Die Cannabis-Konsument:innen haben einen Grund zum feiern: Gras wird legalisiert werden – bei harten Drogen sieht das aber anders aus.Bild: imago stock&people / imago images
Analyse
20.08.2022, 08:1020.08.2022, 08:27
Bei Cannabis ist es mittlerweile klar: Die Ampel beschäftigt sich mit einem Gesetzentwurf, der Marihuana legalisieren wird. Anders steht es um die sogenannten harten Drogen: Ecstasy, Kokain und Amphetamine zum Beispiel. Die bleiben nach wie vor verboten, ihr Besitz strafbar. Die Grünen in Berlin wollen daran nun aber in Teilen etwas ändern – sie wollen geringe Mengen in der Hauptstadt entkriminalisieren.
Doch was bedeutet das? Und was heißt das für den Rest von Deutschland? Darüber hat watson mit Politiker:innen und Menschen aus der Drogenarbeit und Suchtprävention gesprochen.
Der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert (SPD) stellt gegenüber watson klar: Eine bundesweite Entkriminalisierung ist nicht angedacht. Er sagt: "Jetzt setzen wir erstmal das Koalitionsvorhaben um. Damit fällt dann das Gros der konsumnahen Verfahren weg."
Er meint damit die Legalisierung von Cannabis. Klar sei aber auch, dass der Vorstoß der Berliner Grünen nicht neu ist. Denn: Eigenbedarfsgrenzen gibt es schon in unterschiedlichen Bundesländern.
Burkhard Blienert ist der Drogenbeauftragte der Bundesregierung.Bild: IMAGO / Sven Simon
Konsumkompetenz statt Verbote
Für Rüdiger Schmolke hingegen ist klar: Jede Forderung nach Entkriminalisierung im politischen Raum ist wichtig. Schmolke ist Vorstandsmitglied im Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit. Er sagt: "Der Krieg gegen Drogen richtet sich letztendlich gegen Drogen-Konsument:innen."
Egal ob die Staatsanwaltschaft des jeweiligen Bundeslandes das Verfahren einstellt: Eine Anzeige von der Polizei gibt es im Vorfeld trotzdem. Für Konsument:innen kann das weitreichende Folgen haben.
Schmolke führt aus:
"Es gibt Fälle, wo Menschen wegen weniger Gramm oder Verhaftungen ihren Job oder Führerschein verlieren. Die Entkriminalisierung und die damit verbundene grundsätzliche Straffreiheit für den Eigenbedarf wäre eine ganz andere Stufe und die muss erst mal erreicht werden."
Die Straffreiheit geringer Mengen würde Konsument:innen auf der psychosozialen Ebene entlasten – und auch viele unnötige Verfahren ersparen, die wegen geringer Mengen fallen gelassen werden. Eine restriktive Drogenpolitik lasse sich nicht rechtfertigen, erklärt Schmolke. Viel wichtiger als Verbote: Aufklärungsarbeit. "Wir nennen das Risiko- oder Konsumkompetenz", sagt Schmolke.
Entkriminalisierung allein reicht nicht aus
Dafür setzt sich beispielsweise Anke Timm ein. Sie arbeitet bei der Berliner Fachstelle für Suchtprävention. Auch Timm ist davon überzeugt, dass die Entkriminalisierung positive Effekte haben würde. Sie findet aber auch: Eine Entkriminalisierung muss immer eingebunden sein, in ein präventives und aufklärerisches Gesamtkonzept.
Im Gespräch mit watson sagt Timm:
"Den Menschen, die ein Suchtproblem haben, ist nicht allein durch Entkriminalisierung geholfen. Es braucht flankierende Maßnahmen, wie einen Ausbau von Präventions- und Hilfsangeboten. Mit der bloßen Entkriminalisierung wird auch nicht die Qualität der Substanzen überprüft."
Drogen sind kein reines Partyphänomen. Oft konsumieren auch Menschen, die etwa Leistungsdruck verspüren.Bild: www.imago-images.de / imago images
In der Suchtprävention beispielsweise werde in Erfahrung gebracht, warum Menschen konsumieren. Ob sie eine Abhängigkeit entwickeln oder Probierkonsument:innen sind. Es werde außerdem darüber gesprochen, wie zum Beispiel mit Leistungsdruck und Stress ohne Drogen umgegangen werden kann.
Timm sagt:
"Wir brauchen eine Förderung von Konsumkompetenz, damit Menschen lernen, gesunde und selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen."
Ihr gehe es nicht darum, den Konsum per se zu verbieten, sondern darum, das Einstiegsalter so weit wie möglich nach oben zu verschieben. Auch im Bereich der Drug-Checking-Angebote, die im Zweifel vor dem Konsum gestreckter oder überdosierter Substanzen bewahren können, sei es wichtig, Beratungsangebote zu schaffen.
