Die Trennung Sahra Wagenknechts von ihrer ehemaligen Partei, Die Linke, ist endgültig abgeschlossen. Formal geschah dies bereits im vergangenen Jahr. Nun verbindet Wagenknecht jedoch kaum jemand mehr mit der Linkspartei. Stattdessen ist das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in aller Munde.
Nach der Gründung eines Vereins, einer Bundestagsgruppe und dann der Partei, folgte die Aufstellung einer Kandidat:innenliste und Verabschiedung eines Europawahlprogramms. Anschließend absolvierte das BSW Ende Mai einen Mini-Test bei den Thüringer Kommunalwahlen.
Nun tritt das Bündnis Sahra Wagenknecht zu seiner ersten großen Probe an: der Europawahl. Welche Ziele verfolgt die Partei dabei? Und wer tritt für sie an? Die wichtigsten Fragen und Antworten findet ihr hier.
Das BSW setzt bei der Europawahl 2024 auf eine Mischung aus eher rechten und eher linken Themen. Generell visiert die Wagenknecht-Partei eine Machtverlagerung an: Die Europäische Union soll ein Stück weit an Kompetenzen abgeben, die nationalen Parlamente und Regierungen hinzugewinnen:
Das BSW plädiert zudem einerseits für eine Stärkung der Wirtschaft, will andererseits die Macht globaler Konzerne begrenzen – und dezentrale, kleine und mittlere Unternehmen unterstützen.
Zudem will die Wagenknecht-Partei eine "soziale Fortschrittsklausel" in den EU-Verträgen verankern. Sie soll "den Vorrang der sozialen Grundrechte vor den Binnenmarktfreiheiten (Waren, Arbeitskräfte, Dienstleistungen und Kapital)" festschreiben.
Irreguläre Migration will die Partei stoppen, Flucht- und Migrationsursachen begrenzen. Auch das Anwerben ausländischer Fachkräfte will das BSW einstellen:
Um es konkret zu sagen: Die Partei will quasi keinerlei Migrant:innen nach Deutschland lassen.
Zentrale EU-Projekte zum Klimaschutz – den "Green New Deal", die europäische CO₂-Bepreisung, das Aus neuer Verbrennerautos sowie den Emissionshandel – will das BSW abschaffen. Sie seien keine wirksamen Instrumente für den Klimaschutz.
Stattdessen brauche es Förderungen für Innovationen, einen Ausbau des europäischen Bahnnetzes sowie der Wasserstoffwirtschaft.
Das wohl kontroverseste Thema im Wahlprogramm: die Sicherheits- und Friedenspolitik und der Umgang mit Russlands Krieg in der Ukraine. Wagenknechts Bündnis möchte, dass die EU ihre Waffenlieferungen an die Ukraine stoppt. Gleichzeitig sollen Sanktionen gegen Russland zurückgenommen werden:
Auf der Liste des BSW zur Europawahl zeigen sich nur wenige bekannte Gesichter. Sahra Wagenknecht selber tritt nicht zur Wahl an. Doch einige der Kandidat:innen sind ehemalige Weggefährt:innen von ihr und waren früher Mitglieder der Linken.
Zumindest sind die beiden Spitzenkandidaten zur EU-Wahl zwei in der Öffentlichkeit halbwegs bekannte Politiker. Auf Listenplatz zwei steht mit Thomas Geisel ein ehemaliger SPD-Politiker, der von 2014 bis 2020 Oberbürgermeister von Düsseldorf war. Davor war er Manager in der Energiewirtschaft. Zum BSW hat ihn unter anderem eine übereinstimmende Position zum Krieg in der Ukraine gebracht.
Auf Listenplatz eins der Wagenknecht-Partei steht Fabio De Masi. Er saß für die Linke von 2014 bis 2017 im Europäischen Parlament und von 2017 bis 2021 im Bundestag – und gilt als einer der fachkundigsten Wirtschafts- und Finanzpolitiker Deutschlands.
De Masi möchte für das BSW im Europäischen Parlament gegen ausufernden Lobbyismus und das Steuerdumping großer Konzerne vorgehen.
Wagenknechts Abspaltung von der Linken 2023 und ihre Gründung des BSW Anfang 2024 waren begleitet von Vorwürfen, die auch noch Monate später nachhallen: dass die Partei eine One-Woman-Show ist. Ein Projekt einer in der Gruppenarbeit gescheiterten Einzelkämpferin.
Allein der Name der Partei sei entlarvend für ihre Inhalte. Das Bündnis Sahra Wagenknecht, kritisieren viele, werde eine programmatische Projektionsfläche wie ihre Namensgeberin.
Wagenknecht vereine den Zuspruch der Wähler:innen von ganz rechts bis ganz links auf sich, weil sie gegen "die da oben" agitiere. Und weil sie ein gutes Gefühl dafür besitze, welche Themen die Menschen der Republik je nach Zeitpunkt auf die Straße treiben.
Wagenknecht sei eine Populistin, das BSW eine populistische Partei. Tatsächlich zeigte eine Studie der Universität Hohenheim zuletzt, dass das BSW den höchsten Anteil an populistischen Äußerungen aller Wahlprogramme zur Europawahl aufweise.
Ob das Bündnis Sahra Wagenknecht damit bei der Wahl am 9. Juni Erfolg hat, wird sich zeigen. Die Umfragen sind bisher in Anbetracht der erst kürzlich vollzogenen Gründung vielversprechend. Wagenknecht, De Masi, Geisel und Co. dürfen mit einem Ergebnis zwischen 4 und 7 Prozent rechnen.