Gewalttätige Ereignisse lösen Entsetzen, tief sitzende Ängste und – nicht zuletzt – den Wunsch nach mehr Sicherheit aus. Vor allem die Sicherheitsfrage gerät derzeit aufgrund der aktuellen Geschehnisse wieder in den Fokus. Vor knapp zwei Wochen erst der Amoklauf an einer Schule in Texas mit 21 Toten. Dann am Mittwoch eine Amokfahrt in Deutschland, im Herzen Berlins. Am Breitscheidplatz raste ein Mann in eine Schülergruppe. Eine Lehrerin starb, zahlreiche Menschen wurden teils lebensbedrohlich verletzt.
Der Vorfall weckt Erinnerungen an den terroristischen Anschlag am Breitscheidplatz 2016. Damals war der islamistische Attentäter Anis Amri mit einem LKW auf dem Berliner Weihnachtsmarkt in eine Menschenmenge gerast. Zwölf Menschen starben, fast 170 weitere wurden verletzt, teils auch schwer. Ein weiteres Opfer starb im Oktober 2021 an den Langzeitfolgen der Verletzungen.
Es stellt sich unweigerlich die Frage, wie solche Ereignisse verhindert werden können. Was kann getan werden, um die Sicherheit zu erhöhen? Und wie weit dürfen Sicherheitsmaßnahmen gehen, ohne Menschen in ihrer Freiheit zu sehr zu beeinträchtigen? Der Politikwissenschaftler und Sicherheitsexperte Joachim Krause analysiert diese Fragen für watson und erklärt, warum man sich in Deutschland – trotz allem – sehr sicher fühlen darf.
Nach dem Anschlag am Breitscheidplatz 2016 errichtete die Stadt mächtige Poller, um vor weiteren Anschlägen dieser Art zu schützen. Diese konnten das Auto am Mittwoch zwar nicht stoppen. Die tödliche Fahrspur verlief aber nicht nach links auf den Platz, sondern auf dem rechten Bürgersteig. Trotzdem hält der Sicherheitsexperte Joachim Krause gewisse Sicherheitsmaßnahmen für sinnvoll. Es stelle sich dabei immer die Frage, wovor die jeweilige Maßnahme schützen könne. Den absoluten Schutz gebe es aber nicht.
Das Errichten der Poller hält er beispielsweise für sinnvoll, um Amokfahrten an bestimmten Orten zu erschweren: eine Maßnahme, die die Freiheit der Menschen nicht einschränkt, aber dennoch eine Wirkung erzielt. Trotzdem helfen diese beispielsweise nicht gegen wild um sich schießende Menschen und können nicht jede Tat von vornherein verhindern.
In Sachen Sicherheit habe sich dennoch viel getan: So sei die Koordination zwischen den Behörden in den vergangenen Jahren zunehmend verbessert worden. Auch die Absprachen und der Informationsaustausch über kritische Personen sei gut. Zudem gebe es häufig auf größeren öffentlichen Plätzen Maßnahmen der Überwachung, die vielen gar nicht richtig auffallen und diese damit auch im Alltag nicht oder kaum beeinträchtigen. Maßnahmen wie diese seien richtig und wichtig.
"Ein Maximum an Sicherheit ist gut", findet der Politikwissenschaftler. Dennoch stehen laut Krause Sicherheitsaspekte nicht über allem. "Freiheitseinschränkende Maßnahmen sind da problematischer", findet er. Manche Sicherheitsmaßnahmen können die Freiheit der Menschen zu sehr einschränken und dadurch nicht mehr im Verhältnis zum gebotenen Schutz stehen. Das zeigt sich auch an den Diskussionen um den Datenschutz. Der Experte bezieht sich zum Beispiel auf die viel kritisierte Überwachung, etwa durch Kameras auf öffentlichen Plätzen, oder auf die Vorratsdatenspeicherung. Unter Letzterer versteht man unter anderem das flächendeckende Sammeln von Telefon- und Internetdaten, wie Standortdaten oder IP-Adressen von Nutzern – und zwar auch von Menschen, die noch nie straffällig geworden sind.
Ein solch flächendeckende Form der Kontrolle möchte der Großteil der Bevölkerung in Deutschland nicht. Außerdem scheitert der Wunsch nach maximaler Sicherheit häufig an den zur Verfügung stehenden Mitteln. Etwa, was die Überwachung von kritischen oder auffälligen Personen angeht. "Es ist eine Frage der Ressourcen. Es gibt Hunderte oder Tausende solcher Personen, aber nicht genügend Polizeikraft, um alle zu überwachen", sagt Krause.
Amokläufe, Anschläge, Überfälle. So sehr man sich auch wünscht, dass so etwas nicht passiert, kann man es dennoch nicht verhindern. Die absolute Sicherheit gebe es nicht, erklärt auch der Politikwissenschaftler und Sicherheitsexperte. Solche Vorfälle wie jener am Mittwoch in Berlin "können an jedem Platz zu jeder Zeit passieren, ohne dass man es wirklich verhindern könnte", resümiert der Sicherheitsexperte nüchtern. "Man kann sich vor so etwas nicht sichern. Es sei denn, man bleibt zuhause", sagt er. Und selbst dort könnte immerzu jemand einbrechen. Man müsse "immer mit Verrückten rechnen".
Neben den Gefahren durch Anschläge und andere gewalttätige Ereignisse gibt es Dinge, die realistisch betrachtet eine größere Gefahr darstellen. Unfälle etwa – oder gesundheitliche Probleme. So sind beispielsweise allein im Jahr 2021 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes insgesamt 2569 Menschen im Straßenverkehr tödlich verunglückt. Radfahrer, Autofahrer und Fußgänger.
Ob wir es wollen oder nicht: Das Leben ist riskant.
Wie sicher können sich Menschen in Deutschland also fühlen? Der Sicherheit vor Anschlägen stellt der Politikwissenschaftler ein positives Zeugnis aus: "Die Sicherheit vor Anschlägen ist gut". Das liege nicht zuletzt an der guten Koordination zwischen den Behörden und zahlreichen sinnvollen Sicherheitsmaßnahmen.
Überhaupt sei "der Grad an Unsicherheit in Deutschland nicht sehr hoch", resümiert er. Gerade im Vergleich mit anderen Ländern schneide das Land sehr gut ab. Dabei bezieht sich der Experte etwa auf die USA, wo es wegen lascher Waffengesetze viel mehr Handfeuerwaffen in der Bevölkerung gebe und es dadurch häufiger zu Amok-Ereignissen komme.
Es gebe außerdem viele Länder, in denen die Kriminalitätsrate insgesamt deutlich höher sei als in Deutschland. "Wir haben hier einen Staat, der einigermaßen funktioniert", findet Krause. Man dürfe sich hierzulande also sicher fühlen. Er ist überzeugt: "Nach schlimmen Ereignissen schreien alle nach mehr Sicherheit. Nach ein paar Wochen ebben diese aber wieder ab."