Soll Deutschland der Ukraine militärisch beistehen und sogenannte "schwere Waffen" wie Kampfflugzeuge und Panzer liefern? Während sich Berichte über russische Kriegsverbrechen häufen, beginnen deutsche Politiker über diese Frage eine philosophische Diskussion.
Diese zeigt, was passiert, wenn alte Überzeugungen von der Geschichte überholt werden.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde dem militaristischen Deutschland, welches in der ersten Hälfte des Jahrhunderts zwei Weltkriege begonnen und verloren hatte, ein pazifistisches Update auferlegt.
Am 17. Juli 1945 kamen die siegreichen Nationen USA, Großbritannien und die Sowjetunion zur Potsdamer Konferenz zusammen, um über die Nachkriegsordnung in Deutschland und Europa zu beraten.
Darüber berieten der damalige US-Präsident Harry S. Truman, der sowjetische Staatschef Josef Stalin und der britische Premierminister Winston Churchill im Schloss Cecilienhof am Jungfernsee nahe Berlin.
Am Ende einigte man sich auf das Potsdamer Abkommen: Eine Absichtserklärung, mit dem eine Entnazifizierung, eine Demokratisierung, eine Dezentralisierung und eine Entmilitarisierung Deutschlands beschlossen wurde.
Teil dessen war die vollständige Auflösung der Streitkräfte und aller militärischer Strukturen, sowie die Zerschlagung der deutschen Rüstungsindustrie
Seitdem sind 77 Jahre ins Land gegangen.
Pazifistische Rhetorik ist ein beliebter Wahlkampfschlager der demokratischen Parteien. Die Bundeswehr ist marode und das Verteidigungsministerium ist weitgehend zum Parkplatz fachfremder Politikerinnen geworden, die bei der Postenverteilung wie übriggeblieben wirken.
Aktuell wird das Amt bekanntlich von der Sozialdemokratin Christine Lambrecht bekleidet, die sich jüngst mit Stöckelschuhen statt festem Schuhwerk beim Truppenbesuch im malischen Wüstensand ablichten ließ.
Auch ihre Amtsvorgängerinnen Ursula von der Leyen und Annegret Kramp-Karrenbauer fremdelten sichtbar mit ihrem Metier.
Noch bis vor Kurzem war das ein bisschen egal: In Europa schwelten zuletzt vor allem vergleichsweise kleinere regionale bewaffnete Konflikte benachbarter Länder: etwa 2020 in Bergkarabach im Südkaukasus, zwischen Armenien und Aserbaidschan.
Und seit 2014 im Donbas, zwischen der Ukraine und ihrem großen Nachbarn Russland. So dachten viele in Deutschland zumindest bis zum 23. Februar. Bis zum Vorabend der russischen Invasion der gesamten Ukraine.
Seit die russische Armee den Konflikt um den Donbas zum Vernichtungskrieg gegen die Ukraine ausgeweitet hat, häufen sich Berichte über schwere Kriegsverbrechen an der dortigen Zivilbevölkerung.
Die Zeiten, in denen das Militär in Deutschland vielen egal ist, sind vorbei.
"I don't need a ride, I need ammo" – ich brauche keine Mitfahrgelegenheit, ich brauche Munition – sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Er forderte die Bundesrepublik auf, seinem Land zu helfen und endlich eine Führungsrolle zu übernehmen.
Aktuell fordert er schwere Geschütze, Panzer, Flugzeuge, Flugverbotszonen. Damit könne man den Vormarsch Russlands stoppen.
Doch statt schneller und pragmatischer Hilfe löste Selenskyjs verzweifelter Hilferuf hierzulande eine gemächliche philosophische Diskussion über das Für und Wider von Waffen und Militär aus.
Zuletzt, am Dienstag, hatte der ehemalige Linken-Chef Bernd Riexinger mit seiner Sicht der Dinge für Kopfschütteln gesorgt. Auf Twitter ließ er wissen:
Da war es wieder: das vor allem deutsche, durch kaum etwas aus der Ruhe zu bringende pazifistische Grundrauschen, welches wie blind gegenüber einer veränderten Wirklichkeit wirkt.
Ein paar Stunden später sah sich Riexinger zu einer Klarstellung genötigt.
Dazu passt die Ausladung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier durch den ukrainischen Präsidenten Selenskyj.
Der SPD-Politiker hatte eigentlich mit dem polnischen Präsidenten Duda nach Kiew reisen wollen, musste am Dienstag aber zähneknirschend in Warschau vor der mitgereisten Hauptstadtpresse verkünden, dass daraus nun leider nichts werde.
Während Steinmeier in Berlin bleibt, ist eine andere deutsche Delegation aber durchaus gerade auf dem Weg in die Ukraine.
Die drei Bundestagsabgeordneten und Ausschussvorsitzenden Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP, Verteidigung), Michael Roth (SPD, Auswärtiges) und Toni Hofreiter (Grüne, Europa) wollen sich dort mit Abgeordneten der Kiewer Rada treffen, dem nationalen Parlament der Ukraine.
Und damit ist fürs Erste nun doch noch ein deutliches Zeichen des Beistandes aus Deutschland gesetzt worden. Mit angemessenem Schuhwerk und realer militärischer Expertise in Gestalt der regelmäßig selbst Wehrübungen abhaltenden Strack-Zimmermann.
Für die Ukraine dürfte dies ein Hoffnungsschimmer in einer verfahrenen Situation sein.