Triggerwarnung: In diesem Text werden Gewalt und Bedrohung explizit genannt.
Waffen, Drohungen, beängstigende Anspielungen: Als der Attentäter von Hanau 2018 einer Sexarbeiterin Todesangst bereitete, soll die dortige Polizei Hinweisen nicht richtig nachgegangen sein. Das berichtet die "Frankfurter Rundschau". Auch der Umgang mit der Frau wirft Fragen auf, wie aus Ermittlungsakten, die die FR ausgewertet hat, hervorgeht.
Demnach äußerte die Frau in einer Vernehmung durch das Bundeskriminalamt (BKA) im September 2021 schwere Vorwürfe. So habe ihr einer der damals verständigten Polizeibeamten sinngemäß gesagt: "Ja, sollen wir denn das ganze Haus nach Waffen absuchen?" Zuvor habe sie sich durch den Mann in einer Ferienwohnung in Bayern deutlich bedroht gefühlt. Außerdem habe er ihr ein Gewehr und andere gefährliche "Instrumente" gezeigt sowie alarmierende Dinge gesagt.
Öffentlich geworden ist der Vorfall kürzlich im Untersuchungsausschuss des Landtags. Ein BKA-Hauptkommissar sagte dort aus. Demnach soll der Hanauer Attentäter der Sexarbeiterin auch BDSM-Utensilien und ein Drehbuch präsentiert haben.
In den Akten offenbaren sich laut FR erschreckende Details: Laut den Schilderungen der Frau habe der spätere Attentäter an jenem Tag eine Kamera eingeschaltet und die Beschäftigte des Escort-Services aufgefordert zu tanzen, "als wäre es das letzte Mal". Dabei machte er nach Angaben der Frau Anspielungen auf einen Horrorfilm, an dessen Ende eine Frauenleiche gefunden wird. Außerdem soll er gesagt haben, es wäre nicht schlimm, wenn sie irgendwann einmal vermisst werden würde – weil er dann weg wäre.
Sie bezeichnete den Mann in ihren Schilderungen als "Psychopathen".
Sie habe Panik und Todesangst in der Nähe des späteren Attentäters gehabt. Deshalb bat sie einen Bekannten diskret per Handy, die Polizei zu alarmieren. Kurz darauf kam die Polizei. Diese sorgte dafür, dass die Frau gehen konnte. Sichergestellt wurden jedoch nur Reste eines Joints. Nach Waffen gesucht worden sei nicht. So wurde gegen den späteren Attentäter also nicht wegen Bedrohung ermittelt, sondern nur wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz.
Die Frau kritisiert dieses Vorgehen scharf: Insgesamt sei es bei dem Einsatz und den späteren Ermittlungen vor allem darum gegangen, ob sie auf rechtmäßige Art und Weise der Prostitution nachgehe. Ihre Aussagen über den späteren Hanau-Attentäter haben demnach kaum eine Rolle gespielt. Zudem sei vonseiten der Polizei mehrfach gesagt worden, dass bestimmte sexuelle Vorlieben nicht verboten seien. Sie habe den Eindruck gehabt, dass ihre Glaubwürdigkeit nicht als hoch eingestuft wurde, so die Zeugin.
Am Abend des 19. Februar 2020 – etwa zwei Jahre nach dem Vorfall, den die Sexarbeiterin schilderte – tötete der 43-Jährige an sechs verschiedenen Tatorten in Hanau neun junge Menschen: Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtovic, Vili Viorel Paun, Fatih Saraçoglu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov. Dann tötete er seine Mutter und sich selbst. Zuvor hatte der Attentäter Pamphlete und Videos mit Verschwörungstheorien und rassistischen Ansichten im Internet veröffentlicht.
Der Untersuchungsausschuss des Landtags soll nun klären, welche Fehler hessische Behörden in Zusammenhang mit dem Attentat gemacht haben. In der nächsten Sitzung am 25. April werden Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky, Susanne Simmler (beide SPD), Vize-Landrätin des Main-Kinzig-Kreises, und eine Mitarbeiterin der Stadt Hanau vernommen.
(ast)