Zu wenig Emotion lautet der Vorwurf, mit dem sich Kanzler Olaf Scholz (SPD) immer wieder konfrontiert sieht. Scholz-o-mat ist ein Spitzname, der von vielen immer wieder verwendet wird, um das hanseatisch-zurückhaltende Auftreten des Kanzlers zu beschreiben. Zu wenig Positionierung, zu selten ein hartes Eingreifen, wenn es um neue Streitereien zwischen den Koalitionspartnerinnen Grüne und FDP geht.
Auf dem Europafest der SPD hat Scholz aber gezeigt: Er kann auch emotional. Und das kommt nicht nur bei seinen Genossen gut an – Zuspruch gibt es sogar von der politischen Konkurrenz.
"Wie er sich hier den Putin-Freunden entgegenstellt, ist stark!", schreibt CDU-Politiker Tilman Kuban zum Ausraster des Kanzlers auf Twitter. Und er dankt ihm dafür. Ungewöhnliche Worte, kritisiert die Union Scholz doch immer wieder wegen mangelnder Haltung und zu langsamen Vorgehen bei der Unterstützung der Ukraine.
Was ist passiert, dass der Journalist Theo Koll Scholz plötzlich aus dem Scholz-o-mat ein Scholz-o-sauer kreiert?
Scholz hat sich auf dem Europafest seiner Partei in Falkensee vehement gegen Störer:innen verteidigt. Denn bei diesem Fest ist eine Gruppe aufgetaucht, die Scholz unter anderem lautstark als "Kriegstreiber" bezeichnete und "Frieden schaffen ohne Waffen" proklamierte. Gespickt wurde der Sprechchor von Forderungen wie "Hau ab!" oder "Wir sind das Volk!".
Und Scholz? Dem ging diese Kritik offensichtlich nahe. Mit beiden Händen umschloss er das Mikrofon und schrie: "Liebe Schreihälse! Kriegstreiber ist Putin. Er ist mit 200.000 Soldaten in die Ukraine einmarschiert, er hat noch viele mehr mobilisiert, er hat das Leben seiner eigenen Bürger riskiert für einen imperialistischen Traum."
Putin sei "der Kriegstreiber", "der hier von euch ausgeschrien wird, wenn ihr irgendeinen Verstand in euren Hirnen hättet." Denn Putin sei es, der zahlreiche Waffen zusammengetragen hätte, um die Ukraine anzugreifen. Von "Frieden schaffen ohne Waffen" könne also keine Rede sein.
Scholz verdeutlichte: Eine Alternative zur Unterstützung der Ukraine – auch mit Waffen – gibt es aus seiner Sicht nicht. Er rief: "Ja, das ist notwendig, wenn ein Land angegriffen wird, dann muss es sich, dann darf es sich verteidigen, was denn sonst?" Putin wolle die Ukraine zerstören, habe viele Bürger:innen getötet. "Das ist Mord", stellte Scholz klar.
Der Ausbruch des Kanzlers imponiert einigen. So lobt beispielsweise Mattia Nelles, der lange für das Zentrum Liberale Moderne zur Ukraine geforscht hat, auf Twitter: "Was eine gute Antwort auf die 'Friedens'-Rufe."
Auch der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter zeigt sich von Scholz' Kampfansage begeistert. Er schreibt: "Diejenigen, die Verschleppung von zehntausenden Kindern, Folter, Mord und Vergewaltigungen in den russisch besetzten Gebieten leugnen, haben eine klare Antwort verdient, wie [Paul] Ronzheimer richtig schrieb. Der Kanzler hat sie gegeben, top!"
Der Twitter-Account Demoguardian ruft kurzerhand sogar den "Scholzmonat" aus. "Er kann ja doch Kanzler", schreiben die Verfasser:innen des Tweets. "Bravo, so handelt ein Kanzler. Den Aggressor beim Namen nennen! Und sich nicht von ein paar organisierten Schreihälsen, die sich anmaßen, stellvertretend für 'das Volk' zu grölen, beirren lassen", kommentieren sie außerdem unter einem Tweet des ZDF.
Es macht den Eindruck, als würden einige gerne öfter einen emotionalen Scholz der klaren und deutlichen Worte sehen. Natürlich hagelt es aber auch Kritik, gerade von jenen, die sich selbst wohl als Teil der Friedensbewegung bezeichnen würden. Gerade die Aussage, die Störer:innen hätten keinen Verstand im Hirn stieß einigen wohl sauer auf.