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Analyse

Grünen-Parteitag: Kampf der Ideale

14.10.2022, Nordrhein-Westfalen, Bonn: Ricarda Lang, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, spricht beim Grünen-Bundesparteitag zu den Delegierten. Die Bundesdelegiertenkonferenz dauert bis zum  ...
Ricarda Lang bei ihrer Eingangsrede auf der Bundesdelegiertenkonferez. Bild: dpa / Kay Nietfeld
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Grünen-Parteitag: Kampf der Ideale

Die Grünen ringen mit sich und ihrer Identität. Doch öffentlich wollen sie nichts auf ihre Vorsitzenden kommen lassen – dabei geht es in den Beschlüssen im Parteitag um die grüne DNA: Umwelt, Klima, Frieden.
17.10.2022, 08:10
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In den Köpfen der Grünen hat sich ein Kampf abgezeichnet. Das war bereits vor dem Krieg in der Ukraine so: Als es etwa um die schmerzhaften Kompromisse ging, die man im Koalitionsvertrag mit SPD und FDP eingegangen war.

Doch dann kam Putin.

Nachdem Russland am 24. Februar in die Ukraine einmarschiert war, stellte sich die ganze Welt auf den Kopf. Auch die Grünen, die gerade erst 2,5 Monate in Regierungsverantwortung waren. Außenministerin Annalena Baerbock musste gemeinsam mit Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck Beschlüsse mittragen, die Urgrünen das Herz bluten lassen.

Mit Putin kam die Energiekrise.

Strom wird teurer. Gaslieferungen bleiben aus. Die Ölpreise steigen. Die einstige Ökopartei muss Entscheidungen treffen, die ins Mark gehen. Kohleausstieg? LNG-Terminals? Atomkraft? Bundesumweltministerin Steffi Lemke bezeichnet die Reserve-Erhaltung der Kernenergie bis 15. April 2023 als "Zumutung". Am Ende stimmt die Basis für diese Zumutung.

Was aber bleibt von der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen? Ein Überblick:

Streit? Lieber nicht zu viel!

Man sollte meinen, bei einem dreitägigen Parteitag dürfte viel Raum für Debatten sein. Raum für Streit. Für Ärger. Für Stress. Und für Einigungen nach all dem. Wie man es eben aus Parteitagen der Grünen in den 90er Jahren kennt. 1999 warf die Grünen-Politikerin und Filmregisseurin Samira Fansa einen Farbbeutel auf den damaligen Außenminister Joschka Fischer.

Farbbeutelwurf auf Joschka Fischer.Video: YouTube/Einheitskanzler

Und jetzt, im Jahr 2022? Krisen häufen sich: Putin führt Krieg in Europa. Die Inflation steigt und steigt. Im Iran kämpfen junge Frauen um ihre Rechte und werden dafür gefoltert und getötet. Kriege und Aufstände. Klimakrise. Flucht. Mittelmeer. Grauen. Und Tod.

Und Entscheidungen, die dem grünen Mantra den Weg in die Bedeutungslosigkeit ebnen könnten.

Widerworte gibt es wenig. Im Atomstreit mit der FDP stärkt die Partei Habeck den Rücken. Einen begrenzten Weiterbetrieb zweier deutscher Atomkraftwerke bis zum 15. April – trotz eigentlich gesetztem Ausstieg zum 31. Dezember – genehmigt die Basis, der Beschaffung neuer Brennstäbe erteilt sie eine Absage.

Mit großer Mehrheit billigen die Delegierten einen Antrag zum sozialen Zusammenhalt in Zeiten der Inflation. Darin wird betont, dass das neue Bürgergeld und die Erhöhung der Leistungen der Grundsicherung zwar richtig, aber nicht ausreichend seien.

14.10.2022, Nordrhein-Westfalen, Bonn: Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, spricht beim Grünen-Bundesparteitag. Die Bundesdelegiertenkonferenz dauert  ...
Robert Habeck wirbt in seiner Rede für seine Entscheidung über den Reserve-Betrieb von zwei Atommeilern.Bild: dpa / Kay Nietfeld

Zwei starke Themen, bei denen Beobachter:innen gern über Streitigkeiten berichtet hätten. Doch die blieben größtenteils aus. Was ist da los? Sind die Grünen in der Regierungsverantwortung jetzt nicht mehr wild? Die Diskussionen seien konstruktiv gewesen, aber doch "mit sehr viel unterschiedlichen Perspektiven", erklärte Bundesgeschäftsführerin Emily Büning und wirkte fast enttäuscht. Als wolle sie sich für diese gesittete Partei entschuldigen. Verantwortung heißt das neue Zauberwort.

Farbbeutel werden zwar genannt, aber nicht geworfen.

Öffentlich zeigt sich die Partei geeint. Doch Urgrüne, wie etwa Karl-Wilhelm Koch sehen fast schon eine Inszenierung. In Wirklichkeit, so hört man in Gesprächen abseits des Plenums, ist man so gar nicht happy.

Der Saudi-Arabien-"Bullshit"

Gar nicht happy ist man beim Thema Saudi-Arabien dann allerdings auch öffentlich. Erst kürzlich hatten Baerbock und Habeck indirekte Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien genehmigt. In ein Land, das am Krieg im Jemen beteiligt ist und Menschenrechtsverletzungen auch am eigenen Volk begeht. Ein Land, dessen Kronprinz den Mord an dem regierungskritischen Journalisten Jamal Khashoggi beauftragt hat.

Baerbock versuchte, die Basis mit dem Einhalten von Verträgen zu besänftigen.

