Noch bevor die schwarz-rote Koalition ihre Arbeit aufnehmen konnte, lastete auf ihr die Hypothek der Vergangenheit. Zu präsent waren die bleiernen Groko-Jahre unter Kanzlerin Angela Merkel, voller politischer Trippelschritte und Minimalkonsens. Ein echter Aufbruch, eine Wende, so die Befürchtung vieler, könne man nicht erwarten.
Dann kam der Koalitionsvertrag. Nach knapp drei Wochen mühsamen Verhandelns haben sich CDU/CSU und SPD auf ein Papier zur Grundlage ihrer Zusammenarbeit einigen können – und die Befürchtungen vieler waren schwarz auf weiß abzulesen.
Zentrale Zukunftsfragen seien "unzureichend adressiert", meinte Marcel Fratzscher, Präsident vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, der Status quo werde "weitgehend" beibehalten. Der "Spiegel" schrieb von der "Muss-ja-Koalition": keine Aufbruchstimmung, viele Kompromisse. Dafür: "Verantwortung für Deutschland". So lautet der Titel des Koalitionsvertrags.
Dass es so schwierig war, überhaupt nur den Anschein von Progressivität zu erwecken, liegt laut SPD-Chefin Saskia Esken am Koalitionspartner. Das Wort "queer" etwa steht auf den 144 Seiten Koalitionsvertrag zweimal – und es sei "ein Kampf" gewesen, dass es dort überhaupt steht, wie Esken im Interview mit der "Frankfurter Rundschau" sagt.
"Für einige Konservative ist es eines von zahlreichen 'woken' Trigger-Wörtern, die sie hart bekämpfen", führt Esken weiter aus. "Das zeigt mir: Wir befinden uns mitten in einem Kulturkampf, der uns in voraufklärerische Zeiten zurückführen will – in den USA sehen wir das Vorbild dazu."
Konkret steht im Hinblick auf Queerpolitik, dass sich die Regierung "weiterhin" verpflichte, "queeres Leben vor Diskriminierung zu schützen". Es müsse für alle Menschen, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung selbstverständlich sein, gleichberechtigt, diskriminierungs- und gewaltfrei leben zu können.
Dazu wolle man mit "entsprechenden Maßnahmen" das Bewusstsein schaffen, sensibilisieren und den Zusammenhalt und das Miteinander stärken.
Außerdem, so heißt es in einem anderen Punkt, habe man sich darauf verständig, medizinische Vorsorge, Behandlung und Forschung geschlechts- und diversitätssensibel auszugestalten, das beinhalte auch queere Menschen.
Interessant ist die recht deutliche Kritik von Saskia Esken auch deshalb, weil es eines der großen und offen verkündeten Ziele der voraussichtlich künftigen Koalition ist, den öffentlichen Kampf der Ampel-Regierung hinter sich zu lassen und Einigkeit zu demonstrieren.
Womöglich bleibt dieser Vorsatz beim frommen Versuch. Bereits jetzt, die Koalition ist noch nicht einmal im Amt, tun sich etliche Konfliktpunkte auf.