Die Terrororganisation "Islamischer Staat" wurde 2019 militärisch besiegt. Eine Gefahr stellen die verbliebenen Anhängerinnen und Anhänger aber immer noch dar – auch in Deutschland.
Einer von ihnen wurde am Montag in einer ProSieben-Dokumentation porträtiert – ein deutscher Staatsbürger, der in einem Gefängnis in Syrien sitzt und sich von der islamistischen Ideologie nicht distanziert.
Kehren die einst dem Ruf zum Dschihad gefolgten Extremisten nach Deutschland zurück, stellen sie nicht nur die Sicherheitsbehörden und die Justiz vor eine Herausforderung. Auch für die Gesellschaft stellt sich die Frage, wie man mit ihnen umgehen soll.
Die Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal hat dazu eine klare Meinung. "Wir wollen nicht, dass Völkermörder frei herumlaufen", sagt sie gegenüber watson. Die IS-Täter müssten zur Rechenschaft gezogen werden.
Tekkal hat jesidische Wurzeln und ist damit Teil jener Bevölkerungsgruppe, an welcher der IS im Jahr 2014 im Nordirak einen Völkermord verübt hat. Gemeinsam mit ihrer Schwester Tuğba Tekkal betreibt sie den humanitären Verein Háwar.help, der unter anderem Frauen und Kinder aus IS-Kriegsgefangenschaft unterstützt.
Düzen Tekkal sagt:
Dies, ergänzt sie, sei eine weltweite Aufgabe.
Mit Blick auf aktuelle Prozesse gegen weibliche IS-Rückkehrerinnen wie etwa Jennifer W., die im Oktober zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde, sagt Tekkal: “Für weibliche Täterinnen darf es keinen Rabatt geben. Sie sind und waren ein perfider Teil des Systems."
Die 28-jährige Deutsche hatte gemeinsam mit ihrem Ehemann ein jesidisches Mädchen in der prallen Sonne verdursten lassen. Für den Mann Taha Al-J. hatte die Bundesanwaltschaft am Montag lebenslange Haft gefordert.
Die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen habe einen unglaublich großen Wert, sagt Düzen Tekkal. Deren Berichte seien eine wichtige Grundlage in Strafprozessen. "Die Sicherheitsbehörden machen hier schon einen guten Job. Das Personal muss aber noch qualifizierter eingebunden werden."
Auch der Islamismus-Experte Ahmad Mansour sagt im Gespräch mit watson, die Arbeit der deutschen Sicherheitsbehörden sei in den vergangenen Jahren besser geworden. Das liege auch an der Unterstützung durch Kräfte in den Krisengebieten, etwa durch Zeugenaussagen.
Mansour schränkt ein: "Ein Problem ist, dass viele Verbrechen nicht in Deutschland stattgefunden haben, sondern in Syrien oder im Irak." Weil man dort begangene Taten aber meist schlecht beweisen könne, blieben viele Täterinnen und Täter straffrei. Mansour meint aber: "Aber wenn man Zeit investiert, kann man eine gute Grundlage für erfolgreiche Prozesse schaffen."
Der aus einer arabisch-israelischen Familie stammende Psychologe weist darauf hin, dass momentan nur punktuell IS-Rückkehrer nach Deutschland gebracht würden. "Deshalb würde ich sagen: langfristig ist die Bedrohungslage groß, kurzfristig aber zu kontrollieren."
Wie Düzen Tekkal richtet auch er den Blick zusätzlich auf den Islamismus in Deutschland. "Es geht nicht nur um die Rückkehrer, sondern auch um die Ideologie des IS. Und diese gibt es auch bei Leuten, die nie in Syrien oder im Irak waren: Bei Konvertiten, einigen Flüchtlingen und Salafisten."
Mansour fordert, man müsse auch Islamverbände in die Verantwortung nehmen, zum Beispiel Ditib. Der größte deutsche Islamverband ist der staatlichen türkischen Religionsbehörde Diyanet unterstellt, die Imame von der Türkei nach Deutschland entsendet.
"Das sind keine Terror-Unterstützer", sagt Mansour. "Aber sie haben ein problematisches Islamverständnis, das es vielen Muslimen unmöglich macht, emotional in Deutschland anzukommen." Etwa bei Fragen der Gleichberechtigung oder bei israelbezogenem Antisemitismus. Da reiche es nicht aus, sich von Extremismus zu distanzieren.
Der Verband Ditib steht immer wieder wegen seines problematischen Verhältnisses zur Demokratie in der Kritik. Der Verfassungsschutz prüft seit September 2018 eine Einstufung der DİTİB-Zentrale als Verdachts- oder Beobachtungsobjekt.
Die Rolle der Türkei sieht auch die Linken-Politikerin Martina Renner kritisch. Die Bundestagsabgeordnete war in der vergangenen Legislaturperiode Mitglied des Untersuchungsausschusses, der sich mit dem islamistischen Terroranschlag am Berliner Breitscheidplatz 2016 befasst.
Insbesondere mit der Türkei scheine eine wirkliche Zusammenarbeit beim Thema Islamismus überhaupt nicht möglich, sagt sie watson. Renner meint:
Aber auch innerhalb der EU sei die Zusammenarbeit im Präventionsbereich "eher unterbelichtet".
Aus dem Fall des Breitscheidplatz-Attentäters Anis Amri ließen sich folgende Lehren ziehen:
Neben jenen, die sich radikalisieren ließen und auch Anschläge begehen wollten, gebe es Unterstützer für Technik, für gefälschte Ausweise, finanzielle Unterstützung, sichere Wohnungen und Zugang zu Waffen.
Das seien nicht zwingend eingeschworene Terroristen. Manche würden geködert und wieder andere unwissentlich missbraucht. "Viel zu oft scheinen die Behörden diesen Netzen noch immer eher zufällig zu begegnen", sagt Renner.