Sie sprach von "Dilemmata" europäischer Rüstungsexporte. Man habe sich mit der Entscheidung, Waffen in das Land zu schicken, schwergetan. Da gebe es aber eben leider diesen europäischen Vertrag, den die Vorgängerregierung unterschrieben hat. "Wir können nicht sagen: 'Schwups, dieser Altvertrag ist weggezaubert, den gibt es jetzt nicht mehr'", sagte Baerbock. Für Verwirrung sorgte sie dann mit dem Satz: "Es gibt keine Waffenlieferungen aus Deutschland nach Saudi-Arabien." Wenn man es genau nimmt, ist es aber das, was kommen wird – nur nicht im Alleingang, sondern im Verbund mit europäischen Partnern.

15.10.2022, Bonn: Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Außenministerin, spricht beim Bundesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen zu den Delegierten. Die Bundesdelegiertenkonferenz dauert bis zum 1 ...
Annalena Baerbock verteidigte in ihrer Rede am Samstag ihren Kurs beim Thema Saudi-Arabien.Bild: dpa / Kay Nietfeld

Jenny Laube hatte danach das Wort. "Liebe Annalena, weitere Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien – dafür gibt es keine Notwendigkeit. Und wenn jemand sagt 'vertragliche Verpflichtungen', dann sage ich: Bullshit!" Kein Vertrag stehe über der deutschen Verfassung oder eben der Verpflichtung zur Achtung des Völkerrechts.

Die Grünen forderten letztlich nicht den Widerruf dieser Exportentscheidung. Auch wenn sie sich grundsätzlich gegen eine Waffenlieferung nach Saudi-Arabien aussprachen.

Iran: Emotionen-Overload

Entgegen dem vorherigen Plan setzten sie Grünen einen eigenen Programmpunkt für die iranischen Proteste auf die Agenda.

Dazu konnten sie die Schauspielerin Pegah Ferydoni gewinnen. In einer emotionalen Darbietung las sie den Text von "Baraye" – dem Lied von dem iranischen Künstler Shervin Hajipour auf Deutsch vor. Immer wieder stockte sie. Rang nach Fassung. Hinter ihr standen Parteimitglieder, hielten Schilder mit dem Kampfspruch "Frauen. Leben. Freiheit."

Wirklich emotional wurde es aber abseits des Rampenlichts. Die Parteiprominenz – bestehend aus Annalena Baerbock, den Grünen-Chefi:innen Ricarda Lang und Omid Nouripour, Kulturstaatsministerin Claudia Roth, Fraktionschefin Britta Haßelmann, Familienministerin Lisa Paus und Vorstandsmitglied Pegah Edalatian – ging geschlossen von der Bühne. Scheinbar unbeobachtet tätschelte Claudia Roth der Schauspielerin Ferydoni die Schulter, sie begann sofort zu weinen. Weitere Parteimitglieder mit iranischem Hintergrund standen daneben. Menschen umarmten sich. Schluchzen. Tränen. Schultern streicheln. Erzählungen von Nachrichten, die die Frauen aus dem Iran schrieben. Auch Ricarda Lang konnte die Tränen nicht unterdrücken.

Kampf um Lützerath

Am Sonntag wurde dann doch noch gestritten. Ricarda Lang nahm das zum Anlass, um ihrem Ärger über Journalist:innen freien Lauf zu lassen, die der Partei zu wenig Reibung vorwerfen.

Doch auch hier: Wieder stellte man sich hinter den Vorstand. Wenn auch nur knapp.

Die Grünen haben sich zum Abschluss ihres Parteitags mit knapper Mehrheit für den von Habeck und RWE vereinbarten Kohle-Deal ausgesprochen. Nach mehreren Stunden Debatte stimmten die Delegierten gegen einen Antrag der Grünen Jugend, der ein Moratorium für den Ort Lützerath zum Ziel hatte.

16.10.2022, Nordrhein-Westfalen, Bonn: Luisa Neubauer, Klimaschutzaktivistin und Organisatorin von Fridays for Future, spricht beim Grünen-Bundesparteitag. Thema ist die «Klimakrise als Menschheitsauf ...
Luisa Neubauer ist ebenfalls Mitglied der Grünen.Bild: dpa / Kay Nietfeld

Mit ihrem Votum billigten die Delegierten den längeren Betrieb zweier rheinischer Kohlekraftwerke, mit der auch die Abbaggerung des Ortes Lützerath verbunden ist. Im Gegenzug wird der Kohleausstieg für das Rheinische Braunkohlerevier von 2038 auf 2030 vorgezogen.

Die Grüne Jugend wirft Habeck vor, die durch den vorgezogenen Kohleausstieg zu erreichende CO2-Einsparung zu hoch anzusetzen. Sprecher Timon Dzienus warnte davor, "dass wir den Schulterschluss mit der Klimabewegung verlieren".

16.10.2022, Nordrhein-Westfalen, Bonn: Timon Dzienus, Bundessprecher der Grünen Jugend, spricht beim Grünen-Bundesparteitag. Thema ist die «Klimakrise als Menschheitsaufgabe: für Klimaschutz, für Frei ...
Timon Dzienus während seiner Rede auf der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen.Bild: dpa / Kay Nietfeld

Auch die Klimaaktivistin Luisa Neubauer von Fridays for Future warb vor den Delegierten für ein Moratorium für Lützerath. Die in der Vereinbarung mit RWE vorgesehene Abbaggerung des Ortes sei "realer Bruch des Pariser Klimaabkommens", sagte sie.

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir verwies auf die vielen Orte, die durch die Vereinbarung mit RWE nicht abgebaggert würden. Es sei auch ein Erfolg, "dass die Bauern dort ihr Land nicht verlieren".

(Mit Material von dpa und AFP)

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