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Ukraine-Krieg: Wie Russland von der Iran-Israel-Waffenruhe profitiert

Russian President Vladimir Putin, left, greets Ambassador of Iran to Russia Kazem Jalali, right, and Iranian Foreign Minister Abbas Araghchi, center, prior to their talks at the Kremlin in Moscow, Rus ...
Moskau präsentiert sich weiterhin als enger Partner Teherans – trotz internationaler Spannungen.Bild: Pool Sputnik Kremlin / Alexander Kazakov
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Putins Strategie der Ablenkung: Wie Russland Weltkrisen wie Iran-Israel nutzt

Während Israel und Iran alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen, nutzt der Kreml die Gunst der Stunde: Russlands Krieg gegen die Ukraine rückt aus dem Fokus. Genau das spielt Putin in die Hände.
26.06.2025, 07:2126.06.2025, 07:21
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Als in der Nacht zum 23. Juni die letzten Raketen über Tel Aviv explodierten, richtete sich der Blick der Weltöffentlichkeit auf eine mögliche Feuerpause. In Moskau begann man zu rechnen.

Krieg ist in der Berichterstattung zu einer Art Alltag geworden, die Dimension dessen war in Deutschland vor wenigen Jahren noch undenkbar. Global betrachtet betreffen uns die Konflikte zunehmend.

Aktuell steht der Nahe Osten einmal mehr im Zentrum der Weltpolitik, und der russische Präsident Wladimir Putin schaut genau hin. Die jüngsten Spannungen zwischen Israel und dem Iran, die nach der Eskalation in einer fragilen Waffenruhe mündeten, sind nicht nur eine regionale Angelegenheit.

Sie haben globale Auswirkungen, auch auf Europas östlichste Frontlinie: die Ukraine. Während die Welt aktuell gebannt auf Teheran, Jerusalem und Washington blickt, nutzt der Kreml die Situation, um seinen Spielraum im Krieg gegen die Ukraine zu erweitern. Die Aufmerksamkeit des Westens ist begrenzt. Genau das könnte Putins größter Vorteil sein.

Putin inszenierte sich als der große Vermittler

Russland reagierte auf die israelischen Luftschläge gegen iranische Atom- und Militäranlagen mit scharfer Rhetorik. Präsident Putin nannte dies eine "absolut unprovozierte Aggression".

Doch wer genauer hinsieht, erkennt: Moskau agiert kalkuliert. Unterstützung ohne Eskalation, Nähe ohne Verpflichtung. Gleichzeitig bietet Russland sich als Vermittler an, um diplomatisch anschlussfähig zu bleiben.

Russian President Vladimir Putin enters a hall to attend a ceremony at the Kremlin in Moscow, Russia, Monday, June 23, 2025. (Alexander Kazakov, Sputnik, Kremlin Pool Photo via AP)
Wladimir Putin profitiert von der Inszenierung.Bild: Pool Sputnik Kremlin / Alexander Kazakov

Putin deutete beim Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg an, man stehe grundsätzlich als Gesprächspartner zur Verfügung, eine tatsächliche Rolle im Vermittlungsprozess spielte Russland jedoch nicht.

Die Waffenruhe vom 23. Juni wurde wesentlich durch die Vereinigten Staaten vermittelt, mit Katar als zentralem Kanal zum Iran. Der katarische Premierminister brachte Teheran und Washington in direkten Austausch, US-Präsident Trump verkündete öffentlich die Einigung. Russland blieb außen vor.

Zum Vorteil von Putin: Der Ukraine-Krieg wird einer von vielen

"Russland profitiert kurzfristig von der Ablenkung amerikanischer Ressourcen – etwa bei Waffen, Aufklärung und Munition – weg von der Ukraine", erklärt Kirill Shamiev, Experte beim European Council on Foreign Relations (ECFR), gegenüber watson. "Zudem begrüßt Moskau die Normalisierung eskalierender Konflikte weltweit, weil es dann nicht mehr der einzige Staat ist, dem Kriegsverbrechen und Völkerrechtsverletzungen vorgeworfen werden."

Mit der Waffenruhe im Nahen Osten kehrt der Blick der Weltöffentlichkeit teilweise zur Ukraine zurück, doch das Narrativ hat sich verschoben. "Der russisch-ukrainische Krieg ist nicht mehr das herausragende Ereignis, sondern nur noch einer von mehreren Kriegen an Europas Grenzen", sagt Shamiev. "Solange Russland den Krieg fortsetzt und das Land weiter militarisiert, wird auch die Aufmerksamkeit erhalten bleiben."

Militärische Lage: Druck, Innovation, Gleichstand

In den vergangenen Wochen intensivierte Russland seine Angriffe auf Charkiw, Donezk, Kiew und Sumy, wie unter anderem die "Süddeutsche Zeitung" berichtete. "Russland übt weiter Druck aus, die Ukraine leidet unter Personalmangel – doch sie innoviert massiv im Drohnenkrieg", sagt Shamiev. "Sie produziert zunehmend eigenes Gerät. Aber: Die Ukraine gewinnt nicht – sie verliert aber auch nicht."

Nach Angaben des britischen Verteidigungsministeriums sind vor allem die Luftabwehrsysteme der Ukraine stark beansprucht – viele westliche Systeme seien verschlissen oder nicht rechtzeitig ersetzt worden. Hinzu kommen zunehmende Angriffe Russlands mit Leichtfahrzeugen wie Motorrädern, die der Ukraine zusetzen.

