"Joe Biden ist ein guter Mann und ein guter Präsident. Er muss sich aus dem Rennen zurückziehen." So titelt US-Journalist Thomas Friedman sein Meinungsstück in der "New York Times".
Sein Urteil zum TV-Duell zwischen Joe Biden und Donald Trump fällt vernichtend aus. Er habe die Debatte allein in einem Hotelzimmer in Lissabon verfolgt, und "sie hat mich zum Weinen gebracht", schreibt Friedman. Noch nie habe er einen so herzzerreißenden Moment im US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf erlebt.
Er fordert Biden auf, den er selbst als seinen Freund bezeichnet, die Bühne der Politik zu verlassen. Er habe es nicht nötig, sich zur Wiederwahl aufzustellen, heißt es. Biden erklärte, er kandidiere erneut, weil er schon einmal gegen Trump gewonnen hat – und es ein zweites Mal schafft.
Doch er stolpert über sein Alter.
Mit 81 Jahren lässt sich der Stress als US-Präsident nicht einfach abschütteln: viele Reisen, wenig Schlaf, unendliche Entscheidungen mit gravierenden Auswirkungen. Nun hat es die ganze Nation gesehen – und der Rest der Welt auch: Bidens Fitness schwächelt.
Im TV-Duell suchte Biden oft nach Worten, verhaspelte sich dabei und verwirrte mit sprachlichen Aussetzern. Das nutzte Trump für sich aus und reagierte auf eine von Bidens Aussagen: "Ich weiß wirklich nicht, was er am Ende des Satzes sagt. Ich glaube, er auch nicht."
Friedman zufolge ist Trump noch immer "ein bösartiger Mann und ein kleinlicher Präsident". Der Republikaner habe nichts dazu gelernt und nichts vergessen. Er sei dasselbe "fire hose of lies", also ein Lügenbündel, das er schon immer gewesen sei. Trump ist laut des Journalisten nicht annähernd das, was die USA jetzt brauchen.
Sprich: Biden könnte beruhigt das Zepter abgeben. Und die Last, die US-Demokratie vor dem Trump-Lager zu schützen, jemand anderem übertragen.
Um den USA die größtmögliche Chance zu geben, die Bedrohung durch Trump im November abzuwenden, müsse Biden den Weg frei machen für eine andere Person, meint Friedman.
"Die Familie Biden und ihr politisches Team müssen sich schnell zusammenfinden und das schwierigste aller Gespräche mit dem Präsidenten führen, ein Gespräch der Liebe, Klarheit und Entschlossenheit", führt er aus.
Doch wer käme als Alternative zu Biden in Frage?
Als mögliche Kandidat:innen werden immer wieder Gavin Newsom, Gouverneur von Kalifornien, und Gretchen Whitmer, Gouverneurin von Michigan, genannt, sagt USA-Experte Thomas Greven auf watson-Anfrage.
"Beide haben aber signalisiert, dass sie nicht zur Verfügung stehen und Biden unterstützen", führt der Politikwissenschaftler vom Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin aus. Auch nach der missglückten Debatte betont Newsom, er werde weiterhin hinter Biden stehen.
Auf die Frage, ob Biden zurücktreten sollte, sagt er deutlich: "Man kehrt niemanden den Rücken wegen nur einem Auftritt. Was für eine Partei tut so etwas?" Dieser Präsident Biden hat laut ihm in den vergangenen Jahren geliefert. "Wir müssen in diesem Moment für ihn liefern."
Auch die "offensichtlichste Kandidatin" Vize-Präsidentin Kamala Harris, signalisiert Greven zufolge ebenfalls ihre Unterstützung für Biden. Am Ende liegt es offenbar allein an Biden, das Handtuch von sich aus zu werfen.
"Unmöglich ist es nicht, dass Biden verzichtet – oder gar zurücktritt", prognostiziert der USA-Experte. Aber ein Verzicht Bidens auf die Kandidatur würde laut ihm wohl zunächst eine intensive Auseinandersetzung in der Demokratischen Partei bedeuten. "Das könnte sie weiter schwächen."
Dabei lief es gerade so gut für den 81-jährigen Demokraten. Laut Greven waren seine Umfragewerte im Aufwind, nun flammen die Zweifel bezüglich seines Alters wieder stärker auf. Mit dem TV-Duell erleide Biden "einen deutlichen Rückschlag". 67 Prozent der Zuschauer wählten Trump zum Sieger des Duells.
Was dabei offensichtlich völlig unter den Tisch fällt: Trump log bei fast allen seinen Aussagen. Das zeigt ein Fakten-Check von CNN.
"Eine nüchterne Analyse der Debatte zeigt, dass Bidens Aussagen einen hohen Faktizitätsgehalt hatten, während Trump sich auf Lügen, Angeberei und Angriffe verlegte", sagt Greven. Allerdings habe Trump dabei deutlich wacher und agiler gewirkt – und das bestimme die Wahrnehmung.
Trump gehe als Sieger hervor durch seine "agilere Performance, trotz Lügen und Angebereien". Das Fazit des USA-Experten: Mit Fakten lassen sich solche Debatten heute weniger denn je gewinnen – vor allem wenn die Moderatoren die Lügen einfach unwidersprochen stehenlassen.
Der Druck auf Biden wächst. Die Schlagzeilen der US-Medien sprechen für sich: So kann es nicht weitergehen. Journalist:innen sprechen von Panik und großen Bedenken innerhalb des demokratischen Lagers, ob Biden für den Job fit ist.
"Biden muss zurücktreten, um seiner eigenen Würde willen, zum Wohle seiner Partei und für die Zukunft des Landes", schreibt US-Journalist Mark Leibovich im "The Atlantic".
"Dieses Debakel einer Debatte war ein Tiefpunkt. Es muss ein Wendepunkt sein."