Flächendeckend gilt in den ersten Bundesländern die 2G-Regelung: In Restaurants, Kinos, Clubs, Schwimmbäder und weiteren Freizeiteinrichtungen darf nur, wer geimpft oder genesen ist. Ein "indirekter Lockdown für Ungeimpfte", so beispielsweise nennt das Staatsministerium Baden-Württemberg das Vorgehen.
Wie in Bayern, Berlin und Sachsen gilt in dem Bundesland im Süden der Republik seit Mittwoch 2G für viele öffentliche Orte. Bereits im Sommer sei ein entsprechendes Alarmsystem angelegt worden: Wenn eine bestimmte Inzidenz überschritten wird, müssen Ungeimpfte draußen bleiben. Ebenso handhabt es der Stadtstaat Hamburg. "Die Länder haben alle Instrumente, um Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus einzuleiten. Hamburg hat hiervon bereits vor Monaten Gebrauch gemacht", heißt es vonseiten des Senats. Ein Lockdown, auch für Ungeimpfte, werde in der Hansestadt als Maßnahme ausgeschlossen.
Auch in Mecklenburg-Vorpommern mussten die Schutzmaßnahmen mittlerweile verschärft werden, weil die Corona-Ampel des Landes die Warnstufe Orange erreicht habe. "Wir handeln selbst und warten nicht auf andere", heißt es vonseiten der Landesregierung.
Die Maßnahmen der Länder scheinen ein letzter Versuch zu sein, die Pandemie einzudämmen, ohne harte Beschränkungen für alle Bürger einzuführen. Solche Maßnahmen plane aktuell niemand, ließ auch Noch-Bundeskanzlerin Angela Merkel in der ersten Novemberwoche mitteilen. In ihrer Ansprache, die sie mittels ihres Podcasts und via Instagram verbreitete, wirbt sie vor allem fürs Impfen und Boostern.
Doch RKI-Chef Lothar Wieler reichen die Maßnahmen nicht aus. In einer Online-Diskussion mit Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer platzte dem sonst eher sachlichen Wieler der Kragen: "Ich sag das jetzt mal ganz klar: Es muss jetzt Schluss sein, dass irgendwer irgendwelchen anderen Berufsgruppen aufgrund von irgendwelchen Umständen nicht gestattet, zu impfen. Wir sind in einer Notlage", betonte Wieler. "Jeder Mann und Maus, der impfen kann, soll jetzt gefälligst impfen. Sonst kriegen wir diese Krise nicht in den Griff."
Er fordert die Schließung von Clubs und Bars und den Verbot von Großveranstaltungen, um die Corona-Infektionen in Deutschland wieder in den Griff zu bekommen. Denn Fakt ist: Sie erreichen immer wieder neue Höchststände.
Dass sich noch nicht genug Menschen haben impfen lassen, das zeigt ein Blick auf die Impfquote: 67,5 Prozent der Bevölkerung sind am 15.11. 2021 komplett geimpft – also haben ihre Erst- und Zweitimpfung erhalten.
Eine Herdenimmunität ist mit der Delta-Mutation bei 90 Prozent Geimpften erreicht. Das ist das Ergebnis einer Studie der Universität Tübingen, von der das "Ärzteblatt" berichtete. Erschwerend kommt dazu, dass es für Kinder unter 12 Jahren in Deutschland momentan noch keinen zugelassenen Corona-Impfstoff gibt. Erst in den kommenden Tagen könnte er von der europäischen Arzneimittelbehörde EMA freigegeben werden.
Führende Wissenschaftler wie Christian Drosten haben aufgrund des aktuellen Infektionsgeschehens bereits in Aussicht gestellt, dass es notwendig werden könnte, Kontakte zu beschränken. Gleichzeitig spricht der Virologe in seinem Podcast "Corona Update" aber auch davon, dass es rechtlich schwieriger werden könnte, weitreichende Kontaktbeschränkungen einzuführen. Anders als im vergangenen Winter.
Am Donnerstag wird der Bundestag darüber abstimmen, ob der Gesetzentwurf von SPD, FDP und Grünen über eine Änderung im Infektionsschutzgesetz angenommen wird. Im regulären Verfahren stimmt am Freitag der Bundesrat – also die Länder – darüber ab.
Nimmt auch er den Vorschlag an, kann die Regierung abschließend das Gesetz auf die Straße bringen. Dieser Entwurf der Ampel in spe ist die Grundlage für Regeln, die nach dem Auslaufen der epidemischen Lage nationaler Tragweite zur Eindämmung der Pandemie in den Ländern zum Tragen kommen.
Was in diesem Winter anders sein wird als im vergangenen, sind nicht nur der rechtliche Rahmen und die Tatsache, dass mehrere Impfstoffe zur Verfügung stehen.
Auch die medikamentöse Versorgung könnte sich bald bessern: Es gibt mit Molnupiravir und Paxlovid gleich zwei Pillen, die gegen einen tödlichen Krankheitsverlauf helfen sollen. Wie der "Bayerische Rundfunk" berichtete, strebten die herstellenden Unternehmen aktuell eine Notfallzulassung an.
Aber: Auch das Infektionsgeschehen hat sich verändert. Die Inzidenz ist weit höher als je zuvor in der Pandemie. Gerade das ist der Grund für die neuen Beschränkungen.
Aber reicht es, das öffentliche Leben nur für Ungeimpfte einzuschränken – oder trifft es bald wieder alle?
