Sahra Wagenknecht versucht, mit ihrem gleichnamigen Bündnis (BSW) in der Politik mitzumischen.Bild: IMAGO / IPON
Analyse
Regierungspläne im Osten, Fake-News zur Ukraine und ein bunter Blumenstrauß von links nach rechts: Sahra Wagenknecht erregt spätestens seit dem Wahlerfolg bei der Europawahl, der einem Kickstart gleichkommt, mit ihrem gleichnamigen Bündnis (BSW) verstärkt Aufmerksamkeit.
Zuletzt forderte die ehemalige Linken-Politikerin etwa ein Verbot von digitalen Endgeräten an Grundschulen und verpflichtende Sprachtests für alle Kinder ab drei Jahren. Der Grund? Es gebe immer noch Schüler:innen, die die Grundschule verlassen, ohne richtig schreiben zu können. Das behauptet zumindest Ali Al-Dailami, der für das BSW im Bildungsausschuss des Bundestags sitzt, gegenüber "Table.Briefings".
Zu den anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen hat das Bündnis Sahra Wagenknecht ebenfalls schon konkrete (Wunsch-)Vorstellungen. Eine Zusammenarbeit mit der SPD schließt Wagenknecht beispielsweise nicht aus, auch der CDU hat sie bereits ein nicht ganz zweifelsfreies Angebot gemacht.
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Doch wie sieht es auf Bundesebene aus? Reicht der Kickstart zur Europawahl für den nötigen Rückenwind, den das BSW vor der Bundestagswahl aus den Landtagswahlen benötigt?
Welche Pläne Sahra Wagenknecht mit ihrem BSW verfolgt
Bei der Europawahl erreichte das BSW 6,2 Prozent – auch unter den Jung- und Erstwähler:innen kam es auf 6 Prozent. Zu den Landtagswahlen im Osten kann sogar mit bis zu 15 Prozent Zustimmungswerten gerechnet werden, prognostiziert Klaus Schroeder im Gespräch mit watson. Er ist Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin und forscht unter anderem zur linken Politik. Seinen Prognosen zufolge würde das BSW nach AfD und CDU zur drittstärksten Kraft.
Generell rechne sich Sahra Wagenknecht aus, potenzielle AfD-Wähler:innen für sich zu gewinnen und die ohnehin schon angeknackste Linke ganz kaputtzuschlagen. Auch das Wählerstimmen-Fischen an den linken Rändern der Grünen und SPD sei möglicherweise ein Teil der Strategie.
Sahra Wagenknecht (Mitte) zur Pressekonferenz ihrer Parteigründung.Bild: dpa / Soeren Stache
Schroeder ist überzeugt, dass keine demokratische Partei, auch das BSW nicht, auf Landes- oder Bundesebene mit der AfD koalieren würde. Damit hänge alles an der CDU.
Das bestätigt auch Politikwissenschaftler Gero Neugebauer auf watson-Anfrage. Neugebauer forscht unter anderem zum Wahlverhalten und dem politischen System Deutschlands. Er sagt: Die CDU müsse "ihren Bannfluch gegenüber der Linken" aufgeben.
"Das BSW ist auf den Bund fixiert", ist sich der Experte sicher. "Darunter macht es Sahra Wagenknecht nicht". Denn Landtagswahlen dienen naturgemäß dazu, die Parteiorganisationen in Wahlkämpfen zu erproben, aber auch, um Geld und Posten zu erhalten.
Auch Schroeder ist der Meinung: Stimmt das Ergebnis für das BSW im Osten, wird Wagenknecht mit ihrer Partei auch zur Bundestagswahl antreten.
Oder eher: Lafontaine mit seiner Partei. Denn dass der Einfluss von Wagenknechts beinahe doppelt so alten Ehemann und Ex-SPDler, sowie Ex-Linken Oskar Lafontaine größer als gedacht sein dürfte, ist inzwischen ein offenes Geheimnis.
Lafontaine: Der heimliche Strippenzieher?
Lafontaine war beim ersten Bundesparteitag der jungen Partei BSW Anfang des Jahres Hauptredner. Die klare Botschaft: Er mischt wieder mit in der Politik.
Sowohl aus der SPD als auch aus der Linken ist der 80-Jährige mit einem großen Knall ausgetreten. In beiden Parteien stand er einst an der Spitze. Nach einer kurzen Mitgliedschaft in der WASG (2004 aus regierungskritischen SPD-Mitgliedern entstanden und 2007 gemeinsam mit der PDS zur Partei Die Linke fusioniert) ist das BSW nun genau genommen schon Lafontaines vierte Partei.
