"Die verfassungsmäßige Ordnung Deutschlands ist fast täglich Angriffen ausgesetzt." So bilanzierte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) am Dienstag die Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2024. Im Bericht wird vor einer Vielzahl von verschiedenen Gefahren für die öffentliche Sicherheit in Deutschland gewarnt.
In vielen Bereichen ist demnach die Anzahl an Extremist:innen 2024 deutlich gestiegen, das gilt sowohl für den Rechtsextremismus als auch für den Linksextremismus und den Islamismus.
Dennoch offenbart ein Blick auf die Zahlen, dass eine der genannten Gefahren die anderen doch deutlich überstrahlt – oder, Herr Dobrindt?
Die Rede ist natürlich vom Rechtsextremismus. Laut dem Bericht lag das sogenannte "Personenpotenzial" im Bereich Rechtsextremismus und rechtsextremistischer Terrorismus Ende 2024 bei 50.250 Menschen. Das sind knapp ein Viertel mehr als noch im Vorjahr mit 40.600.
Dobrindt sprach zwar von einer "erschreckenden Zahl". Dennoch verzichtete der CSU-Politiker laut der "tagesschau" darauf, im Vorwort des Berichts, das traditionell dem Innenminister überlassen wird, den Rechtsextremismus als größte Gefahr für die Demokratie in Deutschland zu benennen.
Vorgängerin Nancy Faeser (SPD) hatte das in den vergangenen Jahren getan, auch Dobrindts Parteikollege und Vorvorgänger Horst Seehofer.
Dabei ist der Bericht an der Stelle eigentlich deutlich. Linksextremist:innen werden 38.000 gezählt, nach etwa tausend weniger im Vorjahr. Bei der Anzahl an Personen im Bereich Islamismus und islamistischer Terrorismus verzeichnet der Bericht einen Anstieg auf 28.280 Menschen, im Vorjahr waren es 27.200.
In allen Bereichen waren damit Anstiege und hohe Zahlen zu verzeichnen. Dennoch ist keine der genannten Personenzahlen in Reichweite des rechtsextremistischen Bereichs.
Auch die Zahl der als gewaltorientiert geltenden Rechtsextremist:innen (um etwa 800 auf 15.300 gestiegen) liegt höher als die der gewaltorientierten Linksextremist:innen (unverändert bei 11.200) und Islamist:innen mit Gewaltpotenzial (9540).
Dennoch nannte Dobrindt die verschiedenen Gefahrenbereiche im Vorwort in einem Satz, ohne den Rechtsextremismus hervorzuheben: "Auch Anschläge, Gewalttaten und Bedrohungen durch Islamisten, Rechts- wie Linksextremisten bedrohen unsere freiheitlich demokratische Grundordnung."
Von der parlamentarischen Opposition bekam er dafür Kritik. Linken-Chef Jan van Aken warf Dobrindt gegenüber der "Rheinischen Post" ein Versäumnis vor, "die Gefahr konkret zu benennen". Damit falle Dobrindt laut van Aken "hinter die Standards" seines Parteikollegen und Vorvorgängers Horst Seehofer zurück.
Seehofer hatte den Rechtsextremismus etwa im Verfassungsschutzbericht 2020 als "größte Bedrohung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung" bezeichnet.
Van Aken warf der Bundesregierung zudem vor, den sich fortsetzenden Rechtsruck mit ihrer "gegen geltendes Recht" und "gegen Migranten gerichtete Politik" selbst anzutreiben.
Der Grünen-Abgeordnete Till Steffen wies auf X auf den Anstieg des rechtsextremistischen Potenzials um 10.000 Personen hin und kommentierte vor diesem Hintergrund: "Was macht Dobrindt als erste Maßnahme? Er streicht die Formulierung, dass Rechtsextremismus die größte Gefahr für unser Land ist. Keine Pointe."
Immerhin: Ein wenig Lob bekam Dobrindt von den Grünen trotzdem. Die Innenpolitiker:innen Irene Mihalic und Konstantin von Notz nannten es in ihrer Mitteilung zum Verfassungsschutzbericht "erfreulich", dass Dobrindt und der Verfassungsschutz "die immer aggressivere hybride Kriegsführung von Wladimir Putins Russland" im Bericht "klar benennen".
(mit Material der afp und dts Nachrichtenagentur)