"Wir begrüßen alle Maßnahmen, die helfen, das Infektionsgeschehen einzudämmen und gleichzeitig die Wirtschaft am Laufen zu halten", sagt Bertram Brossardt gegenüber watson. Er ist der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw). Im Freistaat unter der Regentschaft Markus Söders wurde mittlerweile der Katastrophenfall ausgerufen. Der Grund: das extrem dynamische Infektionsgeschehen mit Inzidenzen bis zu knapp 1000 Infizierten pro 100.000 Einwohner. Das heißt: in manchen Regionen Bayerns steckt sich Woche für Woche pro 100 Einwohner einer an.
Aus diesem Grund gilt im Freistaat nun 2G – in Hotels, Gaststätten, Freizeiteinrichtungen kommt nur, wer geimpft oder genesen ist. "Die Regelung bedeutet zwar einen erhöhten Kontrollaufwand für die Betriebe, sie ist aber notwendig", sagt Brossardt. Problematisch werde es, wenn Mitarbeiter, die keines der 2G's erfüllten, auf Dienstreise müssten.
Am Arbeitsplatz, in Betrieben mit mehr als 10 Mitarbeitern, gilt die 3G-Regel. Das löse bei manchen Menschen Unverständnis aus. Brossardt führt aus:
Um den Betrieben den Umgang mit der Pandemie zu vereinfachen, wäre eine Auskunftspflicht über den Impfstatus der Mitarbeitenden aus Sicht von Brossardt sinnvoll: "Diese fordert die vbw seit langem."
Ein Lockdown müsse hingegen unbedingt verhindert werden. "Hier sind die Folgen des letzten Lockdowns noch nicht bewältigt", sagt der vbw-Chef. Und führt aus:
Einen Lockdown gelte es zu vermeiden, findet auch Clemens Fuest, der Präsident des Wirtschaftsforschungsinstitut ifo. Er hat sich zu Beginn der Woche dafür ausgesprochen, 2G- und 3G-Regelungen flächendeckend einzuführen. "Besonders groß ist derzeit die Gefahr, dass sich die Intensivstationen vor allem mit nicht geimpften Kranken füllen, und, wenn wir uns der Kapazitätsgrenze nähern, die Schulen wieder geschlossen werden. Das hat langfristig extrem hohe wirtschaftliche und soziale Kosten", sagte er laut einer Pressemitteilung am Montag in München.
Die Gastro-Branche leidet nach Angaben des Interessenverbands Dehoga bereits unter der Einführung der 2G-Regeln. Wie Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin der Dehoga, berichtet, bedeute diese Maßnahme für viele Betriebe Umsatzeinbußen. So berichteten Betriebe aus Bundesländern, in denen 2G bereits flächendeckend eingeführt sei, von Stornierungen im Veranstaltungsbereich: Firmenevents wie auch private Feiern.
"Der Dezember gehört für viele Betriebe zu den umsatzstärksten Monaten. Die Umsatzausfälle werden erheblich sein", meint Hartges. Der Grad der individuellen Betroffenheit hänge letztlich auch vom Betriebstyp und der Gästeklientel ab.
Prognosen, wie sich die Umsätze in den kommenden Wochen entwickeln könnten, seien schwierig. Die Dehoga-Chefin sagt: "Dabei kommt es auch darauf an, ob und wie schnell die Maßnahmen letztendlich greifen, das heißt, die Infektionszahlen und die Hospitalisierungsraten sinken und die Impfquote steigt."
Auch Hartges findet: "Einen Lockdown für vollständig Geimpfte darf es nicht mehr geben." Vielmehr komme es mehr denn je darauf an, dass die Zugangskontrollen in den Betrieben konsequent umgesetzt würden. Gemeinsam müsse alles dafür getan werden, dass die Betriebe geöffnet bleiben könnten.
Ein solcher Lockdown für alle, den Gastronomie und Wirtschaft sowie die Bürgerinnen und Bürger und die Politik vermeiden möchten, ist aus Sicht des Rechtswissenschaftlers Steffen Augsberg zumindest grundsätzlich möglich.
Augsberg ist Professor für öffentliches Recht an der Uni Gießen. Gegenüber watson führt er aus:
Theoretisch sei ein "Lockdown für Ungeimpfte" zwar möglich, allerdings sieht Augsberg hier Schwierigkeiten bezüglich der Kontrolle. Außerdem müsse geprüft und belegt werden, dass es kein milderes Mittel gibt, das den gleichen Effekt mit sich brächte. "Zwar sind nicht etwa aus Solidaritätsgründen Beschränkungen vorzugswürdig, die die allgemeine Bevölkerung betreffen. Aber unter Umständen wird es eben auch nicht genügen, nur Ungeimpfte Beschränkungen zu unterwerfen", fasst Augsberg zusammen.
Auch ein "Lockdown light" mit bestimmten Kontaktbeschränkungen sei rechtlich möglich – auch in diesem Fall müssten allerdings die konkreten Umstände geprüft werden. Augsberg kann sich vorstellen, dass zeitnah größere Ansammlungen auf engem Raum, die durch digitale Formate ersetzt werden könnten, auf dem Prüfstand stehen werden. Er sagt: "Das ist übrigens nicht nur ein Problem hoheitlicher Freiheitsbegrenzung: zur Eigenverantwortung der Menschen gehört es auch, Risiken zu vermeiden, gerade wenn kein staatliches Verbot besteht."