Die SPD steht in der Kritik. Als Gesamtpartei. Vor allem aber einzelne Genossinnen und Genossen. Und zwar aufgrund ihrer möglichen Nähe zu Russland oder dem Umgang mit dem aktuellen Angriffskrieg. Unter den am schärften kritisierten Genossinnen und Genossen sind auch einige Polit-Promis.
Kritik an Altkanzler Gerhard Schröder (1998-2005 im Amt) hagelt es nicht nur in Deutschland. Die "New York Times" hat jüngst einen Text mit dem Titel "The Former Chancellor Who Became Putin’s Man in Germany" (auf Deutsch: "Der frühere Kanzler, der zu Putins Mann in Deutschland wurde") veröffentlicht. Der Altkanzler verteidigt darin den russischen Präsidenten, den er nicht verantwortlich machen möchte, für die Gräueltaten von Butscha.
Die SPD gerät mit solchen Aussagen ihres Parteimitglieds zusehends in Bedrängnis.
Schon 2009 übernahm Schröder den ersten Aufsichtsratsposten in dem russisch-britischen Energieunternehmen TNK-BP. Es folgten der Posten des Präsidenten des Verwaltungsrats von Nord Stream 2 (2016) und der Aufsichtsratsposten beim russischen Ölkonzern Rosneft (2017). Der Altkanzler als Cheflobbyist Russlands.
Trotz der völkerrechtswidrigen Annektion der Krim (2014) blieb die große, umfassende Kritik aus. Natürlich kam immer wieder die Sprache auf den Altkanzler – zum Beispiel, als der russische Oppositionelle Alexei Nawalny vergiftet wurde – doch den großen Knall gab es auch hier nicht. Bei seiner Behandlung im Berliner Krankenhaus Charité im August 2020 wurde festgestellt, dass Nawalny wegen des Nervengifts Nowitschok im Koma lag. Ermittlungen legten nahe, dass der russische Geheimdienst mit dem Anschlag zu tun hatte.
Trotz seiner Russlandnähe blieb Schröder aus der Schusslinie. Bis jetzt. Jetzt ist er der Inbegriff der Fehleinschätzung.
Einsicht zeigt er keine. Er verurteilt zwar den Krieg, nicht aber den Aggressor Wladimir Putin selbst. Stattdessen ist der Altkanzler Anfang März nach Moskau gereist, um mit Putin zu sprechen. Ohne Auftrag seiner Partei oder der Bundesregierung, wie diese klarstellten. Gebracht hat das offensichtlich wenig. Der Krieg wurde im Anschluss nur schmutziger.
Mehr als 14 regionale SPD-Verbände haben laut Informationen der Nachrichtenagentur dpa bereits ein Parteiausschlussverfahren Schröders beantragt.
Bisher sieht die Gesamtpartei allerdings von einem Parteiausschlussverfahren ab. Es läuft allerdings bereits ein Parteiordnungsverfahren. Das ist ein Schiedsgerichtsverfahren in Parteien, bei dem Parteistrafen bis hin zum Parteiausschluss verhängt werden.
Die Spitze der Partei habe sich darauf geeinigt, Schröder nur noch als Geschäftsmann zu betiteln, erklärte die Vorsitzende Saskia Esken. Durch diese Bezeichnung distanziert sich die SPD von ihrem berühmtesten Problem-Genossen. Sie versucht, das Problem von sich zu schieben und die Kommunikation Schröders seiner Funktion als Aufsichtsratschef zuzuschreiben.
Natürlich ist Schröder genau das: ein Geschäftsmann. Aber eben nicht nur.
Schröder ist auch der letzte noch lebende Altkanzler der Sozialdemokraten. Und als dieser wird er auch in der Welt wahrgenommen. Mehrere Genossen und Genossinnen, darunter auch Esken selbst, hatten von Schröder bereits gefordert, selbst aus der Partei auszutreten.
Nicht nur Schröder steht wegen Energie-Verbindungen nach Russland in der Schusslinie, sondern auch die SPD-Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern: Manuela Schwesig. In ihrem Bundesland kommen die Pipelines Nord Stream und Nord Stream 2 an.
Der Kern der Kritik, mit der sich Schwesig konfrontiert sieht, ist nicht vorrangig die Ostsee-Pipeline. Vielmehr handelt es sich um eine Stiftung, die die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern gegründet haben soll, um diese Pipeline trotz US-Sanktionen fertig bauen zu können.
