Gen-Z-Expertin: Bei der Wehrdienst-Debatte wiederholt sich ein Fehler aus Corona-Zeiten
Von Wehrdienst bis Klimakrise: Junge Menschen in Deutschland sollen immer mehr Verantwortung übernehmen – aber mitreden dürfen sie kaum. Während die Politik über neue Pflichten und Reformen diskutiert, fehlt ihre Perspektive. Das kritisiert Politikwissenschaftlerin Pia Jaeger vom Deutschen Jugendinstitut scharf.
In einem aktuellen Interview warnt Jaeger vor einem wachsenden Ungleichgewicht zwischen den Generationen. Besonders in der Debatte um den Wehrdienst zeige sich ein altes Muster: Entscheidungen, die junge Menschen betreffen, würden vor allem von Älteren geprägt – und das gefährde auf Dauer das Vertrauen in die Demokratie.
Expertin über die Gen Z: "Für sie ist der Krisenzustand alltäglich"
Laut Jaeger ist die junge Generation heute mit einer Dauerkrise konfrontiert: Pandemie, Krieg, Klimawandel, wirtschaftliche Unsicherheit. "Für sie ist der Krisenzustand alltäglich geworden", sagt sie im Interview mit "tagesschau.de". Das unterscheide sie deutlich von den Babyboomern, für die der Arbeitsmarkt und die äußeren Bedingungen deutlich günstiger gewesen seien.
Durch stagnierendes Wachstum und steigende Sozialkosten entstehe ein Spannungsfeld: "Die ältere Generation, die gerade von den Transferströmen lebt, ist der größere Nutznießer von sozialpolitischen Maßnahmen. Es entsteht ein Ungleichgewicht – und daraus ein Gefühl der Ungerechtigkeit."
Dass dieses Gefühl real ist, bestätigen aktuelle Daten: Die Bertelsmann-Stiftung fand etwa bereits im Frühjahr heraus, dass sich fast drei Viertel der jungen Menschen in Deutschland "politisch kaum gehört" fühlen.
Expertin: Fehler wiederholt sich bei Wehrdienst-Debatte
Jaeger sieht ein wiederkehrendes Muster: "Auch beim Wehrdienst wird wieder eine Perspektive auf Krisen deutlich, die vor allem von Erwachsenen geprägt wird." Schon in der Pandemie seien junge Menschen kaum beteiligt gewesen. "Sie werden bei der Entwicklung von Lösungen ausgeschlossen. Dabei gibt es ein starkes Verantwortungsbewusstsein unter Jüngeren."
Trotzdem bestimmen die Älteren, wie Zukunftspolitik aussieht. Bei der Bundestagswahl 2025 war nur knapp jede:r Zehnte der Wahlberechtigten unter 30. Die größte Wählergruppe ist längst über 50. Diese demografische Schieflage, warnt Jaeger, gefährde langfristig das Gleichgewicht in der Demokratie. "Ich glaube, dass sich das zukünftig auch auf das Wahlverhalten auswirken wird – und dass das für die Demokratie auf Dauer sehr schlecht ist."
"Die jungen Menschen haben auf die Politik viel weniger Einfluss als die viel stärkere Wählerschaft der älteren Leute", sagt Jaeger. Die Folge: Entscheidungen, die das Leben der Jüngeren prägen – ob bei Renten, Klima oder Wehrdienst – würden aus der Perspektive der Älteren getroffen.
Der Sozialstaat bleibe erwerbszentriert, die Verantwortung lande bei denjenigen, die ihn künftig finanzieren sollen. "Sie müssen mit sehr viel Arbeit rechnen", sagt Jaeger. "Und sie sollen gleichzeitig Kinder bekommen, die Pflege sichern, das Klima retten – und womöglich noch Wehrdienst leisten."
Junge Menschen haben viele Sorgen: Frauen besonders belastet
Neben der materiellen Sorge komme der mentale Druck. "Viele haben einfach Existenzängste und nach der Pandemie auch massive psychische Probleme", sagt Jaeger. Der Präventionsradar 2024 der DAK-Gesundheit bestätigt: Einsamkeit, Angst- und depressive Störungen bei Schüler:innen liegen weiter deutlich über dem Vor-Pandemie-Niveau.
Der Lebenslauf selbst werde zunehmend von sozialstaatlichen Zwängen bestimmt, so Jaeger: "Man geht in die Schule, dann in die Ausbildung oder ins Studium und anschließend in die Erwerbstätigkeit. Alles dazwischen, wie Praktika oder längere Reisen, muss man sich leisten können." Diese enge Taktung führe zu einem Gefühl ständigen Zeitdrucks. Besonders in einer Generation, die ohnehin von Dauerkrisen geprägt ist.
Besonders junge Frauen trifft die Belastung doppelt: Sie übernehmen weiterhin den Großteil der Sorgearbeit und riskieren dadurch finanzielle Nachteile. "Wenn jetzt Frauen auch einen Wehrdienst machen würden, was ja eigentlich im Sinne der Gleichberechtigung wäre, dann käme für sie noch ein Jahr außerhalb der Erwerbsarbeit hinzu", sagt Jaeger.
Kombiniert mit Elternzeit und Teilzeitarbeit bleibe oft eine Rentenlücke, die sie langfristig in Altersarmut drängt. "Hier wäre es gerecht, wenn Männer umgekehrt gleich viel Elternzeit nehmen müssten wie Frauen."
Kinder und Jugendliche: Expertin fordert mehr politische Beteiligung
Jaeger fordert, Jugendbeteiligung nicht länger als Nebenthema zu behandeln. "Die Kinder- und Jugendpolitik ist sehr fragmentiert", sagt sie bei "tagesschau.de". Statt vieler Einzelmaßnahmen brauche es eine verbindliche Struktur, die junge Stimmen in Entscheidungsprozesse integriert.
"Man muss sich ihre Meinungen anhören und mit ihnen Lösungen erarbeiten, die dann ernst genommen und sinnvoll umgesetzt werden." In Ländern wie Finnland oder Norwegen, so Jaeger, seien Jugendräte bei Gesetzesreformen längst selbstverständlich. In Deutschland bleibe das die Ausnahme.
"Dass junge Menschen systematisch beteiligt werden, sollte für uns die Normalität sein", sagt Jaeger. Nur so könne der Generationenvertrag wieder gerecht werden und das Vertrauen in die Demokratie wachsen.
Was fehle, sei eine strukturelle Beteiligung junger Menschen an politischen Prozessen. "Man muss sich ihre Meinungen anhören und mit ihnen Lösungen erarbeiten, die dann ernst genommen und sinnvoll umgesetzt werden." Nur so könne der Generationenvertrag wieder gerecht werden – und das Vertrauen in die Demokratie wachsen.
