampf um die Rechte von Regenbogenfamilien in Italien eine zunehmend bittere Richtung. Die ultrarechte Regierung unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni setzt sich vehement für ein konservatives Familienbild ein. Eines, das ausschließlich aus Mutter, Vater und Kindern besteht. Gleichgeschlechtliche Eltern werden dabei systematisch benachteiligt und diskriminiert. Das geht so weit, dass Geburtsurkunden angefochten werden und Eltern ihre Elternschaft offiziell verlieren.
Betroffene Familien und Vertreter:innen von LGBTQIA+-Organisationen gehen auf die Barrikaden. Watson hat mit einem der wichtigsten Verfechter in Rom gesprochen und sich ein Bild von der Situation im Land gemacht. Der Vorwurf: Die Regierung sei im Umgang mit Regenbogen-Familien mittelalterlich.
Eine kürzlich erlassene Verordnung des Innenministers, Matteo Piantedosi, hat die Staatsanwaltschaft dazu veranlasst, die Geburtsurkunden von Kindern anzufechten. Konkret jene, die in Familien mit gleichgeschlechtlichen Eltern geboren wurden. Das Ziel: Bei Kindern mit zwei Müttern oder zwei Vätern soll nur der leibliche Elternteil anerkannt bleiben. Dem oder der Partner:in wird der Status als Elternteil entzogen.
Gerichte empfehlen einigen Paaren, in "besonderen Fällen" eine Adoption durchzuführen. Diskriminierend, findet der Homosexuellenkulturverein (Circolo di Cultura Omosessuale) Mario Mieli in Rom – eine italienische Organisation, die sich für LGBTQIA+-Rechte im Land einsetzt. Eine Adoption sei "ein langer, mühsamer und teurer Prozess, der einmal mehr durch die Gerichtssäle geht, als ob es sich um ein Verbrechen oder eine Straftat handeln würde", erklärt er auf Anfrage von watson. Zudem stellt die Organisation die Frage, was an einer Familie, die ein eigenes Kind haben möchte, so besonders sei.
Für die betroffenen Familien sind die Anfechtungen ein Albtraum, wie etwa das Beispiel von Sarah Quinto und Elisa Barbugian aus Padua zeigt. Die beiden Frauen sind durch eine künstliche Befruchtung Eltern von Zwillingen geworden, kämpfen nun vor Gericht um die Anerkennung als Elternteile in den Geburtsurkunden ihrer Kinder.
Die Aberkennung des Elternstatus stellt für sie und ihre Kinder eine erhebliche Einschränkung dar, wie Sarah Quinto bereits im Januar öffentlich machte: "Ich kann zum Beispiel meinen Sohn nicht mit in den Urlaub nehmen, wenn ich als Mutter nicht im Reisedokument eingetragen bin."
Die Frauen sind Mütter von insgesamt vier Kindern. Sie sind es leid, Einschreibebriefe von der Staatsanwaltschaft zu erhalten, in denen die Geburtsurkunden ihrer Kinder angefochten werden. "Wir haben beschlossen, die beiden kleinen Zwillinge registrieren zu lassen, weil sie sonst nicht als unsere Töchter und als Schwestern der beiden älteren Brüder anerkannt werden könnten", zitiert das italienische Medium "fanpage.it" die entschlossene Mutter Quinto.
Das zehrt an den Nerven. Sie seien müde, verzweifelt, entmutigt. Trotzdem wollen sie nicht aufgeben. Sarah Quinto erklärt dazu weiter:
Die Entscheidungen der Regierung stoßen durchaus auf Widerstand in der Bevölkerung. In Padua und anderen Städten finden regelmäßig Demonstrationen gegen die diskriminierende Politik der ultrarechten Regierung statt. Iryna Shaparava, eine Aktivistin aus Padua, erklärt gegenüber "fanpage.it": "Wir wollen der ganzen Welt zeigen, dass Familien nicht aus zwei verschiedenen Geschlechtern bestehen. Vielmehr werden Familien dort geboren, wo Liebe herrscht."
Hier wünscht sich der Homosexuellenkulturverein mehr Aktion. Die Organisation verweist gegenüber watson auf eine "paradoxe" Entwicklung: Zwar sei die Gesellschaft offener für die Anliegen und die implizite Anerkennung der Rechte der LGBTQIA+-Community und Regenbogenfamilien geworden,
Die restriktive Haltung der italienischen Regierung steht tatsächlich im Widerspruch zu den Fortschritten, die in den vergangenen Jahren im Bereich der Gleichstellung erzielt wurden: Im Jahr 2016 wurden gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften legalisiert, jedoch wurde das Recht auf Adoption den Paaren damals verweigert.
Stattdessen mussten sie jede Entscheidung über eine offizielle Eintragung beider Elternteile individuell vor Gericht durchsetzen. Diese Möglichkeit wird nun durch die jüngsten Maßnahmen der Regierung untergraben.
"Wir stehen einem von ideologischem Hass durchdrungenen Staat gegenüber", sagt Mario Colamarino, Präsident des Homosexuellenkulturvereins, gegenüber watson. Die Regelungen könne den betroffenen Familien bei Reisen ins Ausland vor umständliche, aber auch peinliche Situationen, stellen.
Professor Alessandro Rosina, Demografie-Experte aus Mailand, warnt davor, dass die restriktive Familienpolitik Italiens den dramatischen Geburtenrückgang im Land weiter verschärfen könnte. "Statt eines ideologischen Ansatzes brauchen wir einen inklusiven Ansatz in der italienischen Familienpolitik", betont Rosina gegenüber "ZDF heute".
Es brauche ein günstiges Umfeld, in dem Kinder unabhängig ihrer Ethnie, ihrer sozialen Schicht oder der sexuellen Orientierung in der Familie aufwachsen können.
Ministerpräsidentin Giorgia Meloni verteidigte ihre Politik mit plakativen Parolen gegen die LGBTQIA+-Community. Sie positioniert sich gegen eine von ihr beschriebene "Gender-Ideologie" und eine "LGBT-Lobby". Meloni betont: "Sie wollen, dass wir Elternteil 1 und Elternteil 2 sagen, statt Vater und Mutter. Das Geschlecht soll LGBT sein. Der Bürger X. Aber wir sind keine Codes. Wir sind Menschen, und wir werden unsere Identität verteidigen."
Diese Behauptungen bezeichnet der Homosexuellenkulturverein als "weitere Fakenews der extremistischen Propaganda". Die "Politik und der willfährige Teil der Presse" habe dies zu Unrecht verbreitet. Bezeichnungen wie "Elternteil 1 und Elternteil 2" seien auch aus Sicht der queeren Community absurd.
Die eigentliche Forderung: "Wenn ein Kind von zwei Frauen adoptiert wurde, müssen beispielsweise beide Mütter auf seinem Ausweis erscheinen. Mit der Bezeichnung 'Eltern' oder einem anderen dem Geschlecht entsprechenden Begriff."
Die Organisation fordert ein Gesetz, das die Rechte gleichgeschlechtlicher Paare und ihrer Kinder "endlich" definiert. Mario Colamarino, Präsident des Vereins, stellt gegenüber watson klar: "Die Geduld ist am Ende, das Land geht voran und unsere Gesellschaft darf nicht im Mittelalter stecken bleiben!"