Thüringen hat gewählt – als erstes von neun Bundesländern, in denen Bürgermeister, Landräte, Gemeinderäte und weitere kommunale Vertreterinnen und Vertreter in diesem Jahr neu bestimmt werden. Menschen also, die für uns alle Verantwortung übernehmen. In Zeiten, in denen Wahlkämpfende und Engagierte angefeindet werden, nicht selbstverständlich.
Thüringen? Kommunalwahl? Das ist doch kein Thema für die Bundespolitik.
Doch, ist es. Und muss es, wenn es nach mir geht, noch vielmehr werden.
Der AfD ist der befürchtete Durchmarsch in die Rathäuser nicht gelungen. Aber sie hat landesweit dazugewonnen. Im Landkreis Hildburghausen hat es mit Tommy Frenck ein Neonazi in die Stichwahl um den Posten des Landrats geschafft. Erschreckend viele hatten kein Problem damit, ihn zu wählen. Das ist kein Zufallsergebnis.
Und leider müssen wir fürchten, dass uns sowas auch in anderen Teilen Deutschlands passiert. Das ist kein Thüringen-Phänomen, das ist politische Realität im gesamten Land. Ich weiß, wovon ich spreche: In meinem Wahlkreis Pforzheim (tief im Südwesten) ist die AfD längst Alltag im Stadtrat, im Landtag und in den Gemeinden.
Die AfD hat im Landesdurchschnitt in Thüringen zugelegt, die SPD verloren. Auch das gehört zur bitteren Wahrheit. Zwar deutet sich bundesweit ein Rückgang der AfD-Werte in Umfragen an. Trotzdem sind immer noch viel zu viele Menschen bereit, der rechtsextremen Partei ihre Stimme zu geben.
Und das, obwohl die AfD sicher alles ist, aber ganz sicher keine gute Alternative für Deutschland: Spionage-Vorwürfe für Russland und China, Meldungen von Korruption und zwei Parteichefs, die sich immer wie Aale winden und dennoch alles decken.
Gegen den europäischen AfD-Spitzenkandidaten kommen immer neue Vorwürfe ans Licht. Und dennoch wurde Maximilian Krah auf Vorschlag der Parteispitze nominiert – die beiden Vorsitzenden der AfD wussten ganz genau, was sie taten. Alice Weidel und Tino Chrupalla decken dieses kriminelle Verhalten in ihrer Partei nicht nur, sie unterstützen es. Sie spielen es herunter.
Selbst den Rechtsextremen im Europaparlament wurde es nach den unerträglichen Aussagen von AfD-Spitzenkandidat Krah zu SS-Verbrechen zu viel. Sie haben die AfD noch vor der Wahl aus der gemeinsamen Fraktion geschmissen. Eine Stimme für diese Partei ist eine Stimme gegen Europa und gegen Deutschland.
Krah will den Euro abschaffen und raus aus der Europäischen Union. Wir sind Exportland und Profiteur Nummer Eins der EU. Der Populismus der AfD würde Hunderttausende Arbeitsplätze kosten und davor haben zu Recht Unternehmerinnen und Unternehmer jüngst gewarnt.
Noch schlimmer sähe es aus, wenn die AfD hier in Deutschland das Sagen hätte: Menschen mit Einwanderungsgeschichte sollen nach Plänen rechtsextremer Teile der AfD außer Landes gebracht werden. Das trifft unsere Freunde, unsere Angehörigen, unsere Nachbarn.
Während hier an abscheulichen Plänen gearbeitet wird, hat die AfD auf die Fragen, die den Menschen unter den Nägeln brennen, keine Antwort. Ein AfD-Rentenkonzept? Gibt es nicht. Steuern? Für Superreiche weniger. Antworten auf den Klimawandel? Gibt es nicht. Die AfD lügt sich lieber einen zurecht und behauptet, es gäbe keinen menschengemachten Klimawandel.
Politik wird von Menschen gemacht. Und deshalb geht es auch darum, wem die Bürgerinnen und Bürger vor Ort Verantwortung übertragen. Mir ist auch klar, dass die Zugehörigkeit zu einer Partei in Gemeinden und Städten oft nicht das entscheidende Kriterium ist. Aber ich bin sehr dafür, sich sehr genau anzuschauen, wen man wählt. Gerade bei der AfD, die eben keine 'normale' Partei ist.
Sie arbeitet strukturell und systematisch daran, unsere Demokratie zu zersetzen. Bundesweit, auch in Thüringen, aber nicht nur. Und deshalb geht uns das alle an.
Was braucht es in der Bundespolitik? Es braucht mehr Schutz und Sicherheit für alle, die sich dem Gebaren der AfD entgegenstellen. Dazu zählt klarer politischer Rückhalt, dazu gehört eine "Ja-das-geht-uns-alle-an-Haltung". Dazu gehört eine Reform des Meldegesetzes, damit private Adressen von Amts- und Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern nicht mehr so leicht herauszufinden sind. Dazu gehört ein Demokratiefördergesetz, das endlich kommen muss.
Wir müssen als demokratische Parteien auch noch viel mehr als bislang den Kampf gegen die AfD in den sozialen Netzwerken aufnehmen. Wir dürfen ihr in- und außerhalb der Parlamente nicht die Deutungshoheit überlassen. Und das fängt am Küchentisch und am Stammtisch an. Denn jede und jeder kennt doch mittlerweile jemandem im Freundes- oder Familienkreis, der zumindest den ein oder anderen Gedanken mit dieser Partei teilt.
Es braucht Klarheit, in welche dunklen Netzwerke die AfD und ihre Protagonisten verstrickt sind. Derzeit laufen die Prozesse gegen Reichsbürgerinnen und Reichsbürger, die einen Umsturz geplant haben. Wären sie erfolgreich gewesen, wären wir in einem anderen Land aufgewacht. Die Strukturen reichen bis weit in die AfD hinein. Und deshalb schauen auch unsere Sicherheitsbehörden sehr genau hin, was wie und wo passiert.
Ja, die Zustimmung zur AfD sinkt. Aber wir sind noch lange nicht über den Berg. Für die kommenden Monate müssen sich alle Demokratinnen und Demokraten denen zuwenden, die damit liebäugeln, die Partei zu wählen. Ich tue das. Ich will wissen, was da los ist. Ich bin aber auch nicht politisch naiv.
Zur Wahrheit gehört, dass wir einige ganz außen rechts verloren haben. Aber ich bin auch gleichzeitig sehr sicher: Wir sind die Mehrheit und wir sind bereit, die Werte des Grundgesetzes zu verteidigen. Dafür kämpfen wir in Thüringen, Deutschland und auch jetzt bei der anstehenden Europawahl.