In vier Koalitionen war die FDP seit ihrer Gründung schon Teil der Bundesregierung. Jetzt soll es wieder so weit sein, die Liberalen wollen regieren. Unbedingt, zumindest steht das so im Wahlprogramm. "Wir wollen den richtigen Weg für unser Land. Wir wollen so stark werden, dass keine seriöse Bundesregierung ohne die Freien Demokraten gebildet werden kann..." Deutlicher kann man es kaum schreiben.
Den wohl bekanntesten Satz ihres Parteichefs Christian Lindner nach der Bundestagswahl 2017, "Besser nicht regieren, als falsch regieren", den will die Partei endgültig hinter sich lassen. Lindner hatte damals die Verhandlungen für eine Jamaika-Koalition, also ein Regierungsbündnis aus CDU, Grünen und FDP, platzen lassen.
Die Liberalen stehen für Freiheit und Wirtschaft – und ja, eben auch die Verbindung dieser beiden Begriffe: Freie Marktwirtschaft. Das Kernanliegen der Partei bleibt nach wie vor also die "Entfesselung" der Wirtschaft. Sie wollen "Innovation statt Verbote" und schießen mit dieser Wortwahl innerhalb ihres Parteiprogramms indirekt immer mal wieder gegen die Inhalte der Grünen. Doch auch die anderen Parteien bekommen ihr Fett weg.
Durch das gesamte Parteiprogramm zieht sich Kritik an allem, was die Große Koalition in der bald endenden Legislatur gemacht hat. Auch Linke und AfD kommen in Bezug auf Kritik im Wahlprogramm nicht zu kurz. "Unsere Mitbewerber stehen für ein 'Weiter so' oder einen Linksruck. Wir stehen für Freiheit, Modernisierung und Nachhaltigkeit durch Innovation", schreibt die Partei. Wortwörtlich greift sie in der Abschrift niemanden an, doch kleine (oder auch mal große) Sticheleien gibt es genügend.
Der größte Hinweis ist wohl dieser: "Wie es ist, darf es nicht bleiben" – ein Satz, den die Liberalen in ihrem Programm gleich siebenmal schreiben. "Nie gab es mehr zu tun", so überschreiben sie ihre Bewerbung für den Einzug in den Bundestag. Der Subtext des Titels: Bloß kein weiter so, wir wollen alles besser machen als die Große Koalition. Ähnliches haben sie ja auch in den vergangenen vier Jahren als laute Oppositionspartei im Bundestag verkörpert.
Dass sich die FDP in eine Regierungskoalition manövrieren könnte, ist dieses Mal gar nicht so unrealistisch. Sie steht zahlenmäßig so gut da wie seit vielen Jahren nicht mehr. Laut der jüngsten Insa-Wahlumfrage liegt sie bei 13 Prozent der Wählerstimmen. Das sind nur noch zwei Prozentpunkte weniger als die Grünen, die mit ihrer Frontfrau Annalena Baerbock ja das Kanzleramt anstreben.
Aber welche Koalitionen sind überhaupt realistisch? Am liebsten wäre einem Teil der FDP-Spitze sicherlich ein Zweier-Bündnis mit der Union. Schwarz-Gelb ist aber, geht man nach den Umfragen, kaum drin. Rechnerisch könnte die FDP, nach Stand der Umfragen, mit folgenden Parteien zusammen regieren:
Für die meisten Menschen steht der Begriff Nachhaltigkeit für Klima-, Umwelt- und Artenschutz. Der Ursprung des Wortes geht auch darauf zurück, er beschreibt die respektvolle und langlebige Nutzung von natürlichen Ressourcen. Das ist allerdings nach dem modernen Sprachgebrauch nur die halbe Wahrheit. Denn Nachhaltigkeit bedeutet im politischen Sinne Langlebigkeit, und zwar in allen Bereichen. Und auf diese Definition setzt die FDP in ihrem Wahlprogramm.
Nachhaltigkeit zieht sich bei der FDP also durch viele Politikbereiche. Da wäre der Tourismus, der aus Sicht der Liberalen nachhaltig krisenfest gemacht werden soll. Da wäre das Wirtschaftswachstum – das aus Sicht der Partei über allem steht. Die Wirtschaft soll eben nachhaltig wachsen: und zwar dank Steuersenkungen. Da wäre die nachhaltige Rente, die nachhaltige Digitalisierung, die nachhaltige Kulturförderung, die nachhaltige Investition in Krankenhäuser und die Pflege allgemein, und vieles mehr.