Neugebauer und Schroeder sind der Meinung, dass Lafontaine seiner Frau bei weitem nicht nur "mit seinen Weisheiten beratend zur Seite" steht, wie er vergangenes Jahr noch in einem Gespräch mit der "Süddeutschen Zeitung" (SZ) ankündigte.
Oskar Lafontaine stand Wagenknecht beim Parteitag zunächst sitzend zur Seite.Bild: dpa / Kay Nietfeld
"Im Hintergrund wirkt Oskar Lafontaine. Und dass Sahra Wagenknecht ohne ihn politisch so wie gegenwärtig wirken würde, bezweifle ich", sagt Neugebauer.
BSW: Ein verhängnisvoller bunter Blumenstrauß von links nach rechts
Der weitere Erfolg des BSW hängt also nicht nur von der CDU ab, sondern auch von den Plänen des nicht mehr ganz so heimlichen Strippenziehers Lafontaine.
Und der sollte schleunigst etwas an der Ausrichtung der Partei ändern. Denn derzeit ist von jeder Partei etwas im Lostopf zu finden: von links nach rechts und wieder zurück. Klar, die Hoffnung des BSW ist, möglichst aus jedem Parteienspektrum Wähler:innen abzugreifen.
Doch die Wahlberechtigten wählen lieber das Original als eine Kopie, wie Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele beim Deutschlandfunk erklärt.
Wie breit aufgestellt das BSW derzeit (noch) ist, bewies der selbst inszenierte geistige Vater des BSW-Parteiprogramms, Lafontaine, beim Parteitag. Er sprach vom aus seiner Sicht unwürdig niedrigen Mindestlohn wie zu seiner Zeit als einstiger erfolgreicher Ministerpräsident und sozialdemokratischer Hoffnungsträger. Dann verlor er sich mehrere Minuten in außenpolitischen Gefilden, ohne auch nur ein einziges Mal den Namen Wladimir Putin in den Mund genommen zu haben.
Sein Ausruf "von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen" klang auch mehr so, als hätte die Bundeswehr die Ukraine überfallen und nicht Russland. Beim Thema Migration liegt das BSW ebenfalls näher an den Unionsparteien als an der Linken.
Die Partei brauche eine klare programmatische Vorstellung, wenn sie langfristig Erfolg haben will, betont Politikwissenschaftler Schroeder. "Einfach nur gegen die anderen sein, reicht nicht." Es deute vieles darauf hin, dass Lafontaine die Partei inhaltlich nach links ausrichten wird.
Warum ist das BSW im Osten erfolgreich?
Auf Bundesebene will sich derzeit noch keine bestehende demokratische Partei so recht zu einer Aussage durchringen, wie es sich mit einer Zusammenarbeit mit Wagenknecht verhält. Auf Landesebene hingegen wird von allen Seiten stets betont: Die Länder entscheiden selbst, wenn es so weit ist.
Es gibt ohnehin aktuell erst vier Landesverbände des BSW. Es bleibt abzuwarten, ob Wagenknecht 16 schlagkräftige Landesverbände stellen kann, um bei der Bundestagswahl Erfolg zu haben. Allerdings wurden zwischen Februar und Mai zumindest die drei Landesverbände in Brandenburg, Thüringen und Sachsen gegründet, wo in diesem Jahr gewählt wird.
Katja Wolf ist die BSW-Hoffnung in Thüringen.Bild: dpa / Heiko Rebsch
Dort werden dem BSW große Chancen zugerechnet. Sicher ist: Wagenknecht eröffnet mit ihrer Partei dort neue Koalitionsmöglichkeiten. Denn um beispielsweise in Thüringen die AfD-Regierungsbeteiligung zu verhindern, müsste sich die CDU mit der SPD und dem BSW zusammentun. Ausgeschlossen hat diese Möglichkeit noch keine der Parteien. Auch Politikwissenschaftler Neugebauer hält das für möglich.
Das BSW gilt als Protestpartei. "Wir da unten gegen die da oben", lautet das selbst erklärte Motto. Und Protest gibt es in den Ostbundesländern viel. Die Menschen fühlen sich missverstanden, sagt Schroeder. "Sie wählen die AfD, obwohl sie gesichert rechtsextrem ist". Das sei auf die Vergangenheit zurückzuführen. "Die Prägungen der DDR wirken bei Jüngeren in einem Maße nach, wie man es nicht erwartet hat", sagt er.
Auch wenn vieles in Ostdeutschland noch unklar ist, Schroeder ist sich sicher: "Das BSW wird das gesamte Parteiensystem in Deutschland beleben."