Freude nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses: Frank-Walter Steinmeier wird von seiner Frau Elke Büdenbender umarmt.Bild: dpa / Kay Nietfeld
Deutschland
Mehr als 1400 Menschen aus Politik und Gesellschaft haben in Berlin einen neuen Bundespräsidenten gewählt. Jetzt ist klar: Der alte ist auch der neue Präsident. In seiner Rede nach der Wahl sprach Steinmeier vor allem über die Stärke der Demokratie – in mehrerer Hinsicht
13.02.2022, 14:4425.02.2022, 15:47
Frank-Walter Steinmeier ist für eine zweite Amstzeit als Bundespräsident wiedergewählt worden. Die Bundesversammlung in Berlin wählte ihn am Sonntag mit 1045 von 1437 Stimmen. 737 Stimmen wären für seine Wiederwahl nötig gewesen. Die Wiederwahl des Amtsinhabers galt als sicher. Er war von den
Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP sowie von der CDU/CSU-Opposition
nominiert worden. Zusammen hatten sie in der Bundesversammlung eine breite
Mehrheit. Der 66-Jährige ist erst der fünfte Bundespräsident, der für
eine zweite Amtszeit antrat.
"Frau Bundestagspräsidentin, ja, ich nehme die Wahl an", sagte der alte und neue Bundespräsident auf die entsprechende Frage der Bundestagspräsidenten nach Verkündigung des Wahlergebnisses. "Ich spreche Ihnen die herzlichsten Glückwünsche aus", sagte Bärbel Bas.
Steinmeier: "Wer die Demokratie angreift, hat mich als Gegner"
"Das Amt des Bundespräsidenten ist ein überparteiliches, ich verspreche Ihnen, ich werde es weiterführen", sagte Steinmeier in seiner Rede. Überparteilich ja, aber: "Ich bin nicht neutral, wenn es um die Demokratie geht", betonte er zugleich. Wer für die Demokratie streite, habe ihn auf seiner Seite, wer sie hingegen angreife, aber ihn als Gegner.
Steinmeiers Rede nach der Wahl wurde von Beobachtern als vielleicht die "stärkste seiner bisherigen Amtszeit" gewertet.Bild: dpa / Bernd Von Jutrczenka
Steinmeier ging dann sofort auf die Situation der Ukraine ein: "Wir sind inmitten der Gefahr eines militärischen Konflikts, eines Krieges in Ost-Europa, und dafür trägt Russland die Verantwortung", sagte er deutlich. Einen Truppenaufmarsch könne man nicht missverstehen, dass sei eine Drohung, "und die solle es ja auch sein", sagte Steinmeier mit Blick auf die aktuelle Eskalation der Ukraine-Krise. "Ohne jede Zweideutigkeit bekennen wir uns zu den Verpflichtungen in diesem Bündnis", betonte Steinmeier über die Nato und deren Rolle gegenüber der Ukraine.
Steinmeier appelliert an Putin: "Unterschätzen Sie nicht die Stärke der Demokratie"
An Putin gerichtet sagte der Bundespräsident: "Unterschätzen Sie nicht die Stärke der Demokratie". Ihre Kraft sei nicht mit Unterdrückung und Drohung gekauft, sie habe den Menschen mehr zu bieten als Ideen von nationaler Größe und Herrschaft über andere. "Lösen Sie die Schlinge um den Hals der Ukraine. Suchen Sie mit uns einen Weg, der Frieden in Europa bewahrt."
Bundespräsident will "Brücken bauen", um Gegensätze zu überwinden
Auch auf die Konflikte innerhalb Deutschlands ging Steinmeier ein. Die vergangenen beiden Jahre seien hart gewesen, sagte er, viele hätten gelitten und seien nun Pandemie-müde. Dafür äußerte er Verständnis. Auch für Unzufriedenheit mit Entscheidungen der Politik. Er scheue keine Konfrontation, sagte er, aber: "Es gibt eine rote Linie, und die verläuft bei Hass und Gewalt", betonte der Bundespräsident. Er befürchte, die Gegner der Demokratie würden sich nach der Pandemie neue Themen suchen, um "mit der Angst der Menschen ihr politisches Geschäft zu betreiben".
Steinmeier zählte auf, welche Gegensätze es in Deutschland gebe, solche zwischen Stadt und Land, Arm und Reich, Jung und Alt. Dazu sagte er: "Wir brauchen Brücken in Richtung Zukunft, die breit und stark genug sind, dass wirklich alle darüber gehen können". Er versprach, auf eine Reise zu gehen durch das Land, beginnen wollte er am 18. März.
"Nichts leuchtet heller als die Idee der Demokratie in den Herzen und Köpfen der Menschen."