Doch auch der Klimaschutz ist ein großes Thema der Partei. Hier setzen die Liberalen auf ihr Kernthema: die Kraft des Marktes. Sie wollen den Emissionshandel ausweiten und damit den Klimawandel bekämpfen. Das Prinzip ist eigentlich einfach: Die Politik gibt vor, wie viel CO2 im Jahr verbraucht werden darf. Und wer Emissionen produziert, der muss sich dafür Zertifikate kaufen. Neu ist diese Idee nicht – im aktuell gültigen Klimaschutzgesetz müssen Unternehmen bereits auf nationaler wie europäischer Ebene Berechtigungen für ihre Emissionen vorweisen.
Der Ansatz der FDP ist allerdings – und damit unterscheidet sich die Partei auch von den Ideen hinter dem Klimaschutzgesetz – dass der Preis dieser Zertifikate nicht fix sein soll. Die Möglichkeiten, CO2 auszustoßen, sollen Stück für Stück weiter begrenzt werden. Das Konzept dahinter: Je geringer das Angebot an Zertifikaten, desto höher der Preis. Nach dem Motto: Der Staat setzt das Limit, der Markt regelt den Rest.
So will die Partei Anreize dafür schaffen, dass Unternehmen wie Privatleute lieber in nachhaltige, umweltfreundliche Technologien – die es teils noch zu erfinden gilt – investieren, statt den immer teurer werdenden CO2-Preis zu zahlen. "Wir brauchen Forschung, Wissenschaft, Innovationen und die vielen klugen Ideen der Menschen. Neue Technologien führen dazu, Energie bezahlbar umwandeln und gleichzeitig das Klima schützen zu können", schreibt die Partei.
Außerdem will die FDP die Einnahmen aus dem Zertifikatshandel über eine Klimadividende wieder an die Bürgerinnen und Bürger ausschütten.
Im Programm steht wörtlich:
Das sind weitere Punkte, mit denen die FDP klimapolitisch punkten will:
"Deutschland ist ein Einwanderungsland", schreiben die Liberalen. Ein Einwanderungsland müsse allerdings klare Regelungen in diesem Bereich schaffen. Und wenn es nach der FDP geht, dann sollen diese Regelungen gebündelt in einem "Einwanderungsgesetzbuch" zusammenkommen. Außerdem heißt es im Programm: "Zugleich gilt es, die humanitären Verpflichtungen gegenüber Schutzbedürftigen zu erfüllen. Wir wollen Humanität und Ordnung miteinander verbinden."
Die Einwanderung in den Arbeitsmarkt will die FDP mit einem Punktesystem steuern. Für Menschen mit einem Jobangebot in Deutschland soll es weiterhin die sogenannte "Blue-Card" geben. Allerdings will die Partei diese auch für Zugezogene ohne akademischen Grad zugänglich machen. Außerdem soll es eine "Chancenkarte" geben, mit der das Punktesystem eingeführt werden soll, und zwar nach kanadischem Vorbild. Das heißt: Wer eine Fachkraft in einem Mangelberuf ist, bekommt dementsprechend mehr Punkte. Auch ohne Arbeitsplatzangebot sollen diese Menschen "zur Arbeitssuche nach Deutschland kommen".
Für Geflüchtete, die etwa aufgrund ihrer Religion oder ihrer sexuellen Identität verfolgt werden, will die Partei "sichere Verfahren und eine sichere Unterbringung sowie im Fall sogenannter sicherer Herkunftsländer eine besondere Rechtsberatung, um Anträge form- und fristgerecht stellen zu können" ermöglichen. Asylanträge sollen dafür etwa bereits in Botschaften im Ausland gestellt werden können.
Die Freien Demokraten wollen Diversität auch im Bereich sexuelle Identität und/oder Orientierung fördern. Sie fordert, "dass sich Deutschland gemeinsam mit EU-Partnern konsequent für die Stärkung von LSBTI-Rechten einsetzt, Menschenrechtsverletzungen an Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen verurteilt und für die Abschaffung diskriminierender Gesetze eintritt". Sie will Länder, die Menschen der LGBTQI-Community per Gesetz diskriminieren, finanziell sanktionieren, indem etwa Entwicklungshilfen gestrichen werden. Auf Ebene der Vereinten Nationen fordert sie eine Konvention für LGBTQI-Rechte nach dem Vorbild der Frauenrechtskonvention. "Nirgendwo dürfen homosexuelle Handlungen und die geschlechtliche Identität kriminalisiert werden", heißt es im Wahlprogramm.