Drug-Checking
Drug-Checking bedeutet die chemische Analyse von Drogen. Denn da Herstellung, Vertrieb und Konsum illegal sind, gibt es bei diesen Substanzen keine Qualitätskontrolle. Konsument:innen wissen also beim Kauf nicht, was wirklich in den Pillen oder Pulvern enthalten ist. So kann der Konsum sicherer gestaltet werden, denn vor allem bei Drogen, die gespritzt werden, können Überdosierung oder Verunreinigungen schnell tödlich enden. (rs)
SPD und Linke halten Entkriminalisierung für sinnvoll
Die strafrechtliche Verfolgung von Konsument:innen ist bei keiner Droge der richtige Weg, erklärt Dirk Heidenblut, Gesundheitspolitiker in der SPD. Letztlich, meint er, hemmt diese Kriminalisierung Hilfe und gute Gesundheitsversorgung.
Heidenblut sagt auf watson-Anfrage:
"Entkriminalisierung ist daher sinnvoll, soweit eine gute Begleitung durch entsprechende Suchthilfeangebote, Beratung und eine vernünftige Evaluation erfolgt."
Dirk Heidenblut ist Gesundheitspolitiker in der SPD-Fraktion.Bild: imago images/ Christian Spicker
Um Konsum sicherer zu machen, hält Heidenblut den schnellen Ausbau von bundesweiten Drug-Checking-Angeboten für sinnvoll. Er sagt: "Das ist auf jeden Fall nötig und deshalb wollen wir ja auch Modelle ermöglichen und ausbauen."
Auch der drogenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Ates Gürpinar, befürwortet den Vorstoß der Entkriminalisierungsbestrebungen. Auf watson-Anfrage erklärt er:
"Ich begrüße die Position der Grünen in Berlin ausdrücklich und freue mich, dass die Grünen zunehmend die Tatsache anerkennen, dass die Prohibition von Drogen nicht nur im Fall von Cannabis gescheitert ist."
Seine Partei hat bereits im Bundestag einen Antrag zur Entkriminalisierung des Besitzes geringer Mengen auch sogenannter harter Drogen eingebracht. Gürpinar und seine Partei befürworten einen Umgang mit dem Konsum von Drogen, der diesen "als gesundheitspolitisches Problem statt als Problem von Strafrecht und Polizei ansieht".
Ates Gürpinar ist der drogenpolitische Sprecher der Linksfraktion.Bild: www.imago-images.de / imago images
Gürpinar sagt:
"Statt auf Verfolgung und Repression – die nachweislich den Konsum und den Schwarzmarkt nicht eindämmen – setzen wir auf Schadensminderung und die Befähigung zu risikobewusstem Konsum."
Dazu gehöre sowohl die Entkriminalisierung von Konsument:innen, als auch die Legalisierung von Drug-Checking-Angeboten.
Bundesgrüne zeigen sich mit Blick auf Straffreiheit verhalten
Die drogenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag sieht die Sache etwas anders. Linda Heitmann erklärt gegenüber watson, dass der unterschiedliche Umgang der Bundesländer mit den sogenannten harten Drogen die Möglichkeit biete, Konsummuster zu erkennen. So könne abgeleitet werden, wie sich Kriminalisierung und Entkriminalisierung auf den Konsum auswirkten.
Heitmann sagt:
"Wir merken bei Cannabis derzeit, dass die Substanz viel konsumiert wird – auch unter Jugendlichen, obwohl sie nur illegal auf dem Schwarzmarkt in Deutschland erhältlich ist. Bei anderen Substanzen beobachten wir solch einen weit verbreiteten Konsum bislang noch nicht in der Form."
Das zeige, dass die Illegalität nach wie vor einen abschreckenden Charakter habe.
Im Zuge der Legalisierung von Cannabis müsse die Entwicklung von Konsummustern betrachtet werden – dann könne überlegt werden, inwieweit Entkriminalisierung oder eine legale Abgabe anderer Substanzen Sinn ergeben könnte. Die Grünen-Politikerin geht davon aus, dass durch die Cannabis-Freigabe offener über die Gefahren des Konsums gesprochen wird.
Linda Heitmann ist die drogenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag.Bild: Die Grünen
Vom Drug-Checking, das im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist, erwartet Heitmann, auf der einen Seite den Gesundheitsschutz der Konsument:innen zu steigern und auf der anderen Aufklärungsarbeit leisten zu können.
Heitmann sagt:
"Wichtig ist dabei natürlich, dass solch ein Gesetz sicherstellt, dass Menschen, die das Drug-Checking durchführen sowie auch jene, die es nutzen, dabei nicht von Strafverfolgung bedroht sind."
Eine bundesweite Straffreiheit für harte Drogen wird es mit der Ampelregierung nicht geben. Aber die Legalisierung von Cannabis, sowie eine Neuregelung des Drug-Checking-Angebotes, sind im Koalitionsvertrag festgeschrieben.
Auch in Berlin wird die Straffreiheit für geringe Mengen harter Drogen wohl nicht in dieser Legislatur kommen – die Koalitionspartner sind dagegen.
Die Welt steuert politisch und sozial auf immer turbulentere Zeiten zu. Kriege, Wirtschaftskrisen, Naturkatastrophen, Terrorismus und die Kluft in der Gesellschaft zwischen Arm und Reich haben in den vergangenen Jahren tiefe Spuren hinterlassen. Besonders betrifft das diejenigen, die noch lange mit den Folgen der aktuellen Probleme leben müssen: junge Menschen.