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach seiner Wiederwahl
Gegen Steinmeier hatten für die Linke der Mediziner Gerhard Trabert
(65) und für die AfD der Ökonom Max Otte (57), der Mitglied der CDU
ist. Außerdem haben die Freien Wähler die Physikerin Stefanie Gebauer
(41) ins Rennen geschickt. Trabert erhielt 96 Stimmen und Gebauer 58 – mehr, als angesichts der Fraktionsstärken zu erwarten war. Otte hingegen bekam weniger, nämlich 140.
Steinmeier dankte Gebauer und besonders Gerhard Trabert für ihre Kandidatur. Trabert habe damit besonders auf das Thema Armut in Deutschland aufmerksam gemacht – der Arzt setzt sich besonders für Obdachlose ein. Steinmeier versprach, sich auch um dieses Thema zu kümmern.
Elke Büdenbender und Frank-Walter Steinmeier bei der Ankunft zur Wahl am Sonntag.Bild: dpa / Fabian Sommer
Bas hatte schon zuvor von Polarisierung im Land gesprochen
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) hatte die Sitzung am
Sonntagmittag im Paul-Löbe-Haus eröffnet. Sie rief Bürger und Politiker auf,
auch unter den erschwerten Bedingungen der Corona-Pandemie und
anderer schwelender Krisen mutig zu sein und nicht die Nerven zu
verlieren. "Jede Zeit stellt neue Aufgaben. Mit jedem Schritt
vorwärts sind Risiken verbunden", sagte sie und forderte: "Trauen wir
uns dennoch Veränderung und Fortschritt zu!"
Auch Bas beschrieb die polarisierte Stimmung im Land: "Scheinbar
unversöhnlich stehen Menschen sich gegenüber, die unterschiedliche
Einstellungen haben. Die Stimmung im Land, in Familien und
Freundeskreisen leidet darunter. Dagegen hilft kein Impfstoff", sagte
sie. Deshalb seien Mut, Zuversicht und ein respektvoller Ton im
Umgang mit Andersdenkenden jetzt so wichtig. "Die Mehrheit hat nicht
automatisch Recht – die Minderheit aber auch nicht", sagte sie. Alle
müssten sich bewegen und aufeinander zugehen.
Sport, Kultur und Politik: Leon Goretzka (links) trifft in Berlin am Sonntag auf Schauspieler Eugene Boateng (2.v.r.) und den SPD-Co-Vorsitzenden Lars Klingbeil. Bild: imago images / Political-Moments
Wahl wegen Corona erstmals nicht im Reichstagsgebäude
Die Abgeordneten unter den Anwesenden rief Bas auf, den Bürgerinnen
und Bürgern noch mehr zuhören. Denn das könne die Debatte in der
parlamentarischen Demokratie nur bereichern.
Zur Wahl des Bundespräsidenten versammelten sich die Delegierten
wegen der Corona-Pandemie dieses Mal nicht im Plenarsaal des
Reichstagsgebäudes, sondern im benachbarten Paul-Löbe-Haus, wo auf
fünf Stockwerken mit zahlreichen Sitzungssälen mehr Platz ist.
Mit dabei: Merkel, Drosten, Goretzka
Die Bundesversammlung ist das größte parlamentarische Gremium in
Deutschland. Seine einzige Aufgabe ist die Wahl des Staatsoberhaupts
alle fünf Jahre. Sie setzt sich zusammen aus den Abgeordneten des
Deutschen Bundestags und einer gleich großen Zahl von Mitgliedern,
die die 16 Landtage entsenden. Da der Bundestag derzeit 736
Abgeordnete zählt, besteht die Bundesversammlung aus 1472 Wahlfrauen
und -männern: so viele wie nie zuvor.
Auch Ex-Kanzlerin Angela Merkel gehörte zu den Delegierten, die vor
Beginn der Wahl großen Applaus bekam. Auf der Liste standen zudem
Prominente wie Bundestrainer Hansi Flick, Fußballer Leon Goretzka
oder Musiker Roland Kaiser, aber in diesem Jahr auch etwa
Wissenschaftler wie Astronaut Alexander Gerst, Virologe Christian
Drosten und die Biontech-Mitgründerin und Impfstoff-Entwicklerin
Özlem Türeci.
Lady Bitch Ray unterhält sich mit Bundeskanzler Olaf Scholz (hinten) und dem früheren Bundesaußenminister Heiko Maas (beide SPD).Bild: dpa / Bernd Von Jutrczenka
Mit einem ungewöhnlichen Outfit und einer Tasche mit politischer Botschaft kam die feministische Rapperin Lady Bitch Ray zur Wahl: Die Künstlerin und Wissenschaftlerin, die mit bürgerlichem Namen Reyhan Sahin heißt, trug einen weißen Schleier, Kleid und Overknee-Stiefel sowie eine blaue Tasche auf der "Nazis Raus" und "no AfD" standen.
(andi/dpa)