Stars Coffee, Lecker und Punkt, Cool Cola – so heißen nun die russischen Klone der weltbekannten US-Konzerne Starbucks, McDonald's und Coca-Cola. Grund: Die Unternehmen zogen sich aus dem Russland-Geschäft zurück – aufgrund des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs gegen die Ukraine.
Auch bekannte Kreditkartenanbieter, Autohersteller oder Unternehmen aus dem Bereich Elektronik und Energie folgten ihnen. Doch einige westliche Firmen blieben – bis heute.
Ein aktueller Bericht von "B4UKraine" und der Kyiv School of Economics (KSE) zeigt: Westliche Unternehmen zahlen noch immer Milliarden an Steuergeldern an den Kreml und unterstützen damit indirekt Russlands Angriffskrieg. So seien 56 Prozent der von KSE beobachteten Unternehmen nach wie vor entschlossen, in Russland zu bleiben.
Darunter auch viele bekannte Namen aus Europa.
Bei fünf dieser Unternehmen hat watson nachgefragt, warum sie noch immer am russischen Markt festhalten:
Anhand der Rückmeldungen und Statements kristallisieren sich drei Rechtfertigungen heraus:
Daher entschied sich etwa der britische Konzern Unilever für die Option, das Unternehmen unter strengen Auflagen weiterlaufen zu lassen. Die Markenpalette von Unilever ist riesig. Marken wie Dove, Axe, Knorr, Ben & Jerrys und Hunderte andere gehören dem Weltkonzern.
Laut eines Konzernsprechers verfügt Unilever über vier Fabriken und eine Hauptgeschäftsstelle in Moskau, an denen insgesamt 3000 Mitarbeitende beschäftigt sind.
Laut des Wirtschaftsexperten Erdal Yalcin ist wichtig festzuhalten, dass Unternehmen aus der EU mit Russland Geschäfte im Rahmen gesetzlicher Vorgaben machen können. Yalcin ist Professor für Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Hochschule Konstanz und forscht unter anderem zu internationalen Sanktionen.
"Die fünf aufgeführten Unternehmen sind alle multinationale Konzerne, die sich etwa mit indischen, chinesischen und anderen globalen Wettbewerbern international bewähren müssen", sagt er auf watson-Anfrage.
Er sehe den Hauptgrund, weshalb diese Unternehmen mit Russland weiterhin Geschäfte machen, allerdings woanders.
Laut Yalcin halten auch andere große Nationen Wirtschaftsbeziehungen mit Russland offen. Die Erwartungshaltung, dass EU-Unternehmen von sich aus das Russland-Geschäft aufgeben, während es internationale Wettbewerber weiter ausbauen, sei eine komplexe Debatte.
Zudem haben etwa die Sanktionen gegen den Irak gezeigt, wie massiv diese die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft ziehen können. "Neben dem Leid der Menschen zeigt die Geschichte, dass die Bevölkerung in solchen Fällen sich sogar hinter der politischen Führung versammeln kann", erklärt der Experte.
So rechtfertigen etwa Nestlé und Globus, weiterhin die Grundversorgung der russischen Zivilbevölkerung sicherzustellen. Ähnlich erklärt sich das Pharma-Unternehmen B. Braun, das nach eigener Angabe etwa 7000 Dialyse-Patient:innen in Zentren in Russland versorgt. Ohne dieses Blutreinigungsverfahren seien die Betroffenen "unmittelbar vom Tod bedroht".
Auch das Argument, die Mitarbeitenden vor Ort schützen zu wollen, ist für Yalcin nachvollziehbar. Denn damit würde man der Zivilbevölkerung genauso schaden. Ebenso müsse man sich vor Augen halten, dass die Rahmenbedingungen für Sanktionen auf politischen Entscheidungen basieren.
Er führt aus:
Yalcin zufolge sollten politisch motivierte Sanktionen Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, nicht in eine Zwickmühle bringen, sondern klare Rahmenbedingungen schaffen.
Dennoch steht die Frage im Raum, ob die verbliebenen Firmen in Russland große Gewinne erzielen.
Nach Angaben der ukrainischen "Nationalen Agentur für Korruptionsbekämpfung" (NACP) soll Unilever 2022 seine Gewinne in Russland verdoppelt haben. Auf watson-Anfrage rechtfertigt sich das Unternehmen jedoch: "Der Umsatz war höher aufgrund der Preisinflation und der Stärke des Rubels, der im Jahr 2022 um 18 Prozent anstieg." Man habe das Geschäft in Russland reduziert und dafür Einbußen hingenommen.
Dennoch machen diese Firmen am Ende gute Profite – gerade weil sich andere Konkurrenten zurückziehen. Davon geht Wirtschaftsexperte Vasily Astrov vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) aus.
Ebenfalls kritisch: Könnten gelieferte Produkte für die russische Kriegswirtschaft relevant sein?
"Hierfür haben wir innerhalb der EU klare Richtlinien, welche Produkte in Russland vertrieben werden dürfen und welche nicht", meint Yalcin. Der Baumaschinenhersteller Liebherr versichert gegenüber watson, dass er von Beginn an die jeweils anwendbaren Sanktionsmaßnahmen befolgt.
"Demnach importiert die Firmengruppe etwa mit wenigen Ausnahmen keine Neugeräte aus ihrem Produktspektrum nach Russland", sagt eine Sprecherin des Unternehmens. Auch liefere man keine Geräte und Ersatzteile an sanktionierte Unternehmen oder Unternehmen, die von sanktionierten Einzelpersonen geleitet würden.
"Unternehmen wie Liebherr agieren in Industrien, die von überschaubar vielen Konkurrenten geprägt sind", erklärt Yalcin. Insofern sei die Aussage, dass zumindest kurzfristig, ein Wegfall dieser Unternehmen zu Versorgungsengpässen führen kann, nachvollziehbar.
Russland zähle zu den größten Absatzmärkten von Liebherr, heißt es auf der eigenen Website. Aktuell beschäftige die Firma etwa 1100 Mitarbeitende vor Ort. Weiter heißt es:
Denn bei weitem unterstützen nicht alle Russen den Krieg, betont Astrov. Laut ihm sind soziologische Umfragen in einer de facto Diktatur mit Vorsicht zu genießen, selbst von unabhängigen Instituten. Soll man mit den Sanktionen die Leute bestrafen, die dafür gar nichts können? Für Astrov sei das eine schwierige Frage. Dennoch kommt gerade von der ukrainischen Seite der Vorwurf, dass das russische Volk den Krieg mittrage.
Aber wie wirksam sind Sanktionen, wenn die russische Zivilbevölkerung sie nicht in vollem Ausmaß zu spüren bekommt? Eine ethische Debatte.
"Historische Daten zeigen, dass Sanktionen als flankierende Maßnahme neben weiteren Instrumenten, wie etwa Kriegsbeitritt, diplomatische Initiativen, besonders dann wirksam sind, wenn sie umfassend gestaltet werden", meint Yalcin. Gleichzeitig werde kritisch hinterfragt, wie hart umfassende Sanktionen die Zivilbevölkerung treffen dürften.
Laut Yalcin darf man von Sanktionen keine Wunder erwarten. Vielmehr seien sie ein Teilinstrument der Politik, das zur Erreichung von politischen Zielen genutzt werden kann.