Konkret geht es um die "Stiftung Klima- und Umweltschutz MV". Auf der Homepage der Stiftung steht:
Es gibt allerdings Vorwürfe, die Beziehungen zwischen der mecklenburg-vorpommerischen Regierung sowie der Stiftung zum Unternehmen Nord Stream 2 seien zu wenig transparent und zu eng gewesen. Wie der "Nordkurier" vor Gründung der Stiftung berichtete, handelt es sich dabei um einen rechtlichen Kniff. So konnte und wollte die Regierung in Schwerin die US-Sanktionen für deutsche Unternehmen umgehen, die am Bau beteiligt waren.
Pikant: Wie der Deutschlandfunk berichtet, ist der größte Geldgeber dieser Stiftung die Nord Stream 2 AG. Die gehört zu dem russischen Energieriesen Gazprom. Bekannt sei mittlerweile ebenfalls, dass Vertreter der Nord Stream 2 AG an der Formulierung der Stiftungssatzung beteiligt waren. Diese Erkenntnisse nähren den Vorwurf, dass die Stiftung Klima- und Umweltschutz MV eine Tarnstiftung sein könnte.
Aus diesem Grund hat die Landes-Opposition, bestehend aus Grünen, FDP und CDU einen Untersuchungsausschuss im Landtag beantragt. Dieser wird im Mai zusammenkommen.
Gerade aus der CDU sieht sich Schwesig mit der Forderung nach einem Rücktritt konfrontiert. Sie selbst hat schon klargestellt, dass sie das definitiv nicht vorhat. Die SPD-Politikerin begründet diese Entscheidung mit der Landtagswahl im vergangenen Herbst. Damals wurde die SPD mit 39,6 Prozent der Stimmen gewählt. Ein klares Votum für die Ministerpräsidentin.
In ihrer Partei hat Schwesig einen festen Stand. SPD-Chef Lars Klingbeil hat sie jüngst in Schutz genommen. "Manuela Schwesig hat selbst öffentlich erklärt, dass aus heutiger Sicht die Gründung der Stiftung ein Fehler war", sagte Klingbeil der Nachrichtenagentur dpa. "Sie hat als Ministerpräsidentin auf der Grundlage eines Beschlusses agiert, der parteiübergreifend im Landtag in Mecklenburg-Vorpommern getroffen wurde."
Allerdings hat nun der erste Sozialdemokrat den Rücktritt der Ministerpräsidentin gefordert. Der Vorsitzende des Berliner SPD-Kreisverbands Treptow-Köpenick, Christopher Jäschke, sagte "t-online": "Manuela Schwesig ist als Ministerpräsidentin komplett untragbar geworden, weil sie den Interessen Deutschlands in hohem Maße geschadet hat."
Auch auf dem FDP-Parteitag war Schwesig häufig Ziel von Kritik. Der Bundesvorsitzende der Liberalen Christian Lindner (Finanzminister) nahm die Ministerpräsidentin allerdings in Schutz und versuchte den Verdruss auf die Opposition (CDU/CSU) umzulenken. Er stellte klar, dass bei solchen energiepolitischen Entscheidungen keine Landesregierung allein agieren könne – und eben die CDU/CSU in den vergangenen 16 Jahren die Richtlinienkompetenz in Deutschland gehabt habe.
Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk hat ihm ein "Spinnennetz an Russland-Kontakten" vorgeworfen. Der Vorwurf, dem sich Frank-Walter Steinmeier stellen muss: Die Außenpolitik, die er im Kabinett Merkel verfolgte, sei zu russlandfreundlich gewesen. Steinmeier hatte unter anderem das Projekt Nord Stream 2 unterstützt.
Als er gemeinsam mit seinem Amtskollegen aus Polen, Andrzej Duda nach Kiew reisen wollte, war er dort nicht willkommen. Lieber hätte die ukrainische Regierung den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz vor Ort gesehen. Steinmeier musste draußen bleiben.
Steinmeier nahm die Kritik und die Vorwürfe zum Anlass, sich in Selbstkritik zu üben. Er bezeichnet es als Fehler, Nord Stream 2 unterstützt zu haben. Er hätte sich außerdem in der Annahme geirrt, dass Putin nicht verrückt genug sei, den kompletten wirtschaftlichen, politischen und moralischen Ruin seines Landes für einen imperialistischen Krieg aufzugeben.
