Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht besuchte im April das afrikanische Land Niger.Bild: dpa / Kay Nietfeld
Analyse
Aus deutscher Sicht wird häufig von "Afrika" als ein Land gesprochen. Was viele vergessen: auf dem Kontinent liegen 55 Staaten. Mit unterschiedlichen Interessen und unterschiedlichen politischen Systemen. Für die EU und Europa spielt der afrikanische Kontinent eine wichtige Rolle. Die Beziehungen haben sich allerdings durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine verschlechtert.
"Die EU und afrikanische Staaten verbinden vielfältige ökonomische, politische und kulturelle Beziehungen", sagt Antonia Witt, Afrika-Expertin an der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), auf Anfrage von watson. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten seien für viele afrikanische Länder ein wichtiger Handelspartner, aber auch eine Quelle von Entwicklungsfinanzierungen.
Wie wichtig die politischen Beziehungen zwischen den beiden Kontinenten sind, spiegelt auch die "Global Gateway Initiative" der Europäischen Kommission wider. In diesem Rahmen soll es ein umfangreiches Invesitionsprogramm für Afrika geben. Das wird von Experten allerdings unterschiedlich bewertet. Witt weist in diesem Zusammenhang auf die weiter bestehende Ungleichbehandlung zwischen europäischen und afrikanischen Staaten aufgrund des Kolonialismus hin.
Obwohl die EU seit Jahren von "Augenhöhe" und "Gleichberechtigung" spreche, habe sich nicht viel an der bestehenden Situation geändert, meint die Expertin. Die europäische Seite würde die Agenda bestimmen und für die Finanzierung sorgen und die afrikanische Seite sei dann angehalten, diese vorgegebene Agenda umzusetzen.
Kolonialismus
Ein Land erobert Gebiete in einem fremden Territorium. Mit Blick auf Afrika bedeutet das: Bis Mitte des 19. Jahrhunderts beschränkte sich die europäische Fremdherrschaft auf einige Handelsniederlassungen. Nach und nach durchdrangen allerdings Forscher, Abenteurer und Missionare jeden Flecken des Kontinents – angetrieben von der Idee der Aufklärung.
Politische Beziehungen zu Afrika durch Krieg in der Ukraine verschlechtert
"Aktuell belastet der Angriffskrieg auf die Ukraine das Verhältnis zwischen Europa und Afrika", sagt Susanne Conrad, Afrika-Expertin für die Subsahara-Region an der Konrad-Adenauer-Stiftung, auf Anfrage von watson.
Antonia Witt führt aus:
"Aus westlicher Sicht haben sich die afrikanischen Staaten nicht ausreichend kritisch gegenüber der russischen Invasion in der Ukraine positioniert. Aus afrikanischer Perspektive wiederum wird der politische Druck kritisiert, mit dem westliche Staaten nun Solidarität einfordern."
Die 27 Mitgliedsstaaten der EU haben sich weitestgehend geschlossen gegen Russland gestellt. Während sich die 55 afrikanischen Länder ziemlich uneins sind.
Kritisch gesehen wurde aus Sicht des Westens vor allem das Abstimmungsverhalten der afrikanischen Länder in der UN-Generalversammlung zur Verurteilung des russischen Einmarsches und der Verhängung von Sanktionen gegen Russland am 2. März 2022 – dort traten die afrikanischen Staaten gespalten auf.
Die UN-Mitgliedsstaaten stimmten am 2. März 2022 in New York über die Verurteilung des Einmarschs Russlands in die Ukraine ab.Bild: NurPhoto / John Lamparski
Knapp die Hälfte der Staaten stimmte dabei für die erste Resolution – die das Vorgehen Russlands verurteilt und als klaren Bruch des Völkerrechts anerkennt. 17 afrikanische Länder enthielten sich und acht sind gar nicht erst erschienen. Eritrea hat als einziges afrikanisches Land gegen die Resolution gestimmt – und sich somit klar auf die Seite Russlands gestellt.
Der aktuelle Vorwurf gegenüber afrikanischen Staaten: Viele Länder auf dem Kontinent würden mit ihrer neutralen Position oder gar der Ablehnung der Sanktionen gegen Russland nicht die gemeinsamen Werte der EU-Afrika-Partnerschaft vertreten, erklärt Conrad. Dadurch würden sie Putin indirekt ihre Unterstützung vermitteln.
Beziehungen zu Afrika schon vor dem Krieg in der Ukraine stark belastet
Für viele Staaten in Afrika sei der Krieg in der Ukraine lediglich ein Krieg zwischen "dem Westen" und "Russland", sagt Witt. Deshalb wollen sich diese Staaten bewusst auf keine Seite stellen – aus Angst, in einen erneuten Ost-West-Konflikt hineingezogen zu werden.
"Historisch bedingte antiwestliche Ressentiments, autoritäre Regierungsführung und wirtschaftliche Abhängigkeit", zählt Conrad als weitere Gründe für das uneinheitliche Abstimmungsverhalten der afrikanischen Staaten in der UN-Vollversammlung auf.
"Das fehlende Getreide bedeutet eine radikale Verschärfung der ohnehin bestehenden Nahrungsmittelknappheit."
Susanne Conrad, Afrika-Expertin für die Subsahara-Region an der Konrad-Adenauer-Stiftung
Allerdings war das Verhältnis zwischen Europa und Afrika bereits vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine belastet, sagt Witt. Schuld daran war vor allem die Corona-Pandemie. Insbesondere aber die mangelnde Bereitschaft der europäischen Staaten, die Corona-Impfstoffe weltweit gerecht zu verteilen, erklärt die Expertin. Sowie die – aus afrikanischer Sicht – mangelnde Unterstützung in der Abfederung der massiven ökonomischen und sozialen Folgen der Pandemie.
Hunger als Kriegswaffe im Osten und Westen Afrikas
Am härtesten würde der Kontinent aktuell durch das Ausbleiben der Getreidelieferungen aus Russland und der Ukraine getroffen, sagt Conrad. Diese beiden Länder exportieren fast ein Drittel des gesamten Weizens nach Afrika. Vor allem die Staaten in Ost- und Westafrika leiden darunter.
In Ländern, wie Äthiopien, Kenia und Somalia herrscht seit langem eine Dürreperiode. "Das fehlende Getreide bedeutet eine radikale Verschärfung der ohnehin bestehenden Nahrungsmittelknappheit", macht die Afrika-Expertin deutlich.
Sie fügt hinzu:
"Es scheint, dass Russland hier gezielt Hunger als 'stille Waffe' verwendet, um unter anderem soziale Unruhen und Migrationsbewegungen auszulösen beziehungsweise zu verstärken."
Es sei wichtig, sagt Witt, die unterschiedlichen Gründe für die uneinheitliche Positionierung der afrikanischen Staaten gegen Russland zu analysieren und anzuerkennen. Und den Kontinent vor allem nicht als "ein Afrika" zu betrachten, sondern die Vielfältigkeit der einzelnen Länder anzuerkennen. Nur so könne daraus etwas für die internationale Diplomatie gelernt werden.
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