Die russischen Angriffe fordern weiterhin zivile Opfer, darunter auch Kinder. Amnesty International spricht im Zusammenhang mit Angriffen in Sumy von möglichen Kriegsverbrechen.

A woman touches the body of a relative killed in a Russian strike on Sumy, Ukraine, on Tuesday, June 3, 2025. (AP Photo/Yehor Kryvoruchko, Kordon Media)
Die Angriffe auf Sumy haben sich intensiviert. Leidtragende sind die Menschen vor Ort.Bild: AP / Yehor Kryvoruchko

Die Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) sieht derzeit jedoch keine Anzeichen für eine Großoffensive, sondern deutet das russische Vorgehen als "strategische Zermürbung durch konstante Frontbewegung bei minimalem Geländegewinn". Das Ziel: Ressourcen der Ukraine und westliche Unterstützung auszubluten.

Während Russland sich außenpolitisch als Stabilitätsakteur inszeniert, setzt es militärisch auf Erschöpfung, sowohl in der Ukraine als auch in Europa und deren Verbündeten.

"Unsere jüngsten ECFR-Daten zeigen: Die Unterstützung für die Ukraine in Europa erklärt sich weniger aus Solidarität mit den Opfern russischer Aggression, sondern eher als Notlösung – sie soll amerikanische Truppen in Europa ersetzen", sagt Shamiev. "Die meisten Europäer wollen nicht, dass Europa alle Militärhilfen einstellt oder Sanktionen lockert – selbst wenn ein künftiges Amerika unter Trump dies vorgeben würde."

Nato-Gipfel in Den Haag: Symbol der Stärke, Realität der Uneinigkeit

Der Nato-Gipfel in Den Haag hat mit dem Haager Investitionsplan (HIP) einen historischen Beschluss gefasst: Bis 2035 sollen die Mitgliedsstaaten fünf Prozent ihres BIP in Verteidigung investieren: 3,5 Prozent für militärische Fähigkeiten, 1,5 für sicherheitsrelevante Infrastruktur. Doch die Einigkeit bröckelt.

Spanien will die Formulierung so auslegen, dass es nicht zwingend fünf Prozent ausgeben muss. Spanien drängt laut Medienberichten darauf, die Quote "flexibel auszulegen", etwa durch langfristige Investitionen ohne jährliches Mindestziel.

Trump wiederum wich auf die Frage nach der Verlässlichkeit von Artikel 5 aus. Und in der Gipfelerklärung fehlt erstmals seit 2022 der Satz, man werde "jeden Zentimeter Bündnisgebiet" verteidigen. Trump präsentierte den Beschluss als persönlichen Erfolg, veröffentlichte gar eine private Nachricht von Nato-Generalsekretär Rutte, die ihn feierte.

25.06.2025, Niederlande, Den Haag: Giorgia Meloni (l-r), Ministerpräsidentin von Italien, Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, Mark Rutte, Generalsekretär der Nato, Frankreichs Präsident Emmanu ...
In Den Haag standen am Mittwoch drängende Themen auf der Tagesordnung.Bild: dpa / Kay Nietfeld

Viele Diplomaten sprachen von einem Vertrauensbruch. Bundeskanzler Merz widersprach dem Eindruck, das Bündnis wolle Trump gefallen. "Russland bedroht den gesamten Frieden, die gesamte politische Ordnung unseres Kontinents", sagte er. Zur Ukraine blieb der Gipfel vage: Militärhilfen können zwar auf das Fünf-Prozent-Ziel angerechnet werden, eine kollektive Finanzzusage oder konkrete Beitrittsperspektive fehlen aber.

Russland im Ukraine-Krieg: Ein globales Spiel auf Zeit

Die Gleichzeitigkeit von militärischer Offensive und diplomatischer Inszenierung macht die Lage so brisant. Russland gelingt es, die multiplen Krisen der Welt für eigene Ziele zu nutzen. Der Nahe Osten ist kein Nebenschauplatz. Er ist Teil einer globalen Strategie, die auf Ablenkung, Spaltung und Erschöpfung des Westens zielt.

Für die Ukraine bedeutet das eine Phase erhöhter Gefahr. Nicht, weil Russland neue Wunderwaffen hätte, sondern weil der Westen müde wird. Jeder geopolitische Flächenbrand, der nicht in Europa lodert, lässt Putins Krieg als "nur noch einen von vielen" erscheinen.

Die Waffenruhe zwischen Iran und Israel ist also kein Zeichen der Entspannung, sie ist ein Moment brüchiger Ruhe, ermöglicht durch internationale Vermittlung außerhalb Russlands. Moskau steht bereit, jeden Vorteil daraus zu ziehen. Und vielleicht ist genau das Putins langfristigster Plan: nicht zu siegen, sondern einfach länger durchzuhalten als alle anderen.

Putins Strategie der Ablenkung: Wie Russland Weltkrisen wie Iran-Israel nutzt
Während Israel und Iran alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen, nutzt der Kreml die Gunst der Stunde: Russlands Krieg gegen die Ukraine rückt aus dem Fokus. Genau das spielt Putin in die Hände.

Als in der Nacht zum 23. Juni die letzten Raketen über Tel Aviv explodierten, richtete sich der Blick der Weltöffentlichkeit auf eine mögliche Feuerpause. In Moskau begann man zu rechnen.

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