Mehrelternschaften will die FDP rechtlich anerkennen. Bis zu vier Elternteile sollen im Interesse des Kindeswohls rechtliche Eltern sein können. Die Ehefrau der leiblichen Mutter soll laut FDP von Geburt an automatisch rechtlich zweite Mutter sein.
Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern geht die FDP in ihrem Wahlprogramm auf unterschiedliche Weisen an. Ein paar Beispiele:
Insgesamt liest sich das Wahlprogramm der FDP sehr feministisch. Die Partei will sich für Frauenrechte auf der ganzen Welt starkmachen, will häusliche Gewalt bekämpfen (kostenlose, anonyme Spurensicherung bei sexueller Gewalt, Ansprechpartner und -partnerinnen bei der Polizei) und setzt sich auch dafür ein, das Abtreibungsverbot sowie den Paragraphen 219a im Strafgesetzbuch abzuschaffen, der es Ärzten und Ärztinnen verbietet, über Abtreibungen zu informieren.
Dass Bildung in Deutschland Ländersache ist, geht der FDP gegen den Strich. Sie will zwar nicht den Föderalismus im Schulsystem abschaffen, aber revolutionieren – und dem Bund viel mehr Kompetenzen zusprechen. Sie fordert: "Überall gleich hohe Bildungsstandards. Zentrale Abschlussprüfungen und moderne, digitale Schulen." Dazu soll mehr Geld in die Schulen direkt fließen. Der Unterricht soll laut FDP auch digitaler werden. Dafür sollen Lehrkräfte besser aus- und fortgebildet werden.
Im Hochschulsektor hat die FDP die Vision einer europäischen Universität. Sie nennt es die "European Digital University". Dabei sollen europaweit Menschen in vorrangig digitalen Lehrformaten "einen ortsunabhängigen Zugang zu den besten Lerninhalten" bekommen. Man will "Grenzen der Bildungsmobilität überwinden und Menschen unabhängig von ihrer persönlichen Lebenssituation, ihrer sozialen und geographischen Lage" gleiche Bildungs- und Weiterbildungschancen bieten.
Das Geld für die Bildungsförderung will die Partei zum Beispiel von der Mehrwertsteuer abzweigen.
Schulen und Kitas will die FDP finanziell stärken, und zwar durch drei Fördergrundlagen:
Das BAföG soll, geht es nach den Liberalen, elternunabhängig sein und nach einem Baukastenprinzip verteilt werden. "Die freie Wahl des Studiums darf nicht länger von der Unterstützung der Eltern abhängen", schreibt die Partei in ihr Programm. Der Baukasten soll dann so aussehen: Studierende sollen analog zum bisherigen Kindergeld einen monatlichen Sockelbetrag von 200 Euro erhalten. Weitere 200 Euro sollen bei ehrenamtlichem Engagement oder Nebentätigkeiten als Zuschuss gewährt werden. Darüber hinaus will die FDP ein monatlich anpassbares, zinsfreies und erst bei gutem Einkommen zurückzuzahlendes Darlehen einführen.
Das ist ein wenig zweischneidig. Mit der ausgiebigen Kritik an anderen Parteien und vor allem an der derzeitigen Bundesregierung liest es sich erst einmal so, als sei die Lage in Deutschland ein Desaster. Als sei alles schlecht organisiert, chaotisch und schwer wieder geradezubiegen. Doch die FDP hat damit rhetorisch einen recht guten Trick angewandt. Es wirkt beim Lesen des Wahlprogramms tatsächlich so, als gebe es für Bundesrepublik keine andere Option, als eine Regierung mit den Liberalen zu stellen, um erfolgreich durch die nächsten Jahre zu kommen.
Was also zunächst nach Pessimismus aussieht, schlägt ganz schnell in den optimistischen Blick in die Zukunft um. Die Wortwahl dabei ist pathetisch, es wird ein Zusammenhalts-Gefühl und eine Aufbruchsstimmung transportiert. Ein paar Beispiele: