Seit dem brutalen Hamas-Angriff auf Israel flammt der Nahostkrieg erneut lichterloh auf. Auch andere Akteure in der Region mischen ordentlich mit, darunter der Iran.
In den vergangenen Wochen sorgte die islamische Republik immer wieder für Aufregung, sei es durch Raketenangriffe auf Irak oder Syrien. Nun soll sie auch bei einem Drohnenangriff auf einen Militärstützpunkt im Nordosten Jordaniens nahe der Grenze zu Syrien involviert gewesen sein. Dabei starben drei US-Soldaten, etwa mehr als 30 Menschen wurden verletzt.
Während die iranische Regierung jegliche Schuld von sich weist, kündigt US-Präsident Joe Biden einen Vergeltungsschlag an. "Wir werden reagieren", betont er. Biden macht pro-iranische Gruppen für den Vorfall verantwortlich.
"Zum Angriff hat sich die Gruppe 'Islamischer Widerstand' bekannt, erklärt Politikwissenschaftler Heinz Gärtner auf watson-Anfrage. Er ist Vorsitzender des Beirates des International Institute for Peace (IIP) und am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien tätig.
Diese Gruppe habe nach eigenen Angaben über hundertfünfzig Anschläge auf US-amerikanische Einrichtungen seit dem 7. Oktober 2023 durchgeführt. Laut Gärtner unterstützt der Iran viele Milizen und nichtstaatliche Gruppen in der Region, die als seine äußere Verteidigungslinie dienen sollen. Dazu gehören etwa die Hamas im Gaza, die Hisbollah im Libanon und die Houthis im Jemen sowie verschieden Milizen in Syrien und im Irak.
Seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und dem anhaltenden Bombardement des Gazastreifens durch Israels, haben die Gruppierungen Anschläge im Roten Meer, Syrien und im Irak durchgeführt. Der Iran betont Gärtner zufolge immer wieder, dass diese Organisationen in ihren Handlungen völlig unabhängig agierten.
Für Gärtner sei diese Distanzierung nicht von der Hand zu weisen: "Der Iran will keinesfalls in einen größeren Krieg mit Israel oder gar den USA hineingezogen werden." Laut ihm befindet sich das Land in einer Zwangslage, "einerseits braucht es seine Milizen der 'Achse des Widerstandes', andererseits entwickeln diese zunehmend ein Eigenleben".
Er führt aus:
Aber auch die USA wollen laut des Politikwissenschaftlers einer direkten Auseinandersetzung mit dem Iran aus dem Weg gehen.
Die US-Geheimdienste haben die islamische Republik vor einem größeren regionalen Krieg gewarnt. Im Gegenzug hat der Iran die USA wissen lassen, dass er dazu kein Interesse habe. "Die Frage ist, wie lange der Iran auf israelische Attacken nur mit Vergeltungsankündigungen reagieren kann", meint Gärtner.
Er führt aus: Falls es einen direkten Angriff Israels auf den Iran gäbe, stünde der Iran vor der Entscheidung, mit einem direkten militärischen Angriff auf israelisches Territorium zu antworten. "Das würde wiederum unvermeidlich die USA zwingen, seinen Verbündeten Israel militärisch zu Hilfe zu kommen, weil Israel argumentieren wird, dass seine Existenz gefährdet sei."
Dieses Szenario würde laut Gärner unvermeidlich zu einem langjährigen Krieg führen. Denn man dürfe nicht vergessen: Der Iran ist vier Mal so groß wie der Irak mit einer doppelt so großen Bevölkerung sowie disziplinierten Streitkräften.
Gärtner zieht demnach das Fazit, dass durchaus die Gefahr bestehe, dass die Verbündeten des Irans und den USA einen Flächenbrand auslösen. "Auch wenn sie selber eine direkte militärische Konfrontation scheuen." Davon geht auch Friedens- und Konfliktforscher Matthias Dembinski aus.
Laut ihm wird Biden wohl versuchen – auch aus innenpolitischen Gründen – eine Balance zu finden zwischen einer militärischen Antwort, die einerseits robust genug ist, um ein gewisses Niveau an Abschreckung wiederherzustellen und andererseits begrenzt genug, um einen offenen Konflikt mit dem Iran zu vermeiden.
Dennoch: "Das Eskalationspotenzial ist hoch", sagt der wissenschaftliche Mitarbeiter am Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung auf watson-Anfrage. "Eine atomare Eskalation anzunehmen, wäre allerdings abwegig", entwarnt Dembinski. Trotzdem dürfe man die aufgeheizte Stimmung und Konstellation der Gewaltakteure nicht unterschätzen.
"Israel, und bis zu einem gewissen Grad die USA, sehen Iran als den Kopf eines Oktopus und die bewaffneten Milizen im Libanon, dem Gazastreifen, Irak, Syrien und Jemen als seine Arme", führt er aus. Allerdings weist er auch daraufhin, dass diese Gewaltakteure über unabhängige Gestaltungsspielräume verfügen.
Laut Dembinski kontrolliert der Iran die genannten Milizen vermutlich nicht vollständig. "Die Gefahr von Fehlkalkulationen und politisch weder von Teheran noch den USA gewollten Eskalationen ist daher groß."