Steinmeiers Weggefährte und ehemaliger Vize-Kanzler Deutschlands, Siegmar Gabriel, ist dem Präsidenten zur Seite gesprungen. In einem Gastbeitrag, den er im "Spiegel" veröffentlichte, räumt er ein, die deutsche Politik hätte mit Blick auf Russland Fehler gemacht. Er kritisiert aber auch den Vorwurf Melnyks, Steinmeier habe ein "Spinnennetz" geknüpft.
Er ist der Vorgänger Manuela Schwesigs und heute Präsident der Klimastiftung: Erwin Sellering. 2018 war er Mitgründer des Vereins Deutsch-Russische Partnerschaft e.V. und ist dessen Vorsitzender. In einem Gastbeitrag beim "Nordkurier" forderte Sellering 2020 – nach dem Attentat auf Nawalny – dass Deutschland sich nicht vereinnahmen lassen dürfe von den Weltmächten.
Dort schreibt der Sozialdemokrat:
Wenig später wurde die Klimastiftung (s.o.) gegründet, deren Präsident Sellering bis heute ist. Heikel ist, dass er sich weigert, diese Stiftung aufzulösen. Die Auflösung war ein Vorstoß von Ministerpräsidentin Schwesig als Reaktion auf die Vorwürfe und den russischen Angriffskrieg.
Er begründet das Festhalten an der Stiftung mit rechtlichen Gründen. Was nämlich auch ohne die Mitarbeit der Russen (Nord Stream 2 und Gazprom) bleibe, sei die Aufgabe des Umwelt- und Klimaschutzes. Wie interne Dokumente der Staatskanzlei Mecklenburg-Vorpommern aber zeigen: Sellering war Klima- und Umweltschutz bei der Gründung der Stiftung ein Dorn im Auge. Der Investigativ-Blog "FragdenStaat" hatte diese Dokumente veröffentlicht.
Mittlerweile ist Sellering allerdings von seiner Rolle als Putin-Versteher abgerückt und hat seinen Fehler eingeräumt. "Ich habe falsch eingeschätzt, wie die Möglichkeiten sind, auch mit Putin-Russland zusammenzukommen. Das ist ein Fehler, den ich einsehen muss – eine Illusion. Das gilt für alle hier im Land", sagte Sellering bei NDR MV Live.
Beim Untersuchungsausschuss im mecklenburg-vorpommerischen Landtag wird es sicherlich auch um die Rolle Sellerings gehen. Schwesig will darüber hinaus die Stiftung auch gegen den Widerstand ihres Vorgängers abwickeln lassen.
Der ehemalige SPD-Oberbürgermeister von Düsseldorf, Thomas Geisel, ist jüngst mit einem Blogeintrag aufgefallen. In diesem verurteilte er zwar das Töten von Zivilisten, stellte aber gleichzeitig infrage, ob der "Rhetorik des Kriegsopfers" zu trauen sei. Kurz: Er bezweifelt, dass die Ukraine die Wahrheit sagt. Zum Beispiel im Zusammenhang mit den Gräueltaten von Butscha.
Der Beitrag trug den Namen "Es reicht, Herr Melnyk". Mittlerweile ist er offline.
Nachdem sich unter anderem die SPD Düsseldorf von den Äußerungen ihres Ex-OBs distanziert hat, hat sich wohl auch der sozialdemokratische Kandidat zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, Thomas Kutschaty, eingeschaltet.
Geisel hat den Blogbeitrag daraufhin offline genommen. In einem weiteren bemängelt er nun, dass eine sachliche Debatte zum Ukrainekrieg nicht möglich sei.
Die Kritik an einzelnen Politikerinnen und Politikern zeigt auch: Die Sozialdemokraten stecken in einer Krise.
Sie müssen ihren Politikstil aufarbeiten, den Umgang mit Russland. Die erste Aufgabe ist nun aber, die Ukraine zu unterstützen und sich selbst, Deutschland, Europa und der Welt zu zeigen: "Wir haben dazu gelernt, wir haben uns geirrt. Und nun geht es mit aller Kraft gegen den Aggressor Putin."