Überall Menschen in Uniformen, das Bundeskriminalamt, ein Security-Dienst, bewaffnete Leibwächter – so sehen Treffen der Grünen mitunter derzeit aus. Kurz: Ihre Veranstaltungen haben eine härtere Tür als der berühmt-berüchtigte Berliner Club Berghain.
Der erklärte Feind Nummer eins in der Regierung für viele? Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Er erhält Drohungen, ihm schlägt Hass entgegen. Der bisherige Höhepunkt war wohl Anfang Januar, als Habeck von einer Meute wütender Demonstrierender an einem Fähranleger in Schleswig-Holstein empfangen wurde. Die Protestaktion eskalierte – sie bekam strafrechtliche Relevanz.
Doch auch seine Kollegin und Parteichefin Ricarda Lang muss einen Shitstorm nach dem anderen wegstecken. Sie ist 30 Jahre alt, doch in der Politik schon ein alter Hase: Seit 2022 teilt sie sich mit Omid Nouripour den Bundesvorstand der Grünen, zuvor war sie Sprecherin der parteinahen Nachwuchsorganisation Grüne Jugend, engagiert sich bereits seit sie 18 Jahre alt ist politisch.
Auch sie wurde vergangenes Wochenende von einer Protestmenge in Magdeburg empfangen. Protestierende Landwirt:innen zündeten Autoreifen an, setzten Lang rund eine dreiviertel Stunde lang im Gebäude fest.
Es gibt jedoch oft einen eindeutigen Unterschied zwischen Hass gegen junge Politikerinnen und ihren älteren männlichen Kollegen, meint Politikwissenschaftlerin Liza Mügge im Gespräch mit watson. Sie ist Co-Leiterin der Themengruppe "Diverse Europe" des Amsterdamer Zentrums für Europastudien an der Universität Amsterdam.
Denn während es sich bei Hass gegen Politiker meist um ihre Arbeit oder politischen Positionen dreht, gehe es bei jungen Frauen häufiger um Persönliches, wie den Körper, das Aussehen, die Herkunft. Mügge sagt:
Hass gegen Frauen in der Politik gebe es zwar, seit sich die erste Frau politisch engagiert habe. "Durch X [früher Twitter] ist es aber noch schlimmer geworden", fasst Mügge zusammen.
Das kann auch die junge Grünen-Abgeordnete Emilia Fester bestätigen. Sie ist 25 Jahre alt und hat trotz – oder auch gerade wegen – ihres jungen Alters bereits einige heftige Shitstorms hinter sich.
"Als Opfer eignen sich Frauen des öffentlichen Lebens per se sehr gut. Wenn die dann auch noch gewisse Attribute mitbringen, derentwegen man in der Gesellschaft ohnehin schon diskriminiert wird, umso besser", analysiert Fester im Interview mit watson. "Ein Olaf Scholz beispielsweise ist ein alter weißer Mann. Qua Existenz ist seine Haterschaft nicht groß."
Politikwissenschaftlerin Mügge spezifiziert das sogar noch: "Frauen, die jung oder neu sind, erleben häufiger Hass. Ebenso, vor allem junge, Women of Color."
Fester musste es schon mehrfach selbst erfahren: Hat die Diskriminierung einer (politischen) Person einmal geklappt, sei es ein Leichtes, jederzeit weiter verbal auf die Person einzuschlagen. Bei ihr selbst würden längst vergessene Vorwürfe bei jeder sich bietenden Gelegenheit wieder hochkochen, erzählt sie.
Die Presseteams der Abgeordneten haben Veröffentlichungszeiträume von Artikeln akribisch im Auge, blocken sich nicht selten die Tage im Anschluss daran im Kalender, um auf eventuelle Shitstorms reagieren zu können. Die Abgeordneten selbst müssen sich ein Auffangnetz in ihrem beruflichen und privaten Umfeld schaffen, denn einfach zu verarbeiten sind Hass und Hetze selten.
Mügge kritisiert in diesem Zusammenhang, dass junge Politiker:innen mit solchen Situationen häufig allein gelassen würden. "Es bräuchte mehr Anleitung für junge Politiker:innen in den Parteien." Ihr Vorschlag: "Dabei könnten vor allem Männer eine tragende Rolle spielen." Sie können laut der Wissenschaftlerin nicht nur ein solch verwerfliches Verhalten normalisieren, sie könnten Hass gegen junge Frauen auch stoppen.
Denn: "Die Anzahl der tatsächlichen Fälle nachzuvollziehen, ist sehr schwer, da sie viele Frauen nicht melden. Man macht sich damit natürlich auch wieder angreifbar. Dadurch wissen wir aber nicht, wie groß das Problem tatsächlich ist", betont die Wissenschaftlerin. Selbst könnten junge Frauen den Hass, der ihnen entgegenschlägt, oft nicht adressieren. Wohl aber könnten dies andere, am besten männliche Kollegen, für sie tun.
Doch die Diskriminierung baue sich nicht ab, indem man sie benennt, gibt Fester zu bedenken. "Vor allem müssen wir deshalb als Gesellschaft mehr darüber reden."
"Politiker:innen müssen Fehler machen, um besser zu werden", findet Mügge. Auch sie fordert: "Wir brauchen in der Gesellschaft mehr Verständnis dafür – vor allem, dass junge und neue Politiker:innen nicht alles richtig machen können – und darüber, welche Auswirkungen ein Shitstorm haben kann."
Emilia Fester bekommt regelmäßig Hass ab, wenngleich sie betont, dass Politiker:innen wie etwa Ricarda Lang dem auch aufgrund ihrer Bekanntheit häufiger ausgesetzt seien.
"Der Shitstorm, den ich am schlimmsten fand, war der zu Bismarck", erzählt Fester. "Ich wurde interviewt, mir wurden 20 geschichtliche Fragen gestellt. Die meisten konnte ich aus dem Effeff beantworten, die zu unserem ehemaligen Reichskanzler Otto von Bismarck nicht. Daran wurde sich dann aber aufgehängt."
Sie wollte damit "etwas nahbarer wirken". Aber Shitstorms solcher Art würden unweigerlich dazu führen, dass das immer weniger Politiker:innen machen. Sie fügt an:
Fester beschreibt eine Frustration darüber, dass man im Falle eines Shitstorms nichts richtig machen kann. Laut Bendix Hügelmann ist dann jedoch eine Sache ganz entscheidend. Er analysiert politische Kommunikation und ist Gründer der Beratungsagentur People on the Hill für politische Akteure im digitalen Raum. Er rät:
Politikwissenschaftlerin Mügge zieht ein bitteres Fazit ihrer Forschung: "Wir werden meiner Meinung nach niemals eine Gleichstellung der Geschlechter in der Politik erreichen." Denn sie sieht ein besonders großes Problem: Frauen, die einen solchen Hass erleben, würden sich oft selbst zensieren.
Politiker:innen haben nicht nur Verantwortung für sich selbst, sondern auch für ihr Büro oder ihre Familie. Frauen würden das häufiger mit einkalkulieren. "Sie fragen sich zum Beispiel: Hat mein Team gerade Zeit, einen drohenden Shitstorm zu managen, haben sie und ich aktuell die mentale Verfassung dafür oder setze ich einen bestimmten Tweet erst gar nicht ab", meint Mügge.
Sie warnt: "Dieser Fakt ist ein großes Problem für unsere Demokratie. Demokratie hat kein Geschlecht. Demokratie betrifft uns alle."