Frank-Walter Steinmeier ist für eine zweite Amstzeit als Bundespräsident wiedergewählt worden. Die Bundesversammlung in Berlin wählte ihn am Sonntag mit 1045 von 1437 Stimmen. 737 Stimmen wären für seine Wiederwahl nötig gewesen. Die Wiederwahl des Amtsinhabers galt als sicher. Er war von den Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP sowie von der CDU/CSU-Opposition nominiert worden. Zusammen hatten sie in der Bundesversammlung eine breite Mehrheit. Der 66-Jährige ist erst der fünfte Bundespräsident, der für eine zweite Amtszeit antrat.
"Frau Bundestagspräsidentin, ja, ich nehme die Wahl an", sagte der alte und neue Bundespräsident auf die entsprechende Frage der Bundestagspräsidenten nach Verkündigung des Wahlergebnisses. "Ich spreche Ihnen die herzlichsten Glückwünsche aus", sagte Bärbel Bas.
"Das Amt des Bundespräsidenten ist ein überparteiliches, ich verspreche Ihnen, ich werde es weiterführen", sagte Steinmeier in seiner Rede. Überparteilich ja, aber: "Ich bin nicht neutral, wenn es um die Demokratie geht", betonte er zugleich. Wer für die Demokratie streite, habe ihn auf seiner Seite, wer sie hingegen angreife, aber ihn als Gegner.
Steinmeier ging dann sofort auf die Situation der Ukraine ein: "Wir sind inmitten der Gefahr eines militärischen Konflikts, eines Krieges in Ost-Europa, und dafür trägt Russland die Verantwortung", sagte er deutlich. Einen Truppenaufmarsch könne man nicht missverstehen, dass sei eine Drohung, "und die solle es ja auch sein", sagte Steinmeier mit Blick auf die aktuelle Eskalation der Ukraine-Krise. "Ohne jede Zweideutigkeit bekennen wir uns zu den Verpflichtungen in diesem Bündnis", betonte Steinmeier über die Nato und deren Rolle gegenüber der Ukraine.
An Putin gerichtet sagte der Bundespräsident: "Unterschätzen Sie nicht die Stärke der Demokratie". Ihre Kraft sei nicht mit Unterdrückung und Drohung gekauft, sie habe den Menschen mehr zu bieten als Ideen von nationaler Größe und Herrschaft über andere. "Lösen Sie die Schlinge um den Hals der Ukraine. Suchen Sie mit uns einen Weg, der Frieden in Europa bewahrt."
Auch auf die Konflikte innerhalb Deutschlands ging Steinmeier ein. Die vergangenen beiden Jahre seien hart gewesen, sagte er, viele hätten gelitten und seien nun Pandemie-müde. Dafür äußerte er Verständnis. Auch für Unzufriedenheit mit Entscheidungen der Politik. Er scheue keine Konfrontation, sagte er, aber: "Es gibt eine rote Linie, und die verläuft bei Hass und Gewalt", betonte der Bundespräsident. Er befürchte, die Gegner der Demokratie würden sich nach der Pandemie neue Themen suchen, um "mit der Angst der Menschen ihr politisches Geschäft zu betreiben".
Steinmeier zählte auf, welche Gegensätze es in Deutschland gebe, solche zwischen Stadt und Land, Arm und Reich, Jung und Alt. Dazu sagte er: "Wir brauchen Brücken in Richtung Zukunft, die breit und stark genug sind, dass wirklich alle darüber gehen können". Er versprach, auf eine Reise zu gehen durch das Land, beginnen wollte er am 18. März.
Gegen Steinmeier hatten für die Linke der Mediziner Gerhard Trabert (65) und für die AfD der Ökonom Max Otte (57), der Mitglied der CDU ist. Außerdem haben die Freien Wähler die Physikerin Stefanie Gebauer (41) ins Rennen geschickt. Trabert erhielt 96 Stimmen und Gebauer 58 – mehr, als angesichts der Fraktionsstärken zu erwarten war. Otte hingegen bekam weniger, nämlich 140.
Steinmeier dankte Gebauer und besonders Gerhard Trabert für ihre Kandidatur. Trabert habe damit besonders auf das Thema Armut in Deutschland aufmerksam gemacht – der Arzt setzt sich besonders für Obdachlose ein. Steinmeier versprach, sich auch um dieses Thema zu kümmern.
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) hatte die Sitzung am Sonntagmittag im Paul-Löbe-Haus eröffnet. Sie rief Bürger und Politiker auf, auch unter den erschwerten Bedingungen der Corona-Pandemie und anderer schwelender Krisen mutig zu sein und nicht die Nerven zu verlieren. "Jede Zeit stellt neue Aufgaben. Mit jedem Schritt vorwärts sind Risiken verbunden", sagte sie und forderte: "Trauen wir uns dennoch Veränderung und Fortschritt zu!"
Auch Bas beschrieb die polarisierte Stimmung im Land: "Scheinbar unversöhnlich stehen Menschen sich gegenüber, die unterschiedliche Einstellungen haben. Die Stimmung im Land, in Familien und Freundeskreisen leidet darunter. Dagegen hilft kein Impfstoff", sagte sie. Deshalb seien Mut, Zuversicht und ein respektvoller Ton im Umgang mit Andersdenkenden jetzt so wichtig. "Die Mehrheit hat nicht automatisch Recht – die Minderheit aber auch nicht", sagte sie. Alle müssten sich bewegen und aufeinander zugehen.
Die Abgeordneten unter den Anwesenden rief Bas auf, den Bürgerinnen und Bürgern noch mehr zuhören. Denn das könne die Debatte in der parlamentarischen Demokratie nur bereichern.
Zur Wahl des Bundespräsidenten versammelten sich die Delegierten wegen der Corona-Pandemie dieses Mal nicht im Plenarsaal des Reichstagsgebäudes, sondern im benachbarten Paul-Löbe-Haus, wo auf fünf Stockwerken mit zahlreichen Sitzungssälen mehr Platz ist.
Die Bundesversammlung ist das größte parlamentarische Gremium in Deutschland. Seine einzige Aufgabe ist die Wahl des Staatsoberhaupts alle fünf Jahre. Sie setzt sich zusammen aus den Abgeordneten des Deutschen Bundestags und einer gleich großen Zahl von Mitgliedern, die die 16 Landtage entsenden. Da der Bundestag derzeit 736 Abgeordnete zählt, besteht die Bundesversammlung aus 1472 Wahlfrauen und -männern: so viele wie nie zuvor.
Auch Ex-Kanzlerin Angela Merkel gehörte zu den Delegierten, die vor Beginn der Wahl großen Applaus bekam. Auf der Liste standen zudem Prominente wie Bundestrainer Hansi Flick, Fußballer Leon Goretzka oder Musiker Roland Kaiser, aber in diesem Jahr auch etwa Wissenschaftler wie Astronaut Alexander Gerst, Virologe Christian Drosten und die Biontech-Mitgründerin und Impfstoff-Entwicklerin Özlem Türeci.
Mit einem ungewöhnlichen Outfit und einer Tasche mit politischer Botschaft kam die feministische Rapperin Lady Bitch Ray zur Wahl: Die Künstlerin und Wissenschaftlerin, die mit bürgerlichem Namen Reyhan Sahin heißt, trug einen weißen Schleier, Kleid und Overknee-Stiefel sowie eine blaue Tasche auf der "Nazis Raus" und "no AfD" standen.
(andi/dpa)